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Die EU und der Westbalkan – Ein neues Momentum für den EU- Beitrittsprozess
Die verstärkte Kooperation in der aktuellen Krise und die stärkere Beachtung geopolitischer Entwicklungen durch die EU hat zu einem neuen Momentum für den EU-Beitrittsprozess der Westbalkanstaaten geführt.

Dieses und wie das Momentum genutzt werden kann wurde beim IB-Dialog am 23.04.2021 diskutiert.

Auf Einladung von Dr. Heinrich Kreft und dem Lehrstuhl für Diplomatie II fanden sich Olivér Várhely (EU-Kommission), David McAllister (MEP, EU-Parlament), Natasa Dragojlović (National Convention on the EU in Serbia), Joachim Bitterlich (Botschafter a.D., ehemaliger Berater des Kanzlers Helmut Kohl) und Johannes Sattler (EU-Botschafter und Sonderbeauftragter für Bosnien-Herzegowina) virtuell in Budapest an der Andrássy Universität ein, und diskutierten – moderiert vom Gastgeber -  auf der Plattform Zoom über die Zukunft des Westbalkans in der EU. Die Veranstaltung wurde zudem live via YouTube übertragen.

Trotz ihrer verschiedenen Perspektiven waren sich die Teilnehmenden einig, dass die Zukunft der Westbalkan Staaten zweifellos in der EU liege. Über den Weg dorthin und welche Aspekte dabei ein besonderes Augenmerk verdienten, gab es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Várhelyi, Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik der Europäischen Kommission, konnte zwar nicht persönlich an der Diskussion teilnehmen, eröffnete die Debatte jedoch mit einer Videobotschaft. Darin verwies er auf die Erfolge der Kooperation während der Pandemie und betonte, dass dieses Momentum nun genutzt werden müsse, um den Beitrittsprozess der Westbalkan Staaten voranzubringen. Die überarbeitete Methodologie, die im Fall von Albanien und Nord-Mazedonien bereits angewendet würde, sei ein erster Schritt in die richtige Richtung und gleichzeitig eine Reaktion auf die aufkeimenden Zweifel an der transformativen Kraft des Beitrittsprozesses.

McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, betonte die Rolle der Zivilbevölkerung und die Bedeutung öffentlicher Debatten für eine erfolgreiche Integration. Deshalb müsse ein besonderer Fokus auf die Freiheit von Medien und Wissenschaft gelegt werden. Die EU müsse darauf insistieren, dass ihre Grundsätze geachtet werden und gleichzeitig dabei assistieren, diese umzusetzen. Dabei sei es wichtig, den Fokus neu zu justieren und sich aus der Hauptstadtblase zu lösen, um die Bevölkerung direkt zu erreichen. Auch Dragojlović, Koordinatorin der serbischen Plattform für Debatten zum EU-Beitritt NCEU, sprach sich für einen stärkeren Fokus auf die Zivilbevölkerung aus. Angesichts der von Autoritarismus geprägten historischen Erfahrungen müssten die Menschen in den Ländern des Westbalkans die Praktiken der Demokratie erst noch erlernen und verinnerlichen. Sie argumentierte, dass sich die EU im Rahmen ihrer Unterstützung verstärkt auf die konkreten Alltagsprobleme der Menschen konzentrieren solle, da finanzielle Hilfen zwar wichtig seien, aber diese auch aus anderen Quellen bezogen werden könnten. Ein besonderer Fokus solle dabei der jüngeren Generation gelten, da die entscheidende Frage sei, wie aus den Kindern des Westbalkans Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union würden.

