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Die Reaktion der kleinen und mittleren Staaten der mittelosteuropäischen Region auf den Krieg in der Ukraine
Die zweitägige Konferenz widmete sich der Rolle kleinerer und mittelgroßer Staaten Europas: Wie gehen sie mit den zunehmenden Herausforderungen an ihre Verteidigung um?

Die zweitägige Veranstaltung, die mit Unterstützung des Swiss-Hungarian Cooperation Programme ausgerichtet wurde, widmete sich dabei der Rolle kleinerer und mittelgroßer Staaten Europas: Wie gehen sie mit den zunehmenden Herausforderungen an ihre Verteidigung um? Wie vermeidet man es, auf der Speisekarte zu stehen, wenn man nicht am Tisch sitzt? 

Um diesen Fragen einen angemessenen akademischen diskursiven Rahmen zu geben, haben sich unter der Leitung von Dr. András Hettyey von der AUB eine ganze Reihe an Forscherinnen und Forschern aus der Region Mittel- und Osteuropa eingefunden.

Zum Einstieg in die Konferenz widmete sich Dr. Robert Diethelm, der zehn Jahre lang im Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport tätig war, der aktuellen weltpolitischen Lage. Die europäischen NATO-Mitglieder kommen nach jahrelangem Sicherheitsversprechen durch die USA langsam zu der Erkenntnis, dass sie in Sachen Verteidigung deutlich selbstständiger werden müssen. Denn inzwischen besetzen Russland und China ihren Platz am Tisch der geopolitischen Akteure: Mit der neuen Seidenstraße legt die Volksrepublik politisch und ökonomisch einiges in die Waagschale der internationalen Politik. Doch hat China auch mit ernsthaften wirtschaftlichen Herausforderungen zu kämpfen, so dass es gut möglich ist, dass das Land schneller alt als reich wird. Demgegenüber ist Russland weder politisch noch ökonomisch international relevant; selbst im Zusammenschluss der BRICS könnte es keinen Gegenpol bilden, da die zuverlässige Grundlage für Kooperation fehlt.

Christoph Schwarz vom Österreichischen Institut für Europäische und Sicherheitspolitik (AIES) beleuchtete in seinem Vortrag Theorie, Geschichte und den aktuellen Stand der österreichischen Außenpolitik mit besonderem Fokus auf dessen Neutralität. Auf der Grundlage jahrzehntelanger Arbeiten zum österreichischen Verfassungsrecht bezüglich der Neutralität und anderer Regelungen besteht die aktuelle Herausforderung darin, wie Österreich die Ukraine weiterhin so stark unterstützen kann, wie es möchte, und gleichzeitig neutral bleiben kann. Die Antwort darauf bilden die gemeinsamen Initiativen der EU, durch die Österreich zur Unterstützung der Ukraine beitragen kann und dabei gleichzeitig den Umstand aufrechterhält, de jure mehr oder weniger neutral zu bleiben.

Den zweiten Vortrag lieferte Tamás Csiki Varga unter dem Titel „Hedging“: Eine alternative Erklärung für die ungarische Außen- und Sicherheitspolitik der 2020er Jahre. Csiki Varga zeigte die ambivalente sicherheitspolitische Rolle Ungarns auf, die gegenüber der europäischen und US-amerikanischen Linie  widersprüchliche Rhetorik und Handlungen beinhaltet. Seit 2022 weicht das Handeln Budapests zunehmend von denen der anderen NATO- und EU-Mitglieder ab, was zu einer wachsenden Fehlanpassung im Vergleich zu seinen Verbündeten führt. Während Ungarn die NATO und EU formal weiterhin unterstützt und die Sanktionen weitestgehend mitträgt, hat es keine Waffen geliefert oder Militärgerät an die Ukraine übergeben, sondern nur humanitäre Hilfe geleistet und den Flüchtlingen geholfen, die nach Ungarn kamen.

Die dritte Präsentation des Panels hält Zdeněk Kříž unter dem Titel „Die tschechische Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine – eine Strategie für kleine Staaten?“. Eines der wichtigsten Ergebnisse aus Prof. Kříž´s ; Vortrag lautet, dass eine kleine Größe nicht mit Schwäche gleichzusetzen ist. Kříž weist darauf hin, dass die Tschechische Republik ein abweichendes Beispiel unter mittelgroßen und kleineren Staaten darstellt, da sie nicht versuche, in dem Konflikt zu vermitteln oder neutral zu bleiben. Stattdessen unterstützt Tschechien eindeutig die Ukraine und zeigt ihr Engagement für deren Sache. Die tschechische Regierung stärkt ihre Beziehungen zur NATO und zur EU und mobilisiert deren Unterstützung für die Ukraine. Als kleiner Staat mit begrenzten militärischen Kapazitäten spielt Tschechien eine bedeutende Rolle bei der Unterstützung der Ukraine, wobei die tschechische Rüstungsindustrie von dieser Hilfe profitierte.

