Dies stellt einen historischen Meilenstein im EU-Beitrittsprozess des Westbalkanstaates dar, denn damit gehört Albanien zu den Ländern wie Montenegro und Serbien, mit denen die EU Beitrittsverhandlungen führt. Bereits im Juli 2022 fand die erste Regierungskonferenz der EU mit Albanien statt, die den offiziellen Start des Beitrittsverfahrens markierte.
Albanien blickt auf langjährige Beziehungen zur EU zurück. Im April 2009 stellte Albanien seinen Antrag auf EU-Mitgliedschaft, und im Juni 2014 wurde dem Land offiziell der Status eines Beitrittskandidaten gewährt. Im April 2018 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre uneingeschränkte Empfehlung, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien aufzunehmen. Als nächster wichtiger Meilenstein im Beitrittsprozess Albaniens gelten die Schlussfolgerungen des Rates. Dieser eröffnete im Juni 2018 den Weg zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, betonte jedoch, dass Albanien insbesondere in den Bereichen Justizreform sowie Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption weitere Fortschritte erzielen müsse.
Im März 2020 beschloss der Rat, Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien aufzunehmen. Diese Entscheidung wurde später auch vom Europäischen Rat bestätigt, was dazu führte, dass die Beitrittsprozesse der beiden Länder miteinander verknüpft wurden. Im November 2020 weigerte sich Bulgarien, den EU-Verhandlungsrahmen für Nordmazedonien zu genehmigen, und blockierte damit formal den offiziellen Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien (und somit auch mit Albanien). Nachdem Bulgarien sein Veto aufgehoben hatte, wurde das Hindernis für die Aufnahme der Verhandlungen mit Albanien beseitigt. Infolgedessen fand im Juli 2022 die erste Regierungskonferenz zwischen der EU und Albanien statt. Anschließend begann der Screening-Prozess, der zur Eröffnung des ersten Clusters führte.
Im Februar 2020 hatte die EU eine überarbeitete Methodik für die Erweiterung auf dem westlichen Balkan eingeführt, die die Verhandlungskapitel in sechs Cluster bündelte. Das erste Cluster (Fundamentals), der mit Albanien eröffnet wurde, besteht aus fünf Kapiteln: Kapitel 5 - Vergaberecht, Kapitel 18 - Statistiken, Kapitel 23 - Justiz und Grundrechte, Kapitel 24 - Justiz, Freiheit und Sicherheit und Kapitel 32 - Finanzkontrolle. Weiterhin enthält Cluster 1 auch drei Kriterien, die nicht in Kapiteln untergebracht sind: 1) Funktionieren der demokratischen Institutionen, 2) Reform der öffentlichen Verwaltung sowie 3) wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit. Anhand der neuen Methodik der Beitrittsverhandlungen wird Cluster 1 immer zuerst geöffnet und als letzter Cluster abgeschlossen. Die Fortschritte in diesem Bereich bestimmen allgemein das Gesamttempo der Verhandlungen.
An der Regierungskonferenz am 15. Oktober nahmen unter anderem der albanische Ministerpräsident Edi Rama, der ungarische Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft sowie Olivér Várhelyi, der scheidende EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, teil. Edi Rama äußerte die Auffassung, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dem Erweiterungsprozess neuen Schwung verliehen habe. Er betonte, dass Albaniens Ziel darin bestehe, den EU-Verhandlungsprozess bis zum Ende dieses Jahrzehnts abzuschließen. Zudem sei Albanien bereit, „an die Tür des Europäischen Rates zu klopfen“.
Szijjártó bezeichnete die zweite Regierungskonferenz als einen „wichtigen Meilenstein“ im Beitrittsprozess. Laut Szijjártó könne Albanien bis zum Ende des Jahres ein neues Cluster öffnen, voraussichtlich Cluster 6 (External relations). Der ungarische Minister für auswärtige Angelegenheiten und Handel betonte, dass die Beschleunigung des EU-Beitrittsprozesses der Westbalkanstaaten von hoher Priorität für Ungarn und eine der wichtigsten Zielsetzungen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft sei. Er hob auch hervor, dass die EU-Erweiterungspolitik in den letzten Jahren stark an Glaubwürdigkeit verloren habe, da die durchschnittliche Wartezeit für die Westbalkanstaaten auf dem Weg zur EU mehr als 15 Jahre betrage. Szijjártó argumentierte, dass die EU „neuen Schwung, frische Energie und neue Perspektiven“ braucht, damit die Westbalkanstaaten der EU zeitnah beitreten können.
