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Demokratische Innovationen
Doktorschule
Zum elften Mal fand das Interdisziplinäre Doktorandenkolloquium im Rahmen der Kooperation der AUB und der Autonomen Region Trentino-Südtirol statt, diesmal mit Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden rund um das Rahmenthema demokratische Innovationen

Bereits zum dritten Mal online fand am 29. und 30. Juni 2021 das 11. Interdisziplinäre Doktorandenkolluqium an der Andrássy Universität Budapest (AUB) in Kooperation mit der EURAC Research und der Freien Universität Bozen statt.

Nach einer Begrüßung durch die Leiterin der Doktorschule der AUB, Prof. Dr. Ellen Bos, dem Rektor der AUB, Prof. Dr. Dietmar Meyer, und den Vertretern der Veranstaltungspartner Prof. Dr. Roland Psenner, Präsident der EURAC Research in Bozen, Südtirol, und Prof. Dr. Paul Videsott, Dekan der Fakultät für Bildungswissenschaften  der Freien Universität Bozen, führte Prof. Dr. Zoltán Tibor Pállinger mit seiner Keynote Speech über demokratische Innovationen in das Rahmenthema der Veranstaltung ein. Zunächst stellte Pállinger in seinem Vortrag über demokratische Innovationen als Mittel der Revitalisierung der (repräsentativen) Demokratie die Ausgangslage dar. Demokratie sei heute ein viel diskutiertes Thema. Als Grundlage für einen vernünftigen Diskurs müsse jedoch zunächst der Begriff der Demokratie definiert werden. Pállinger bediente sich hierfür einer minimalistischen Demokratiedefinition von Bobbio (1988), nach der Demokratie definiert sei als Garantie der grundlegenden Freiheiten, Existenz mehrerer miteinander im Wettbewerb stehender Parteien, periodische Wahlen mit allgemeinem Wahlrecht, kollektive Entscheidungen, die auf der Basis von Mehrheitsentscheidungen getroffen werden. Bobbio weise aber auch darauf hin, dass der Begriff der Demokratie über eine starke normative Bedeutungsdimension verfüge, welche über diese minimalistische Konzeption hinausweise. Dieses sog. „Versprechen der Demokratie“ sei aber bei der Diskussion um die Demokratie immer mitzubedenken.

Ob sich die Demokratie heute in einer Krise befände ist Gegenstand intensiver Debatten. Im öffentlichen Diskurs manifestiert sich ein Unbehagen am gegenwärtigen Zustand der Demokratie, aber auch seitens der Politischen Theorie wird die Funktionsfähigkeit und die Problemlösungskapazität dieser Staatsform immer wieder in Frage gestellt. Allerdings werden diese Befunde durch die empirische Demokratieforschung teilweise relativiert. Diese weisen darauf hin, dass die Lage der Demokratie differenziert zu betrachten sei: Demokratie als normative Vorstellung habe einen sehr hohen Stellenwert, viele Menschen sehen sie als ideale Regierungsform an und ihr wird grundsätzlich viel Legitimation zugesprochen.

Demgegenüber lassen sich durchaus funktionale Defizite der Demokratie identifizieren. Die zunehmende Komplexität und der gesellschaftlichen Wandel, der in unterschiedlichen Staaten unterschiedlich verlaufe, setzen die herkömmlichen Institutionen unter Druck. Überdies nähme durch die Globalisierung und den technologischen Wandel die Steuerungsfähigkeit von Staaten ab. Gleichzeitig haben sich autoritäre Staaten wie etwa die Volksrepublik China in wirtschaftlicher Hinsicht besser entwickelt als die westlichen Demokratien und sie scheinen auch bei der Bewältigung der Covid-Pandemie erfolgreicher gewesen zu sein, was die Frage nach autoritären Alternativen zur Demokratie aufkommen lasse.

