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Fronleichnamstraditionen am Beispiel der Blumenteppiche in Budaörs/Wudersch
Andrássy Universität Budapest, Doktorschule
Fronleichnamstraditionen am Beispiel der Blumenteppiche in Budaörs/Wudersch: Ein Dissertationsprojekt zum Alleinstellungsmerkmal von Budaörs

Im Zentrum des Dissertationsprojektes von Viktória Muka steht die Auseinandersetzung mit der politischen Instrumentalisierung von Traditionen. Das Ziel des Projekts besteht darin, der Frage nachzugehen, wie identitäts- und minderheitenpolitische Bestrebungen auf Makroebene sich auf lokaler Ebene durchsetzen und die Mikrogeschichte eines Dorfes potenziell beeinflussen können. Diese werden an einem konkreten Beispiel, an den Fronleichnamstraditionen in der „donauschwäbischen“ Gemeinde Budaörs/Wudersch in Ungarn dargestellt und analysiert. Insbesondere wird in der Dissertation der Fokus auf den zu Fronleichnam gelegten Blumenteppich gelegt. Da dieser von den deutschstämmigen Bewohnern und Bewohnerinnen des Dorfes gelegt wurde bzw. wird, ist diese Art der Volksfrömmigkeit als Ausdruck lokaler (Minderheiten-)Identität aufzufassen. Gleichzeitig ist diese Tradition auch eine der bedeutendsten Identifikationselemente von Budaörs, die das in der Nähe der Hauptstadt Budapest gelegene Dorf zu einem beliebten Ausflugsziel machte. Jedoch, so wird in der Dissertation argumentiert, ist die Tradition des Blumenteppichlegens an Fronleichnam in Budaörs mehr als nur reine Volksfrömmigkeit und touristische Attraktion. Nach Rezeption der einschlägigen Fachliteratur, Sichtung von Archivalien in diversen kirchlichen, staatlichen sowie privaten Archiven sowie ausführlicher Analyse der medialen Repräsentation dieser besonderen Tradition, lässt sich eine Blütezeit derselben in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs feststellen. Sie wurde zum bedeutendsten identitätsstiftenden und -prägenden Element der lokalen deutschen Minderheit und letztlich zum Alleinstellungsmerkmal von Budaörs. Dies ist als eine mittelbare Folge der Nationalitätenpolitik des Politikers Jakob Bleyer (1874–1933) zu verstehen, der danach strebte, die im 18. Jahrhundert erfolgte Ansiedlung der Deutschen in Ungarn als Teil des kulturellen Gedächtnisses der deutschen Minderheit zu etablieren und auf die von den Deutschen in Ungarn geleistete Kulturarbeit aufmerksam zu machen. Die Behauptung, die Tradition wäre bei dieser Ansiedlung von den Siedlern und Siedlerinnen mitgebracht worden, sollte eine (vermeintliche) Kontinuität im Leben der Budaörser schaffen und eine Brücke zur angestammten Heimat schlagen. Eine Auswertung der Bleyerschen Politik sowie ihrer Auswirkung auf die lokalen Gemeinschaften findet ebenfalls Eingang in die Arbeit.

Der Blumenteppich der Budaörser und Budaörserinnen zu Fronleichnam kann daher auch als Symbolträger, als Marker für identitätspolitische Bestrebungen der Führungselite in der Zwischenkriegszeit verstanden und analysiert werden. Die breite zeitgenössische Rezeption des Brauches ist nicht als Quelle zum faktischen Wissen von Bedeutung. Setzt man sich mit Personen auseinander, die Materialien zu und über Budaörs verfassten, lässt sich mehr als ein bloßes historisches Interesse erkennen. Diese sind fast ausnahmslos identitätspolitisch und völkisch motiviert, ihre Inhalte spiegeln die Ideologie der Zwischenkriegszeit. Von Bedeutung für die lokalen Gemeinschaften war die Radikalisierung der Organisationen der Deutschen in Ungarn Ende der 1930er Jahre, die zur Entstehung örtlicher Volksbund-Ortsgruppen und zur Spaltung einzelner Dörfer und Familien führte. Der Blumenteppich fungierte in dieser Zeit ebenfalls als ein Mittel zum Ausdruck politischer Präferenzen, so sprachen sich Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen öffentlich für die Politik Hitlerdeutschlands aus und unterstützten die revisionspolitischen Bestrebungen der ungarischen Regierung.

