Sie weisen eine beeindruckende diplomatische Karriere auf, unter anderem als Botschafter in diversen Funktionen. Was hat Sie ursprünglich dazu bewogen, den Weg der Diplomatie einzuschlagen?
Schon früh wusste ich, dass ich etwas Internationales machen wollte. Ich liebe Geographie, Geschichte, Sprachen, Politik, Kultur sowie den Umgang mit Menschen. Nach dem Studium von Rechts- und einigen Semestern Islamwissenschaften habe ich im Referendariat dann ausprobiert, wie sich das beruflich anfühlen könnte. Erste Erfahrungen hatte ich bei meinem Studium in der Schweiz, in Frankreich und Belgien sammeln dürfen. Ich machte eine Verwaltungsstation bei der Europäischen Kommission, absolvierte eine Wahlstation in der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen in Genf, eine andere in der Wirtschaftsabteilung der Deutschen Botschaft in Washington. Von dort habe ich mich dann für das Auswärtige Amt beworben. Und zu meiner großen Freude: Es klappte! Das war genau das Richtige. Mich interessieren so viele Dinge. Und offen gesagt, ist in meinem Beruf bis heute keine Langeweile aufgekommen.
Gibt es besondere Momente oder Herausforderungen aus Ihrer diplomatischen Laufbahn, die Sie nachhaltig geprägt haben?
Es hat immer wieder Situationen gegeben, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gibt. Das Entscheidende für mich besteht jedoch darin, meinem Land und den deutschen Interessen in der Welt zu dienen, die Beziehungen zum Gastland zu pflegen und, das klingt jetzt vielleicht ein wenig idealistisch, die Welt ein bisschen besser zu machen. Das sind die wichtigsten Funktionen, die jede und jeder Einzelne mit Einsatz und Persönlichkeit jeweils unterschiedlich ausfüllt. Dies erfordert Arbeit, Flexibilität und Disziplin. Das Tolle aber ist: Bei allem Eingebundensein kommt es immer wieder auf Ihre Ideen und Ihren Gestaltungswillen an. Nichts ist befriedigender, als etwas nach vorne bringen zu können, einen sinnvollen, im besten Falle nachhaltigen Beitrag zu leisten und andere dabei mitzunehmen. Ich habe viel im Bereich strategisches Management arbeiten dürfen. Zugleich habe ich jenseits der Komfortzone schon früh gelernt, was Krieg bedeutet. Ich habe gelernt, was Hunger ist, was unbedingter Freiheitswille und welchen unschätzbaren Wert Demokratie in sich birgt. Das hat mich demütig gemacht, und gleichzeitig hat es mich wachsen lassen.
Was hat Sie dazu motiviert, Ihre Erfahrungen nun in einer akademischen Umgebung weiterzugeben?
Das Angebot, als Dozent an die Andrássy Uni nach Budapest zu gehen, war eine große Ehre und wieder etwas ganz Anderes. Ich bin dem Vorschlag gerne gefolgt - nicht nur, weil ich Budapest von früheren Reisen als eine tolle Stadt in Erinnerung hatte. Mich reizte diese neue, andere und für einen aktiven Diplomaten eher untypische Verwendung.
"In meiner bisherigen Laufbahn habe ich Einiges auf den Weg bringen und noch mehr erleben dürfen. Bei all dem haben mich viele Menschen mit Rat und Tat unterstützt und zum Gelingen beigetragen. Jetzt heißt es für mich, Danke zu sagen, etwas zurück- und vor allem jungen Menschen weiterzugeben, die sich nun anschicken, künftig zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Aber verlassen Sie sich darauf, ich tue das nur, wenn ich gefragt werde. Nichts ist schlimmer als ungefragter Rat sowie alte Geschichten, die niemanden interessieren. Dafür wäre ich wirklich fehl am Platz."
Wie möchten Sie die Studierenden der Andrássy Universität auf die Herausforderungen der internationalen Diplomatie vorbereiten?
Ich bin überzeugt, die beste Eigenschaft, die bei einem Diplomaten oder einer Diplomatin vorauszusetzen ist, lautet: Open your mind. Und vergessen Sie die Empathie nicht. Dazu gehören außerdem der bewusste Umgang mit Sprache, Fremdsprachen, eine schnelle Auffassungsgabe, Urteilskraft sowie strategische und analytische Fähigkeiten. Hinzu kommen, wie ich finde, gute Manieren, außerdem Belastbarkeit, Organisationsvermögen, Flexibilität und Humor. All das ist durchaus auch in der universitären Ausbildung von Bedeutung – nur trägt es dort eine akademische Überschrift.
Ihr Schwerpunkt an der Universität liegt auf Diplomatie und internationalen Beziehungen. Welche besonderen Themen möchten Sie in Ihren Lehrveranstaltungen hervorheben?