Die slowenische Perspektive auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine wurde von Professor Dr. Marco Lovec der Universität Ljubljana unter dem Titel „Slovenia´s response to the Ukraine war: pro-Western elites, anti-systemic society“ vorgestellt. Er wies darauf hin, dass sich Sloweniens Einstellung zum Krieg in der Ukraine durch Wahlen verändert und neu ausgerichtet habe. So wurde unter Janez Jansas Regierung, (2020- April 2022) zu Beginn des Krieges eine starke Unterstützung der Ukraine verkündet und das Kriegsgeschehen sogar mit dem slowenischen Unabhängigkeitskrieg verglichen. Dieser Kurs wurde jedoch von den Wahlen im April 2022, die einen Regierungswechsel herbeiführte, nicht weitergeführt. Fortan leitete Robert Golob die neue Regierung und diese unterstützte die Ukraine zwar weiterhin mit allen Mitteln jedoch zeichnete sich auch ein neuer Kurs durch einen defensiven Normativismus ab, der unter anderen eine gemäßigtere Rhetorik beinhaltete und sich primär auf humanitäre Hilfe fokussierte. Damit liegt Golob auf Linie mit seinem Wahlvolk, dieses trug nämlich den Kurs der Vorgängerregierung nicht so ohne weiteres mit. Folglich, so Lovecs Kernargument, hat die slowenische Wählerstimme die Unterstützungsbereitschaft Sloweniens beeinflusst und diese abgemildert.

Nach der slowenischen Perspektive stellte Dr. Paul Popa der Babes-Bolyai Universität in Cluj-Napoca die rumänische Sicht auf den Krieg vor. Er erklärte, dass die Beziehungen zur Ukraine ambivalent seien. Das Gebiet Bukowina, dessen südlicher Teil heute zu Rumänien gehört und dessen nördlicher Teil in der Ukraine liegt, wechselte in der Vergangenheit häufiger seine Zugehörigkeit. Aufgrund der Geschichte leben heute viele Rumänen im ukrainischen Teil Bukowinas, die jedoch von den Ukrainern schlecht behandelt werden. Dies habe zur Folge, dass Rumänien trotz seiner leidvollen Geschichte unter dem Kommunismus sich nicht im gleichen Maß an der Unterstützung der Ukraine engagiert wie beispielsweise Polen. Popa sprach von Rumäniens „guarded response“ auf den Ukrainekrieg und meint dabei ein Handeln, dass mit den Attributen „cautious“, „timid“ oder „shy“ semantisch beschrieben werden kann.

Abgeschlossen wurde das zweite Panel mit einem Einblick in eine Ländergruppe, die alle ähnliche Einstellungen zum Krieg in der Ukraine haben. Die Gruppe besteht dabei aus den Ländern Moldavien, Georgien, Armenien, und Aserbaidschan. Vorgestellt werden sie von Seraina Eldada vom Geneva Centre for Security Policy und Johnny Melikyan vom Orbeli Center in Yerevan.
Nach Einschätzung der beiden Experten handelt es sich bei diesen Staaten um die „frontier states“ Europas schlechthin, die in einer ähnlich gefährlichen Situation wie die Ukraine leben. Eldada und Melikyan betonten, dass die Staatengruppe fürchtet, in eine Grauzone zwischen Russland und den Westen zu geraten, was der Konsolidierung der Demokratie in Armenien und Georgien nachträglich wäre.

In seinem Vortrag über Polen hob Zeöld Zsombor von der Corvinus Universität hervor, dass die polnische Sicherheitspolitik vier strategische Richtungen priorisiert. Erstens die baltischen und nordischen Staaten,zweitens Deutschland, drittens die Ukraine und schließlich die USA. Die USA sind der zuverlässigste Lieferant polnischer Rüstungsgüter, und Polen hat ein ureigenes Interesse daran, seine eigene Sicherheitspolitik mit der Grand Strategy der USA zu verknüpfen. Dies kann in Zukunft zu einigen  strategischen Dilemmata im Hinblick auf eine sich entwickelnde europäische Grand Strategy führen. Bislang jedoch, so Zeöld, bevorzugten die US-Militärs ein starkes polnisch-deutsches Rückgrat, um ein Gegengewicht zur russischen Aggression in Osteuropa zu schaffen.

Diese Veranstaltung wurde im Rahmen des Projekts „Changing Orders Research Programme“ organisiert, einem umfassenden Projekt, das durch den Schweizer Beitrag mit der nationalen Kofinanzierung der ungarischen Regierung unterstützt wird.

 

Sarah HESSE, Fruzsina GERMUSKA, Simon TAFLER, Joel KELLER, András HETTYEY

2024-11 Dezember 2024 2025-1
 
 
 
 
 
 
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