Sattler richtete den Blick konkret auf Bosnien-Herzegowina. Er schilderte die komplizierte Lage vor Ort und betonte, dass die aktuelle Hauptpriorität des Landes die Erfüllung der 14 von der EU bestimmten Schlüsselziele sei, um anschließend den Kandidatenstatus zu erhalten. Das Problem in Bosnien-Herzegowina seien die zahlreichen Blockademechanismen auf Governance Ebene, wodurch Reformen und  Fortschritt behindert würden. Dass es aber voran gehe zeige die Kommunalwahl in Mostar, die seit zwölf Jahren erstmals wieder durchgeführt werden konnte. Die Probleme seinen lösbar, so Sattler, und dieses Jahr sei auf Grund des neuen Momentums in der Debatte ein gutes Jahr, um diese in Angriff zu nehmen. Bitterlich hingegen stellte die große Frage in den Raum, ob die EU aus den Lektionen der letzten Erweiterungsrunden gelernt habe und bereit sei, weitere Staaten aufzunehmen. Auch er ließ keinen Zweifel an dem langfristigen Ziel, alle Staaten des Westbalkans in die EU zu integrieren, plädierte aber dafür, sich dabei ausreichend Zeit zu nehmen, sowie eine weniger technokratische und hierarchische Herangehensweise zu wählen. Die Reformen müssten sich aus der Gesellschaft heraus entwickeln, weshalb es wichtig sei, sich in der ersten  Phase des Beitrittsprozesses auf soft-subjects, das heißt auf die Bildung einer politischen Gesellschaft samt Parteienlandschaft und den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit zu fokussieren und erst später zu den hard-subjects, den Verträgen, überzugehen. Das Wichtigste sei jedoch, keine falschen Versprechen zu machen, um einen Verlust der Glaubwürdigkeit zu vermeiden.

Das Thema der Glaubwürdigkeit wurde auch in den Fragen der Veranstaltungsteilnehmenden an die Expertinnen und Experten auf dem Panel aufgegriffen. Auf die Frage, wie die EU von den Beitrittskandidaten die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit verlangen könne, wenn sie sie intern nicht durchsetzen könne, bemerkte Bitterlich, dass es bei Wertefragen keine einfache schwarz-weiß Betrachtung gebe, sondern immer die Ausgangssituation und der regionale Erfahrungshintergrund zu beachten seien. Die EU müsse natürlich ihr Möglichstes tun, um mit gutem Vorbild voranzugehen, die Beitrittskandidaten aber auch mit konkreten Hilfsmaßnahmen z.B. im Bereich der Polizeiarbeit zu unterstützen.

In Bezug auf die zeitliche Perspektive der Beitrittsverhandlungen forderte Dragojlović klare politische Positionen, während McAllister, wie zuvor Bitterlich, auf die Gefahren nicht eingehaltener Zusagen verwies. Er griff das Beispiel des Kosovo auf, der alle von der EU vorgegebenen Kriterien erfüllt habe, wohingegen die EU ihren Teil noch schuldig bliebe. Ähnliches gelte für Nord-Mazedonien, das sogar eine Namensänderung akzeptiert  habe. Man könne nicht mitten im Spiel die Regeln ändern, ohne dass die Glaubwürdigkeit leide.

Im Rahmen der Publikumsfragen wurde auch der geopolitische Aspekt der EU-Erweiterung aufgegriffen und über die Rolle der EU angesichts anderer internationaler Akteure in der Region angesprochen. McAllister betonte die sicherheitspolitischen Auswirkungen, die die (In-)Stabilität in der Region des Westbalkans für die EU mit sich bringe und kritisierte die mangelhafte Kommunikation der EU, die ihre massive Hilfe und die damit erzielten Erfolge nicht ausreichend publik mache. So würde anderen internationalen Akteuren in der Region Handlungsspielraum eingeräumt und die Position der EU als strategischer Akteur geschwächt. Auch Sattler und Dragojlović hoben die Bedeutung von Kommunikation hervor, da der komplizierte technokratische Erweiterungsprozess den Menschen verständlich gemacht werden müsse. Fakt sei, dass die EU das beste Angebot für die Region auf den Tisch gelegt habe, so Sattler, jetzt müsse sie es nur noch entsprechend verkaufen.

Laura BEURER

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