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Sacro Egoismo. Vom Ende des Dreibunds zum Südtirolkonflikt

Die offizielle Eröffnung der eintägigen Konferenz am 1. April 2014 erfolgte durch den Prorektor der Andrássy Universität (AUB), Hendrik Hansen, der in seinen Begrüßungsworten kurz auf die Bedeutung des Begriffs Sacro Egoismo einging. Hansen betonte, dass die Konferenz ein interessantes Thema aufgreift, das mit den Forschungsaktivitäten und dem Südtirol-Schwerpunkt der Universität in enger Verbindung steht. Mit Dank an die Region Südtirol-Trentino für die Finanzierung der Konferenz und das Organisationsteam, insbesondere Herrn Richard Lein, Fakultät für Mitteleuropäische Studien (MES) beendete er seine Begrüßungsworte.

Das erste Panel wurde von Orsolya Lénárt (MES/AUB) moderiert. Der Vortrag von Richard Lein wurde per Skype-Schaltung live übertragen. In seinem Vortrag zum Thema „‚Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt‘: Zum Ende des Dreibunds 1914-1915“ ging er auf die politischen Entwicklungen sowie die sich wandelten politischen und nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten des Dreibunds ein. Aufgrund der sich ständig ändernden Interessenslagen, der wiederholten Änderungen am Dreibundvertrag sowie der Unterzeichnung eines Neutralitätsvertrags zwischen Italien und Frankreich hätte der 1882 abgeschlossene Vertrag, so Lein, zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusehends an Bedeutung verloren. Die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn am 23. Mai 1915 habe in Wien niemanden überrascht, da schon lange politischen Spannungen aufgrund der Ausdehnung der jeweiligen Einflusssphären der beiden Staaten am Balkan bestanden hätten. Lein argumentierte, dass die italienische Neutralitätserklärung inkorrekt als „Treuebruch Italiens“ oder „Verrat“ bezeichnet wird, da es eigentlich Österreich-Ungarn gewesen war, das einen Vertragsbruch begangen hatte, als es Italien über das bevorstehende Ultimatum an Serbien 1914 nicht informierte (Verstoß gegen Artikel 7). Somit habe Italien formaljuristisch gesehen korrekt gehandelt, als es sich neutral erklärte. Der Dreibund, so Lein, war prinzipiell eine Zweckgemeinschaft, die bis 1914 künstlich am Leben erhalten worden war, jedoch schon lange zuvor ihre Funktion eingebüßt habe.                                                                                    

Dóra Frey (MES/Fakultät für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften) sprach über „Geheime Diplomatie und Völkerrecht - der Vertrag von London“. Dóra Frey bezeichnete den Londoner Vertrag als „unbekannten Bekannten“, da es über den Vertrag, obwohl allgemein bekannt, kaum Fachliteratur gibt. Der Londoner-Vertrag wurde von Österreich-Ungarn, als „Verrat Italiens an den Verbündeten“ bezeichnet, wobei einerseits Italiens Kriegseintritt durch die kollidieren Interessen Österreich-Ungarns und Italiens am Balkan erklärbar ist sowie durch das Ziel Italiens, jene Gebiete, in denen eine italienische Minderheit unter österreichischer Herrschaft lebte, dem eigenen Staatsverband einzuverleiben. Italien legitimierte die Neutralitätserklärung 1914 durch die Nichteinhaltung des Artikels 7 durch Österreich-Ungarn. Die Kriegserklärung Italiens erfolgte am 23. Mai 1915 nachdem in den Geheimgesprächen in London Italien seitens der Entente-Mächte Gebietszusagen gemacht worden waren, insbesondere das Trentino, Südtirol, Istrien und weitere italienische Siedlungsgebiete an der Mittelmeerküste. Die Vortragende setzte mit einen Vergleich mit dem weniger bekannten Vertrag von Bukarest fort. Ähnlich wie im Fall Italiens wurde im Vertrag von Bukarest eine Verschiebung der Grenze zu Gunsten Rumäniens bei dessen Kriegseintritt gegen die Mittelmächte versprochen. Rumänien sollte die Bukowina, Siebenbürgen, Banat bis zur Theiß und Donau sowie weitere Gebiete mit rumänischer Bevölkerung im östlichen Ungarn erhalten. Die Gemeinsamkeit liegt vor allem darin, dass sowohl der Bukarester Vertrag als auch der von London als Verrat angesehen wurden und beide die Ursache für weitere Konflikte waren.