Laut Várhelyi habe die EU in seiner Amtszeit zwischen 2019 und 2024 dreimal versucht, die EU- Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien aufzunehmen. Das Ziel von Várhelyi wäre es, dass bis zum Ende des Mandats der folgenden Kommission Premierminister Rama seinen ersten Kommissar nominieren kann. Während der Pressekonferenz äußerte sich Várhelyi auch zum Thema interne Reformen der EU als Voraussetzung für den Beitritt der Westbalkanstaaten. Er vertrat die Meinung, dass die EU in ihrer aktuellen Form in der Lage sei, neue Mitgliedstaaten aufzunehmen. Dementsprechend sollen die Prozesse der horizontalen und vertikalen Erweiterung parallel ablaufen.
Die Eröffnung des ersten Clusters stellt einen wichtigen Meilenstein in Albaniens EU- Beitrittsprozess dar. Albanien hat in den letzten Jahren wichtige Reformen durchgesetzt, allerdings zeigt der Rule of Law Report der EU über Albanien auf, dass weitere Reformen notwendig sind, insbesondere in den Bereichen Justiz und Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption. Albaniens Fortschritte in diesen Bereichen und im Cluster 1 generell werden den ganzen EU-Beitrittsprozess maßgeblich beeinflussen. Ministerpräsident Edi Rama formulierte für Albanien das Ziel, den Verhandlungsprozess bis zum Ende des Jahrzehnts abzuschließen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen früherer Erweiterungsrunden, beziehungsweise der bisherigen Fortschritte der Westbalkanstaaten wird aber ersichtlich, dass noch ein langer Weg vor Albanien steht, bevor das Land der EU beitreten können wird. Hierbei wird auch auf die Probe gestellt, ob es der EU gelingt, für die Westbalkanstaaten wieder eine glaubwürdige Perspektive anzubieten, so wie sie es sich im Jahr 2020 in ihrer neuen Strategie für die Region vorgenommen hat.
Fanni ELEK ist PhD-Kandidatin im Teilprogramm Politikwissenschaft an der AUB. Sie erhielt im Zeitraum von November 2023 - September 2024 ein Carl-Lutz Stipendium im Rahmen des Projekts „ Changing Orders Research Programme “, unterstützt durch den Schweizer Beitrag mit der nationalen Kofinanzierung der ungarischen Regierung.
Quellen:
Council of the European Union (2024): Second meeting of the Accession Conference with Albania at ministerial level (Press release), abrufbar unter: https://www.consilium.europa.eu/en/press/pressreleases/2024/10/15/second-meeting-of-the-accession-conference-with-albania-at-ministerial-level/
European Commission (2024): 2024 Rule of Law Report. Country Chapter on the rule of law situation in Albania, SWD(2024) 828 final.
European Western Balkans (2020): Bulgaria blocks EU membership talks for North Macedonia, abrufbar unter: https://europeanwesternbalkans.com/2020/11/18/bulgaria-blocks-eu-membership-talks-for-north-macedonia/
European Western Balkans (2024): Albania opens Cluster 1, Rama: Our goal is to complete the EU accession process by the end of the decade, abrufbar unter: https://europeanwesternbalkans.com/2024/10/15/albania-opens-cluster-1-rama-our-goal-is-to-complete-the-eu-accession-process-by-the-end-of-the-decade/
Körömi, Csongor (2024): Albania begins EU accession talks. But it could still take decades before the country joins the bloc, abrufbar unter: https://www.politico.eu/article/albania-begin-eu-accession-talk-enlargement/
Rat der Europäischen Union (o.D.): EU-Erweiterungspolitik – Albanien, abrufbar unter: https://www.consilium.europa.eu/de/policies/enlargement/albania