Diplomatie und internationale Beziehungen sind so vielschichtig wie unsere Welt und die Aussichten auf morgen. Die Aufgabenstellung an der Uni geht nach meinem Dafürhalten weit über Staatskunst klassischer Prägung hinaus, schließt supra- und internationale Organisationen ohnehin längst ein. In der Diplomatie zählt auch die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft zu den zentralen Anforderungen. Energie-, Klima-, Kultur-, Wissenschafts- und Genderdiplomatie sind heute ebenso unverzichtbar wie Städte- und Weltraumdiplomatie. In der globalisierten Mediengesellschaft gehört die Public Diplomacy mittlerweile zu den bedeutendsten Aufgabenfeldern.
Meine neue Veranstaltungsreihe „Querschnittsfragen der Außenpolitik“ will genau diese Themenbreite aufgreifen und in den Diskurs mit den Studierenden und einer interessierten Öffentlichkeit tragen. Es soll um grundsätzliche wie aktuelle Fragestellungen gehen, die allesamt zu dem Rüstzeug all derer gehören, die sich für internationale Materien interessieren und begeistern.
Sie haben sich intensiv mit Themen wie der Bekämpfung von Antisemitismus und Antiziganismus beschäftigt. Wie wichtig sind diese Themen für die internationale Zusammenarbeit, und wie können junge Akademiker dazu beitragen?
Dem Menschenhass und der Menschenverachtung keinen Raum zu geben, ist eine bedeutsame Aufgabe von Außenpolitik. Dies gilt für mich als deutschen Diplomaten nicht allein, wohl aber erst recht wegen der dunkelsten Kapitel der deutschen Vergangenheit und der besonderen Verantwortung, die aus dem Menschheitsverbrechen und Zivilisationsbruch des Holocaust unausweichlich erwächst. Politisch ist es ein zusätzlicher Antrieb, unmissverständlich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten und sie zu leben.
Auch als junger deutscher beziehungsweise europäischer Studierender kann ich mich der Auseinandersetzung mit Shoah und Porajmos nicht entziehen. In internationalen Begegnungen, seien sie beruflich oder privat, wird es stets den Punkt geben, an dem ich auch persönlich Stellung beziehen muss.
Ganz sicher sind gerade auch Akademikerinnen und Akademiker gefordert, Haltung sowie Zivilcourage zu zeigen, und dies innerhalb wie außerhalb der Uni. Nicht wegschauen bei Leugnung und Relativierung des Holocaust, bei Judenhass oder Diskriminierung von Sinti und Roma! Darauf kommt es an. Umso mehr freue ich mich auf die Awareness-Woche, die die Studierenden im kommenden Jahr organisieren wollen.
Welche Rolle spielt die multilaterale Diplomatie in einer zunehmend polarisierten Welt, und wie können Hochschulen wie die Andrássy Universität dazu beitragen, den Dialog zu fördern?
Multilateralismus ist angesichts struktureller Gegebenheiten wie nationalstaatliche Souveränität, Multipolarität und Machtdiffusion eine geradezu unerlässliche Form der internationalen Diplomatie. Damit verbindet sich die Frage, welche Prinzipien, Werte und Organisationen die internationale Ordnung bestimmen und damit die internationale Politik prägen sollen. Wir sind nach meiner Auffassung gut beraten, weiter auf das Primat des Völkerrechts zu setzen und für eine regelbasierte internationale Ordnung zu arbeiten.
Internationale Zusammenarbeit ist für die Wissenschaft geradezu konstitutiv. Der Andrássy Universität kommt dabei eine noch weit darüber hinausgehende Rolle zu. Denn sie ermöglicht den Austausch zwischen den Ländern auch dort, wo der politische Dialog bisweilen nur schwer zu führen scheint.
Gibt es Persönlichkeiten oder Ereignisse, die Sie in Ihrer Karriere besonders inspiriert haben?
Es wäre fast leicht, eine ganze Reihe von aktuellen und früheren Entscheider*innen und Persönlichkeiten aus der ganzen Welt zu nennen, mit denen ich aus der Nähe zu tun haben durfte, die mich auf die eine oder andere Weise wirklich beeindruckt und mir etwas mitgegeben haben.
Das prägendste politische Ereignis in meinem Leben war sicher die deutsche Wiedervereinigung – ich gehöre dem ersten gesamtdeutschen Jahrgang im Auswärtigen Amt an.
Besonderer Ansporn aber entstand für mich auf jedem Posten immer wieder gerade auch aus der Begegnung mit Menschen, die gar nicht so im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit standen. Nehmen wir Afghanistan: Die Kinder und Jugendlichen, die Kulturtage in Masar-e Sharif mit Dichterlesung von Goethe und Rumi und einem Karneval auf offener Straße feierten. Ich vergesse nicht die unbändige Lebensfreude marginalisierter Schüler verschiedener ethnischer Gruppen, Schülerinnen, die im Schutze der Schulmauern das Tuch ablegten und sich halsbrecherisch im Skaten übten. Oder die aufgeweckten, hoffnungsvollen Studierenden der IT-Fakultät der Universität Masar, die nach dem Curriculum der TU Berlin ausgebildet wurden. 49% übrigens Frauen, das gab es selbst in Deutschland nicht. Es schmerzt mich, wenn ich heute an Afghanistan und seine Menschen denke. Und doch wird diese Saat eines Tages aufgehen. Menschen lassen sich auf Dauer nicht bevormunden.
Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Zeit an der Andrássy Universität gesetzt?
Wenn man sich richtig ins Zeug legt, ist die Andrássy Uni und ihr qualifiziertes Studienangebot ein toller Baustein, um sich auf eine internationale Tätigkeit vorzubereiten, ob in einem nationalen Dienst, bei der EU, einer internationalen Organisation, einem Think Tank oder einer NGO, einem transnationalen Unternehmen und mehr. Mein Ziel ist es, die notwendige Theorie bei einer soliden Ausbildung mit Praxisbezug anzureichern und bereits im Studium auch praktische Fähigkeiten zu fördern, z.B. durch das Angebot von Medientraining und Public Speaking. Vor allem aber möchte ich den Studierenden die Mentalität und Flexibilität näherbringen, die sie brauchen, um in einem diplomatischen Beruf erfolgreich zu sein.
Inwiefern sehen Sie Bildung als Schlüssel zur Förderung des internationalen Dialogs und zur Verständigung?
Natürlich ist Bildung der Schlüssel zu gegenseitiger Verständigung, zu Integration und gesellschaftlicher Teilhabe. Das gilt national wie international. Bildung ist darüber hinaus auch grundlegend für Transformation und Nachhaltigkeit.
Welche Ratschläge geben Sie jungen Menschen, die eine Karriere in der Diplomatie oder internationalen Beziehungen anstreben?
Mein Rat wäre: Haben Sie Mut und Zuversicht. Stellen Sie sich dem Gemeinwohl und dem Interesse Ihres Dienstes. Achten Sie auf Ihr Zusammenspiel im Team und seien Sie genauso in der Lage, Verantwortung und Personalführung zu übernehmen. Und vergessen Sie nie: Die Aufgaben sind vielfältig. Heißt übersetzt: Packen Sie an. Seien Sie bereit für die Extrameile.
Neben Ihrer beruflichen Tätigkeit: Welche Hobbys oder Interessen verfolgen Sie, um einen Ausgleich zu Ihrem beruflichen Engagement zu finden?
Zu meinen großen Hobbies gehört die Botanik. Ich wollte sogar einmal Landschaftsplaner werden oder Landwirtschaft mit Schwerpunkt Pflanzenbau studieren. De facto wurde ich bei jeder meiner Auslandsverwendungen sozusagen auch zum Botanikbeauftragten erkoren (wenn es einen solchen überhaupt gibt). Ich denke gerne an meine Juryteilnahme an der Rosenauszeichnung in Westflandern oder die Zusammenarbeit mit einem österreichischen Gärtner bei der Rehabilitierung des von Burle Marx angelegten Gartens der Deutschen Botschaft im UNESCO-gelisteten Brasília. Überall, wo ich gelebt habe, fing ich irgendwann an, den Garten umzugestalten, ihn neu anzulegen oder zu erweitern – oft in Zusammenarbeit mit örtlichen botanischen Gärten und anderen Pflanzenliebhaber*innen. Körperliche Betätigung, mit den Händen zu arbeiten und etwas Lebendiges zu gestalten, ist für mich ein wertvoller Ausgleich.
Gibt es kulturelle oder historische Aspekte, die Sie an Budapest und der Region besonders faszinieren?
In Budapest führte einer meiner ersten Wege direkt in den Botanischen Garten mit seinem Arboretum. Überhaupt mag ich die Stadt, ihre Lebendigkeit und die Großzügigkeit ihrer Anlagen. Ich entdecke jeden Tag etwas Neues aus ihrer spannenden Geschichte und pulsierenden Gegenwart. Budapest ist eine wirklich er-/lebenswerte Metropole. Und die Warmherzigkeit der Menschen, wenn man etwa in Etyek/Edeck beim Wein mit Blick in eine wunderbare Landschaft sitzt, beschert auch außerhalb der großen Stadt absolute Wohlfühlmomente.
Botschafter Dr. Robert Klinke
Beruflicher Werdegang: Dr. Robert Klinke ist ein erfahrener Diplomat und seit 2024 Inhaber des Lehrstuhls für Diplomatie II an der Andrássy Universität Budapest. Zuvor hatte er leitende Positionen in verschiedenen Botschaften und dem Auswärtigen Amt inne, unter anderem als Leiter der Botschaft in Zagreb und Generalkonsul in Masar-e Sharif. Er hat umfangreiche Erfahrung in der internationalen Außenpolitik, insbesondere in den Bereichen Energie und Menschenrechte.
Akademische Qualifikationen: Studium der Rechts- und Islamwissenschaften, Promotion Dr. iur. (Bonn).
Expertise: Fachmann für internationale Beziehungen und Diplomatie, spezialisiert auf Humanitäre Hilfe, Energieaußenpolitik und Antisemitismusfragen.
Text: Robert KLINKE, Natalija GRAČEVA
Foto: © Josip Niković