Im Rahmen des Seminars von Dr. Heinrich Kreft „China als globaler Akteur, Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ hielt Anna Ho von der taiwanesischen Vertretung in Budapest am 7. Dezember 2022 einen Gastvortrag über Ihre Arbeit sowie die spezifische Lage und Besonderheiten Taiwans.
Zu Beginn Ihres Vortrages erläuterte Ho, dass in Taiwan aktuell etwa 90 % Han-Chinesen und Chinesinnen und 10 % Indigene, aufgeteilt auf sechs bis sieben verschiedene Stämme, leben. Weiterhin hob Sie die besondere geografische Lage des Inselstaates und der Taiwanstraße hervor, die eine wichtige Schiffverkehrsroute ist. Taiwan ist vor allem wegen seiner Halbleiterindustrie von globaler Bedeutung, da aktuell etwa 90 % der weltweit leistungsstärksten Chips von TSMC oder anderen taiwanesischen Firmen hergestellt werden. Obwohl derzeit eine große Fabrik in den USA gebaut wird, werde der Wettbewerbsvorteil Taiwans Ihrer Aussage nach in den nächsten zehn Jahren erhalten bleiben. Auch die EU will taiwanesische Chipfirmen nach Europa holen, jedoch mangelt es in vielen europäischen Ländern an sehr gut ausgebildetem Fachpersonal.
Taiwan sei es in den letzten Jahrzehnten gelungen, eine moderne und widerstandsfähige Demokratie zu werden und sich eine eigene Identität aufzubauen. So identifiziere sich ein stetig zunehmender Anteil der Bevölkerung als Taiwanesen (63,7 %) und ein abnehmender Anteil als chinesisch und taiwanesisch (30,4 %) (Stand Juni 2022). Das Versprechen der chinesischen Regierung, die Demokratie nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ auch nach der von Peking angestrebten „Wiedervereinigung“ zu erhalten, ist Hos Meinung nach nicht glaubhaft, wie man am Beispiel Hongkongs gesehen habe, zumal die Demokratie Taiwans in Peking noch mehr als Bedrohung für das Machtmonopol der Kommunistischen Partei gesehen werden dürfte.
Taiwan hat jedoch nicht nur mit sicherheitspolitischen, sondern auch sozialen Herausforderungen zu kämpfen. Aktuell gehört die Gesellschaft nach Japan zu den am schnellsten alternden weltweit, was mit vielfältigen Auswirkungen verbunden ist. Auch hat die Häufigkeit von Fake News-Attacken habe insbesondere nach dem Besuch Nancy Pelosis zugenommen. Die Regierung habe jedoch verschiedene Maßnahmen ergriffen, um gegen dieses Problem vorzugehen. So werden beispielsweise Programme mit künstlicher Intelligenz eingesetzt, die Fake News für jeden erkennbar machen, berichtete Ho.
Der Vortrag von Anna Ho und die anschließende sehr offene, fast einstündige Fragerunde hat den Studierenden die Möglichkeit gegeben, die Perspektive Taiwans auf das eigene Land und die VR-China kennenzulernen. In Erinnerung bleibt, dass die Gesellschaft Taiwans ihr Leben nicht durch die konstante Bedrohungslage durch die VR China bestimmen lässt.
Tanissa CONRADI