Der Vortrag von Wolfgang Etschmann (LvAk Wien) „Die österreichisch-ungarische Südwestfront aus militärischer Perspektive“, wurde aufgrund einer Erkrankung des Vortragenden von Frau Christina Griessler (netPOL/AUB) verlesen. Etschmann analysierte die militärische Effektivität der österreichisch-ungarischen Streitkräfte an der italienischen Front, wo diese von nur wenigen Truppen der Verbündeten, allen voran des Deutschen Reiches, unterstützt wurden. Der Vortragende verglich dabei zunächst die österreich-ungarischen Streitkräfte, die bis Ende 1915 neben den 485.000 Mann zu Friedenszeiten noch zusätzlich 3,3 Millionen Mann aufstellen konnten, mit den italienischen Truppen, die 39 Divisionen und 10 Brigaden mobilisieren konnten. Die italienischen Truppen hatten bis zu diesem Zeitpunkt nur Kampferfahrungen in Ostafrika und Libyen gesammelt, was im Hochgebirge, wo es zum sogenannten „Krieg der Bergführer“ kam, keinen militärischen Vorteil brachte. Die insgesamt zwölf Isonzoschlachten und die Ortigaraschlacht (Juni 1917), die auf beiden Seiten fast 33.000 Tote und Verwundete forderten, verdeutlichen, wie um jeden Kilometer gekämpft wurde. In der 12. Isonzoschlacht im Oktober 1917 konnten die österreichisch-ungarischen Verbände Erfolge erzielen und die italienischen Truppen weit auf italienisches Territorium zurückdrängen, ein entscheidender Erfolg blieb ihnen jedoch auch diesmal verwehrt. Die letzte Offensive der österreichisch-ungarischen Truppen, die am 15. Juni 1918 stattfand, entsprach eher einer Verzweiflungstat als einem strategischen Angriff. Als Fazit spricht Etschmann den Streitkräften der Habsburgermonarchie an der Südwestfront eine relativ hohe „military effectivness“ zu.

Das zweite Panel, das Melani Barlai (netPOL/AUB) moderierte, wurde mit einem Beitrag von Oswald Überegger (ZRG Bozen) eingeleitet. In seinem Vortrag: „Gegen den ‚Erzfeind‘. Die österreichisch-ungarische Kriegspropaganda gegen Italien“, referierte er über die Kriegspropaganda der Habsburgermonarchie gegen das italienische Königreich im Ersten Weltkrieg. Einleitend zeigte Überegger die Problembereiche auf, mit denen die damaligen Propagandastrukturen belastet waren. Zum einen waren dies durch eine omnipräsente Skepsis gegenüber der Propaganda als " das unfaire Mittel", einer fehlende Gesamtkoordination und den internen Kompetenzstreitigkeiten innerhalb des Kriegspressequartiers, das für die Berichterstattung zuständig war, gekennzeichnet. Zum anderen fehlte es neben finanziellen Mitteln auch an einer Zusammenarbeit der Mittelmächte in diesem Bereich. Nach der Skizzierung der kulturellen und strukturellen Rahmenbedingungen differenzierte Überegger drei Phasen der antiitalienischen Propaganda im I. Weltkrieg. Die erste Phase dauerte von August 1914 bis zum Kriegseintritt Italiens im Mai 1915, in der die Neutralität Italiens einem "moralisierenden Wunschdenken" der Presse untermauert wurde - so Überegger. In der zweiten Phase vom Mai 1915 bis zum Oktober 1917 sei Italien in der medialen Berichterstattung zu einem Antihelden avanciert. Der Höhepunkt der antiitalienischen Kriegspropaganda wurde in der dritten Phase (Okt. 1917 bis zum Kriegsende) erreicht und entwickelte sich über die Jahrzehnte hinweg zu starren Stereotypen, die auch die Südtiroler Geschichtsaufarbeitung bis heute maßgeblich prägen würden - so Überegger resümierend.

Gunda Barth-Scalmani von der Universität Innsbruck machte in ihrem Vortrag auf eine der Lücken in der Genderforschung des Ersten Weltkrieges aufmerksam. In der Erforschung der Frauenarbeit im Ersten Weltkrieg konzentrieren sich die Gender Studies auf die außerhäusliche Arbeit der Frauen in den Städten, insbesondere auf die industrielle Frauenarbeit, "aber die Mehrheit der Frauen hat 1914 nicht in den Städten, sondern auf dem Land gelebt“ - so Barth-Scalmani. Aus dieser Problemstellung ist das Forschungsprojekt: "Heldinnen des Hinterlandes im Diskurs der Medien" entstanden, das sich zum Ziel setzt, den Diskurs über die Arbeit der Bäuerinnen in den Medien während des Ersten Weltkrieges aufzudecken.