Diese Entwicklungen haben verschiedene Auswirkungen. Es kommen zum einen immer mehr Zweifel an der Problemlösungs- und Leistungsfähigkeit von Staaten auf. Soziale Ungleichheit und Statusängste nehmen zu, ebenso eine Entfremdung vom politischen System, was wiederum dazu führe, dass die Teilnahme an Wahlen, welche als hauptsächliches Mittel der konventionellen Partizipation angesehen werden können, in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken sei. Dadurch nehme das Vertrauen in die repräsentativen Institutionen generell ab.  Zudem lasse sich in zahlreichen Demokratien eine zunehmende Polarisierung beobachten, was darauf hindeute, dass die politischen Systeme immer weniger in der Lage sind, konsensfähige Lösungen zu produzieren. Anschließend erörterte Pállinger die Entwicklung der liberalen Demokratie in Westeuropa, Mittel-und Osteuropa sowie der Europäischen Union während der letzten 40 Jahren anhand des Demokratieindexes „V-Dem“. Er kam zum Schluss, dass die Entwicklung differenziert zu betrachten sei. Dabei müsse vorab geklärt werden, von welchem (normativen) Anspruchsniveau ausgegangen werden solle. Dann ließe sich auch die Frage, welche Staaten und welche Teilregime der Demokratie von den derzeitigen Herausforderungen betroffen seien und welche nicht, präziser beantworten.

Vor diesem Hintergrund hielt Pállinger fest, dass ein Diskussionsstrang der Wissenschaft sich mit der Frage beschäftige, wie Demokratiequalität mithilfe demokratischer Innovationen verbessert werden könne. Aus Sicht dieser Forschungsrichtung stellen demokratische Innovationen Versuche dar, die Schwächen der Demokratie durch eine Steigerung von Demokratiequalität auszugleichen. Der Politikwissenschaftler Kenneth Newton definierte demokratische Innovationen im Jahr 2012 wie folgt: „A democratic innovation may be defined for present purposes as the successful implementation of a new idea that is intended to change the structures or processes of democratic government and politics in order to improve them.”

Um allfällige Probleme der Demokratie adäquat erfassen und bearbeiten zu können, muss diese aus einer systemischen Perspektive heraus begriffen werde. Dabei stelle sich nach Warren (2017) die Grundfrage, welche Probleme ein politisches System lösen müsse, um als demokratisch angesehen zu werden. Pállinger geht davon aus, dass der Kern der Demokratie und damit der demokratischen Innovationen in der Partizipation liege, und diese durch unterschiedliche Instrumente qualifiziert werde. Seine Annahme erläuterte er mithilfe von Robert Alan Dahls Polyarchie-Modell. Polyarchie bestimme dieser als die Realisierung der beiden Prinzipien Wettbewerb und Partizipation. Je höher beide Dimensionen, desto höher sei die Demokratiequalität, weshalb die Partizipation als ein Kernelement von Demokratiequalität betrachtet werden könne. Je nachdem, welche Art der Demokratie man realisieren wolle, könne man unterschiedliche Formen politischer Partizipation heranziehen, ob nun klassischerweise Wahlen, direkte Demokratie und deliberative Demokratie oder in der heutigen Zeit E-Democracy und supranationale Beteiligungsformen. Daraufhin nannte Pállinger einige kursorische Beispiele für demokratische Innovationen auf der Ebene der deliberativen Demokratie, darunter das „Kinderparlament“ in der schweizerischen Stadt Luzern. Dieses wurde im Jahr  1993 gegründet, um die UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen und stellt ein Forum dar, in dem Kinder zwischen acht und 14 Jahren mit Wohnsitz in Luzern teilnehmen und sich Gehör verschaffen können. Dabei hat es sogar eine Finanzkompetenz von 20 000 CHF sowie Auskunftsrechte bei der Stadt und die Möglichkeit, eigene Standpunkte vorzutragen.

Schließlich bewertete Pállinger die drei klassischen Formen partizipativer Demokratie (Wahlen, direkte Demokratie und deliberative Demokratie), wobei er zu dem Schluss kam, dass alle drei Formen Vor- und Nachteile mit sich bringen. In seiner Konklusion wies Pállinger darauf hin, dass repräsentative Demokratie und demokratische Innovationen keinen Gegensatz bildeten, sondern in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stünden. Erfolgreich seien demokratische Innovationen dann, wenn sie sinnvoll rechtlich ausgestaltet, mit ausreichend Ressourcen ausgestattet und mit dem repräsentativen System auf eine berechenbare Art und Weise verknüpft würden. 

Im Rahmen des sich anschließenden PhD-Roundtables diskutierten Prof. Georg Grote (EURAC Research), Dr. Elisabeth Alber (EURAC Research) und Prof. Paul Videsott sowie Prof. Pállinger und Prof. Bos verschiedene Formen deliberativer Demokratie. Die Eingangsstatements und Diskussionsbeiträge boten ein facettenreiches Bild und Ansichten aus den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen der Teilnehmenden.  Im folgenden Panel wurden verschiedene partizipative Innovationen aus Südtirol und Budapest vorgestellt und diskutiert.

Schilan Stach

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