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Politischer Journalismus in Deutschland und Ungarn: Über die Rolle der Medien im demokratischen Prozess
Andrássy Universität Budapest
Wie berichten Journalisten über demokratische Abstimmungsprozesse und vor welchen Herausforderungen stehen sie dabei? Die Journalisten Nikolaus Neumaier und András Stumpf teilten ihre jeweiligen Erfahrungen im Gespräch mit Prof. Dr. Ellen Bos

Knapp zwei Monate nach der Bundestagswahl, die die politischen Gegebenheiten in Deutschland maßgeblich verschieben konnte, und etwa fünf Monate vor den richtungsweisenden Parlamentswahlen in Ungarn organisierte die Andrássy Universität Budapest gemeinsam mit dem Goethe-Institut Budapest am 24.11.2021 im Veranstaltungssaal des Goethe-Instituts eine Podiumsdiskussion, bei der „Wahlen aus der Perspektive von Journalisten“ betrachtet wurden. Dabei gaben Nikolaus Neumaier, Korrespondent im ARD-Studio Wien/Südosteuropa und langjähriger Leiter der BR-Redaktion Landespolitik, und András Stumpf, Redakteur bei Valász online und Träger des Prima-Preises sowie des Preises für Qualitätsjournalismus, Einblick in die Praxis der Wahlberichterstattung im deutschen und ungarischen Kontext.  

 

Zum Auftakt der Veranstaltung bedankte sich die Leiterin des Budapester Goethe-Instituts Dr. Evelin Hust bei allen Beteiligten für die Initiative zur Veranstaltung der Podiumsdiskussion und hob in ihrem Grußwort die enge Zusammenarbeit sowie die gemeinsamen thematischen Schwerpunkte der Andrássy Universität Budapest und des Goethe-Instituts Budapest hervor. Anschließend führte der Rektor der Andrássy Universität Prof. Dr. Zoltán Tibor Pállinger in die Thematik ein, indem er auf die Bedeutung des Journalismus und unabhängiger Berichterstattung für funktionierende demokratische Prozesse verwies. Prof. Dr. Ellen Bos, Prorektorin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs und Inhaberin des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa, griff diese Impulse auf, um im Gespräch mit Neumaier und Stumpf über die Rolle des Wahlberichterstatters und aktuelle Herausforderungen für die journalistische Begleitung von Wahlen in Deutschland und Ungarn zu reflektieren. 

Als besondere Herausforderungen für die journalistische Tätigkeit identifizierte Neumaier insbesondere die Verschiebung des politischen Diskurses in die Sozialen Medien und die Einschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie. So seien Politiker und Bevölkerung durch die Möglichkeit der direkten Online-Kommunikation theoretisch nicht mehr auf die Medien als Mittler angewiesen, doch gerade dadurch werde die Rolle der Medien umso wichtiger, schließlich können sie allein eine kritische Auseinandersetzung, umfassende Kontextualisierung und politische Ausgewogenheit gewährleisten sowie die Entstehung von Fakenews und Informationsblasen unterbinden. Die Gefahr der Kanalisierung politischer Botschaften bestehe auch, wenn aus pandemiebedingten Gründen Pressekonferenzen ohne direkter Anwesenheit von Journalisten abgehalten oder Medienkontakte minimiert werden. Hierbei sei es Aufgabe der Medienvertreter, den unmittelbaren Kontakt zu politischen Entscheidungsträgern zu wahren und deren Handeln kritisch zu begleiten. Nur so könne ein lebendiger politischer Diskurs entstehen und Meinungspluralismus als Fundament der Demokratie geschützt werden. Als Warnsignal gelten Neumeier dabei die Entwicklungen im Nachbarland Österreich, denn im Rahmen seiner Tätigkeit in Wien habe er, insbesondere im Zuge des Medienskandals um Ex-Kanzler Kurz, Verwerfungen im österreichischen Mediensystem wahrgenommen, die er so aus Deutschland (noch) nicht kenne und die ihn eher an Tendenzen in Ungarn erinnern würden.  

Hinsichtlich der Situation in Ungarn zeichnete Stumpf folglich ein eher pessimistisches Bild, das er anhand des Abrutschen Ungarns in globalen Pressefreiheitsrankings veranschaulichte und mit eigenen Erfahrungen untermauerte. Stumpf skizzierte das ungarische Mediensystem und den seit 2010 zunehmenden Willen der gezielten Lenkung desselben. Insbesondere regierungsfinanzierte Medien und Parteizeitschriften seien so zu einflussreichen Instrumenten geworden, die er als Propagandamedien bezeichnete. Der politische Diskurs und damit auch die Meinungshoheit im Vorfeld von Wahlen werde so durch tendenziöse Berichterstattung und ein Ungleichgewicht in der Medienvielfalt zu steuern versucht. Kritischer Journalismus müsse sich in Online-Netzwerke zurückziehen und sei auf die ausschließliche Finanzierung durch die Konsumenten dieser Medienportale angewiesen. Gleichwohl sieht Stumpf darin die Chance, die Unabhängigkeit und journalistische Qualität dieser Medien zu sichern. Auch hinsichtlich der Berichterstattung im Zuge der anstehenden Parlamentswahlen gab Stumpf sich zuversichtlich, da sich bei den Vorwahlen der Opposition gezeigt habe, dass in Ungarn weiterhin ein großes zivilgesellschaftliches Interesse an vielfältiger journalistischer Begleitung des Wahlprozesses bestehe.  

Zum Abschluss der Veranstaltung nutzte Dr. Melani Barlai, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa, die Gelegenheit, ein wahlbezogenes Projekt der AUB vorzustellen: Mit der Entwicklung des Online-Wahlhilfetools „Vokskabin“ versucht die Andrássy Universität Budapest gemeinsam mit dem Netzwerk Politische Kommunikation (netPOL) seit den Parlaments-, Europa- und Kommunalwahlen 2014 eine interaktive Orientierungshilfe zur Wahlentscheidung zur Verfügung zu stellen. Dabei werde sich konzeptionell am deutschen Wahlomat bzw. der österreichischen Politikkabine orientiert, um auch Wahlberechtigten in Ungarn die Möglichkeit zu geben, den eigenen politischen Standpunkt mit den Positionen der jeweiligen Parteien abzugleichen. Seit 2014 seien für neun ungarische Wahlen Online-Fragebögen auf Ungarisch, Englisch und Deutsch entwickelt worden, mittels derer sich die Nutzer anonym zu politischen Aussagen positionieren und Übereinstimmungen mit bzw. Abweichungen zu den antretenden Parteien erkennen können. Auch für die Wahlen 2022 befinden sich derartige Fragebögen in der Erarbeitung. Barlai betonte, dass die Nutzer es als überaus positiv bewerten, dass ein solches Tool in Ungarn existiert und dass mehrere Nutzer angaben, in der Folge eine bewusstere Wahlentscheidung getroffen zu haben.

Johannes Schmidt 

 

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