Die ersten Ergebnisse thematisierte Gertrud Margesin (Universität Innsbruck) in ihrem Vortrag: Von den bislang fünf untersuchten Tiroler Zeitungen liefern die christlich-soziale Tageszeitung, die Tiroler Volksbote die breiteste Quellenbasis. Die bisherigen Recherchearbeiten zeigen deutlich einen Wandel der Berichterstattung in den Zeitungen. Vor dem Kriegsauseinbruch kamen in der Zeitung nur Männer zu Wort. Im Juni 1915 stellten sich die Frauen plötzlich die Frage: "[...] wollen wir Weiberl auch zur Feder ziehen [...]". Von da an berichteten Frauen regelmäßig über die Feldarbeit und all ihre alltäglichen Probleme. Dies hatte zur Folge, dass Frauen im Krieg verstärkt wahrgenommen wurden - so Margesin abschließend.

Das dritte Panel wurde von Georg Kastner (MES/AUB) moderiert. Julia Walleczek-Fritz vom Österreichischen Staatsarchiv präsentierte einen Zwischenstand ihrer Forschungsarbeit zum Thema „Arbeit für den Feind. Der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen an der Südwestfront im Dienste Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg“. Insgesamt gab es während des Ersten Weltkriegs ca. 8-9 Millionen Kriegsgefangene in allen kriegsteilnehmenden Staaten, davon waren geschätzte 1,25 bis 2,3 Millionen in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft. Die Kriegsgefangen wurden in etwa 50 Kriegsgefangenen- und Internierungslager in Österreich-Ungarn untergebracht. Zusätzlich zu den 50 Lagern gab es noch Kriegsgefangenenstationen, die nur für eine temporäre Unterbringung der Gefangenen vorgesehen waren. Bereits 1914 wurden in den Lagern Werkstättenbetriebe und Kriegsgefangenen-Arbeiter-Partien (KAP) eingerichtet. Die Haager Landkriegsordnung (1899/1907) definierte im Artikel 6, dass jene Arbeiten, die von den Gefangenen ausgeführt werden, in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen dürfen. Artikel 7 besagt: „Gefangene sind in Bezug auf Nahrung, Kleidung, Unterkunft ebenso zu behandeln wie die [eigenen] Truppen“. Die Gefangenen wurden in vielen Fällen dennoch für Schanz- und Fortifikationsarbeiten, für die Minensuche, als Lastenträger, als Beutesucher, für den Straßen-, Eisenbahn- und Seilbahnbau sowie für die Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt. Durch die Kriegssituation verschlechterte sich auch die Lage für die Kriegsgefangenen, die unterernährt waren, Tag und Nacht unter widrigen Wetterbedingungen arbeiten mussten und gewalttätigen Übergriffen seitens ihrer Bewacher ausgesetzt waren. Erkennbar ist, dass Artikel 6 und 7. der Haager Landeskriegsordnung oftmals nicht berücksichtigt wurde und ein massiver Einsatz von Kriegsgefangenen in kriegsunterstützenden Bereichen stattfand.

Die Konferenz schloss mit dem Vortrag von Andrea Brait vom Institut für Geschichte an der Universität von Wien. In ihren Ausführungen über die „Musealisierung von Krieg an der ehemaligen Italienfront. Österreichische, italienische und slowenische Sichtweisen rund 100 Jahre nach dem Ende der Kämpfe“ ging Brait folgenden Fragen nach: Wie wird und wie sollte der Erste Weltkrieg in den untersuchten Museen dargestellt (werden)? Nach der Vorstellung von Fallbeispielen aus Österreich, Italien und Slowenien formulierte sie jene Erwartungen, die an die Ausstellungen gerichtet sein sollten, die sich das Pflegen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg zum Ziel gesetzt haben. So sollten die Ausstellungen erlebnisorientiert sein, einen personellen Bezug herstellen, die Kulturgeschichte des Krieges beleuchten und den transnationalen Blick herstellen - so das Fazit der Referentin.

Die Tagung endete mit einem Schlusswort von Melani Barlai. Die Veranstalter danken dem Land Südtirol sowie der Andrássy Universität Budapest für die großzügige Unterstützung der Veranstaltung.

Text: Melani Barlai/Christina Griessler

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