Graf Gyula Andrássy war einer der bedeutendsten Diplomaten des 19. Jahrhunderts, der sich stark für eine Verständigung der Völker und eine Zusammenarbeit der mitteleuropäischen Staaten eingesetzt hat. Mit dem Namen Andrássy Gyula Deutschsprachige Universität Budapest stellten die Gründer die Universität und ihre zukünftige Rolle in die historischen Traditionslinien Mitteleuropas.
Der Politiker Andrássy
Andrássy gilt zusammen mit Ferenc Deák (1803-1876) als Wegbereiter des modernen ungarischen Staates im Rahmen der Österreich-Ungarischen Monarchie. Die zu realpolitischen Kompromissen bereite Diplomatie von Graf Gyula Andrássy war neben den theoretischen und juristischen Grundlagen, die Ferenc Deák (1803-1876) mit „Weisen der Heimat“ gelegt hatte, maßgebend für das Ausgleichswerk Ungarns mit Österreich 1866-67. Als erster Ministerpräsident und Kriegsminister des Ungarischen Königreichs in der Doppelmonarchie 1867-1871 legte Andrássy mit seiner Regierung die Grundlagen zu einem neuen modernen bürgerlichen Ungarn und ermöglichte einen nie vorher gesehenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung des Landes und der Stadt Budapest (Pest, Buda und Óbuda wurden 1873 vereinigt). 1871-1879 wurde er als erster Ungar Außenminister und innerer Ratgeber von Kaiser Franz Joseph I., der in früherer Zeit, nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution 1848/49, den in französischer Emigration lebenden Grafen in Abwesenheit hatte zum Tod verurteilen lassen. Andrássy als Außenminister der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie etablierte ein neues Bündnissystem, den Zweibund mit dem Deutschen Reich in Zusammenarbeit mit dem Kanzler Fürst Otto von Bismarck (1815-1898). Es waren auch diese zwei Spitzenpolitiker, die am Ende der Balkankrise am Berliner Kongress 1878 eine neue Friedensordnung für Südosteuropa aushandelten.
Ohne seine politische Tätigkeit eingehend darzustellen, soll hier noch eine aus regionalhistorischer Sicht gegenwärtig wenig bekannter Tatsache erwähnt werden: Andrássy trug als gemeinsamer Außenminister der Donaumonarchie wesentlich zur Entstehung des modernen rumänischen Staates bei. Er vertrat konsequent die Notwendigkeit der Integration von Rumänien (1862: Fürstentum Rumänien; 1881: Königreich Rumänien) in die neue europäische Machtstruktur. So schloss er den ersten Handelsvertrag mit dem Rumänischen Fürstentum ab und erkannte damit als erster die Stellung dieses Landes in Europa an. Auf dem Berliner Kongress wurde dem Fürstentum durch die Vermittlung Andrássys auch noch die früher unter osmanischer Herrschaft stehende Dobrudscha (historisches Gebiet zwischen dem Unterlauf der Donau und dem Schwarzen Meer).
Der Mensch Andrássy
Der Graf war bekanntlich ein Realpolitiker. Laut eigener Aussage suchte er Ideale statt der Politik eher in der Kunst. Er war einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit in Ungarn, entdeckte und förderte auch das Malergenie Mihály Munkácsy. In seiner reichen Kunstsammlung befanden sich auch Werke von Rembrandt. Über Andrássys Charakter erfahren wir interessante Einzelheiten u. a. durch Alexander Okolicsányi (Wirklicher Geheimer Rat; K. u. K öst.-ung. Gesandter in verschiedenen europäischen Ländern).