Nicht nur im Leben der deutschen Minderheit, sondern auch für die Gestaltung der lokalen Traditionen bedeuteten das Kriegsende und die ab 1946 begonnene Vertreibung der Deutschen aus Ungarn einen markanten Wendepunkt. Die Tradition des Blumenteppichlegens wurde von den Budaörser Vertriebenen in die amerikanische Besatzungszone, in die spätere Bundesrepublik Deutschland, transloziert und war bis zum sukzessiven Ableben der Erlebnisgeneration in den meisten Ortschaften präsent, in denen sich Budaörser und Budaörserinnen niedergelassen hatten. Die Spaltung der ungarndeutschen politischen Organisationen in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs, sowie die Radikalisierung bestimmter Gruppen in der „alten Heimat“, blieb auch nach der Vertreibung, in der „neuen Heimat“, aufrecht. So war die landsmannschaftliche Interessensvertretung auch durch Konflikte und Unstimmigkeiten bestimmt. Zur Analyse der Entwicklungen der Tradition in der Bundesrepublik Deutschland werden im vorliegenden Dissertationsprojekt Äußerungen (u. a. zu identitätspolitischen Zielen) der verschiedenen ungarndeutschen bzw. deutschungarischen Landsmannschaften herangezogen. Diese kamen neben den Heimatbüchern von der „alten Heimat“ in den landsmannschaftlichen Periodika konzentriert zum Ausdruck: Heimatzeitschriften, Heimatblätter, Jahrbücher und Kalender waren bedeutende Medien zur Verbreitung von identitätspolitischen Inhalten. Von besonderem Interesse für die Dissertation sind die Heimatzeitschrift Unsere Post – Heimatzeitung der Ungarndeutschen und Unser Hauskalender – Das Jahrbuch der Deutschen aus Ungarn. Deren Inhalte, besonders in Bezug auf den Erhalt von Traditionen, werden umfassend analysiert und dargestellt. Der Person des deutschen Politikers ungarischer Herkunft Ludwig Leber (1903– 1974), Gründer der Ungarndeutschen Landsmannschaft und der beiden oben erwähnten Periodika, widmet das Dissertationsprojekt aufgrund seiner identitätspolitischen Tätigkeit besondere Aufmerksamkeit.

Um all die bisher erwähnten Bereiche der Forschung abzudecken, wird mit einer Art Mixed Methods gearbeitet, in der der historisch-archivalischen Methode eine besondere Bedeutung zukommt. Neben klassischem Archivmaterial bilden Fotografien ebenfalls eine äußerst wichtige Quellengattung für das Thema, die auch Eingang in die Arbeit finden. Der Fronleichnamsblumenteppich als touristische Attraktion wurde oft und gerne auf Fotos festgehalten. Diesbezüglich lässt sich eine Diskrepanz zwischen privat angefertigten Schnappschüssen und Auftragsarbeiten erkennen. Denn auch volksdeutsche Forscher und Forscherinnen (Rudolf Hartmann 1902–2001, Emil Maenner 1888–1964) besuchten Budaörs, um die dortige „reiche deutsche Kultur“ festzuhalten und damit die Ostpolitik des „Dritten Reiches“ und das dort von den „Volksdeutschen“ verfasste Bild zu unterstützen und aufrechtzuerhalten. In der Dissertation findet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Bildern statt. Bilder werden hier als Gegenstand historischer Forschung behandelt, ihre Analyse erfolgt in Anlehnung an Visual Culture Studies (J. T. Mitchell) und an Visual History (Paul Gerhard), die die Bedeutung von Bildern als Traditionsmotoren sowie ihre Rolle in der Vergangenheitsvermittlung und in der Erinnerungskultur behandeln.

Viktória Muka 

Doktorandin

Ort - Andrássy Universität Budapest
2024-11 Dezember 2024 2025-1
 
 
 
 
 
 
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