Nach Okolicsányi verfügte der Graf über ein enormes Gedächtnis und pflegte deshalb oft anzumerken: „Dies oder jenes studiere ich nicht; wenn ich es wüsste, hätte ich zu viel Mühe es zu vergessen“. Er war eher ein Pragmatiker und Theorien lagen ihm fern. Durch seine hochadlige Erziehung lernte und sprach er von Haus aus mehrere Sprachen (Ungarisch, Deutsch, Französisch und Englisch) – weitere Fremdsprachen konnte er sich unglaublich leicht auch auf Reisen aneignen. Er schätzte Literatur und Theater, doch die akademischen Wissenschaften, besonders die Philosophie, erschienen ihm eher überflüssig und unpraktisch. Er war der Meinung, „dass das menschliche Hirn nur eine gewisse Anzahl von Läden enthalte, mit deren Anfüllung man vorsichtig zu Werke gehen müsse denn, sagte er, man braucht doch auch Platz fürs Denken“. Im Allgemeinen fand er die großen politischen Zusammenhänge interessanter als kleine Einzelheiten.
Als leidenschaftlicher Reiter pflegte Andrássy vor wichtigen Entscheidungen immer auszureiten. Bei schnellem Galopp konnte er besser und klarer denken als am Schreibtisch. So mussten auch 1878 zwei seiner guten Reitpferde zur großen europäischen Machtkonferenz bei Bismarck nach Berlin mitgebracht werden. Nach seinem Rücktritt von der Politik zog er sich auf seine Güter in Nordostungarn zurück und beschäftigte sich mit Landwirtschaft und Weinbau. Otto von Bismarck erhielt von seinem ‚persönlichen und politischen Freund‘ Andrássy jährlich vom eigenen Szomorodni-Wein und betrachtete diesen als das beste Arzneimittel.
Als Andrássy in der Villa Minach (heute in Volosko in Kroatien)1 am 18. Februar 1890 verstarb, endete ein unkonventionelles und politisch bedeutendes Leben. Die Erinnerung an Graf Gyula Andrássy und der in Ungarn bis zum zweiten Weltkrieg andauernde Kult um ihn begannen sofort nach seinem Tod. Nach der Verabschiedung durch die Nation und Kaiser Franz Joseph wurden die sterblichen Überreste in seine ländliche Residenz Tőketerebes (heute in der Slowakei) überführt und dort bestattet. Ein Andrássy Denkmal wurde erst 1906 beim neuen Parlamentsgebäude eingeweiht. 2014 bei der Rekonstruktion des Hauptplatzes der Nation wurde die am Ende des Zweiten Weltkriegs entfernte Statue an gleichem Ort neu errichtet. Damit wird Andrássys Stelle im Pantheon der ungarischen historischen Persönlichkeiten endlich rehabilitiert.
Anlässlich des 200. Geburtstages von Andrássy hat die AUB am 8. März 2023 zu seinen Ehren eine feierliche Kranzniederlegung an seinem Reiterstandbild organisiert. Den Bericht dazu finden Sie hier.
Henriett KOVÁCS
1 Mehr zur Villa Minach und zum Tod von Andrássy kann in der Andrássy Nachrichten 2020WiSe S.3-7. nachgelesen werden.
Literatur:
Wertheimer, Ede: Gróf Andrássy Gyula élete és kora. [Graf Julius Andrássy. Sein Leben und seine Zeit] Budapest, Magyar Tudományos Akadémia, 1910–1913. Bd. 1–3.
Kozári, Monika: Andrássy Gyula. Budapest, Gondolat Kiadó, 2018.
Diószegi, István: Andrássy. In: Budapesti Negyed 1. (1993/1.) online: http://epa.oszk.hu/00000/00003/00001/fej02.htm (abgerufen 14.12.2022)
Okolicsányi, Alexander von: „Beiträge zur Characteristik des Grafen Andrássy”, Deutsche Revue, 1890, Bd. II, Deutsche Revue digital: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/4671/7/ (abgerufen 14.12.2022)
Kovács, Emőke: „A szép akasztott” – id. Andrássy Gyula élete. [ „Der schöne Gehängte” – Das Leben von Gyula (Julius) Andrássy der Ältere] online: http://ujkor.hu/content/a-szep-akasztott-id-andrassy-gyula-elete (abgerufen: 14.12.2022)
Rößler, Hellmuth, "Andrassy, Julius Graf von" in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 274-275 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118502875.html#ndbcontent abgerufen: 14.12.2022)