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Political Crisis in Europe - Konferenz über Direkte Demokratie
Conference on "Political Crisis in Europe and Direct Democratic Answers“, 04./05.05.2012

1. Panel: „Dimensions of the Crisis“

Um die „politische Krise“ fassen zu können, muss sie erst definiert werden können: Ein „Brandherd“ dieser Krise sei die Legitimation demokratischer Systeme, welche derzeit mit eine Reihe von Herausforderungen konfrontiert sei, so Zoltán Tibor Pállinger im Eröffnungsvortrag  des 1. Panels. Legitimität, aber auch die Einstellung zu den demokratischen Institutionen sowie das Niveau von In- und Outputlegitimation könne durch die Implementierung direktdemokratischer Instrumente erheblich verbessert werden, was aber nicht zuletzt auch von von anderen Faktoren abhängig ist, vor allem von der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung von Partizipation und Verantwortung durch den Souverän. Die Grenzen der Verantwortung zeigte Theo Schiller in seinem Vortrag auf: Eine Regierung, die dem Parlament und letztendlich den Wählern verantwortlich ist, ist ein Synonym für Demokratie. Aber dieser Verantwortlichkeit sei auch Grenzen gesetzt, so z.B. durch die zeitliche Diskrepanz von politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen oder auch internationalen Verträgen, die einen Staat binden können. Der Verlust demokratischen Vertrauens gehe mit diesen Prozessen einher: Regierungen sind nicht mehr allein verantwortlich für ihr Handeln, sondern es müsse auch das internationale Umfeld mit betrachtet und in den Bewertung einbezogen werden und kommuniziert werden. Über die Auswirkungen von Kommunikation auf die Bürgerbeteiligung sprach Frank Marcinkowski. Er stellte die Ergebnisse der zwei Umfragen dar, welche im Zuge zweier Referenden in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg (S-21) im Jahr 2011 durchgeführt wurden. Die zentrale Forschungsfrage dabei war, ob die Bürger gut begründete Entscheidungen treffen können und inwiefern sie dabei von den Medien und den Wahlkampfkampagnen manipuliert werden. Das Hauptergebnis der Untersuchungen war überraschend: Obwohl die Bürger tatsächlich tatsächlich mehr Informationen gewinnen und mit Argumente konfrontiert werden, verändern sich bestehenden politischen Präferenzen kaum. Maija Setälä diskutierte zwei wichtige Instrumente der direkten Demokratie: das Referendum und die Initiative. Das größte Probleme von Referenden sei, dass sie parlamentarische Verfahren untergraben, da Wähler ihre Entscheidungen nicht gut begründen müssen und dass sie keine Anreize haben, aufgrund von Sachinformation abzustimmen. Initiativen (großen „full-scale“ Initiativen oder Agenda Initiativen) können dagegen einige Vorteile bergen, aber die Fähigkeit, Initiativen zu organisieren ist in der Gesellschaft nicht gleichmäßig verteilt, was es schwieriger für kleine Gruppen macht, eine Initiative zu starten. Emanuel Richter stellte in seinem Vortrag die Beziehung zwischen Global Governance und direkter Demokratie her: Weltpolitik werde immer komplexer, weshalb vor allem die Souveränität  aus der Hand des Volkes immer mehr in die Hände der supranationaler „Agenturen“ abwandert.  Eine kosmopolitische Souveränität würde benötigt, um diese Krise zu lösen.

2. Panel: „Structure of Crisis Management“

Die Krise der Repräsentation der Bürger in der europäischen Politik und die Antworten durch mehr Partizipation auf europäischer Ebene präsentierte Hans Lietzmann. Im Bezug auf die Repräsentation in der europäischen Politik betonte er, dass die Institutionen der Europäischen Union demokratische Defizite aufweise: Repräsentative Demokratie braucht mehr demokratische Legitimation und die direkte Demokratie könne somit eine wertvolle Alternative darstellen. Direkte Demokratie stützt sich auf die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die politischen Entscheidungsprozesse: Bürger wollen mehr mit entscheiden, was sie bis jetzt allerdings nur auf nationaler Ebene können. Die „European Citizens Initiative“ (ECI) könne dazu der erste Schritt sein um auch die europäische Bedeutung der Zivilgesellschaft zum Ausdruck zu bringen. So könnte die Zivilgesellschaft auch auf EU-Ebene in den Entscheidungsprozess integriert werden.

Gebhard Kirchgässner referierte über die Beziehung von Konkordanzdemokratie und „Divided Government“: Konkordanz ist eine notwendige Bedingung für ein „Divided Government“ (geteilte Regierung), im dem der Wähler die Möglichkeit hat, die Aktivitäten der Regierung auch außerhalb der Wahlen zu beeinflussen. Elisabeth Alber wies in ihrem Vortrag die Möglichkeiten von territorialer und regionaler Regierungsführung (Dezentralisierung) hin, in einigen Mitgliedstaaten institutionelle Innovationen herbeizuführen. Sie betonte, dass diese Innovationen notwendig sind, um politische Krisen zu überwinden.

Krisztina Arató entzauberte Demokratie als einen Mythos in der Europäischen Union: In der Gemeinschaft befinden sich stabile demokratische Systeme, aber es sei fraglich, ob die EU auf ihrer eigenen Ebene demokratisch genug sei. Die Idee der Demokratie auf supranationaler Ebene sei problematisch. Es besteht eine Lücke zwischen den Bürgern und den EU-Institutionen. Die „European Citizens Initiative“ (ECI) könne die erste Möglichkeit für direkte Demokratie in einer supranationalen Gemeinschaft sein. Antworten auf die gegenwärtige Krise könne laut Bruno Kaufmann gerade das Instrument der Initiativen geben: Initiativen werden von Bürgern organisiert, um die politische Entscheidungsfindung zu beeinflussen und daran teil zu nehmen.

Martina Eckardt stellt in ihrem Vortrag Möglichkeiten dar, wie Informations- und Kommunikationstechnologie (von „e-government“ zu „e-governance“) zur Beeinflussung von Politik beitragen kann.

Keynote Speech: Andreas Gross - „The multiple & systemic crises of today’s democracies and some propositions to save it”

Im Rahmen der Konferenz präsentierte Andreas Gross (Parlamentarier im Nationalrat der Schweiz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg und ) seine Gedanken und Lösungsvorschläge zur Krise der Demokratie in einer interessanten „Keynote Speech“ am Abend des ersten Konferenztages: Seiner Ansicht nach ist die politische und gesellschaftliche Entwicklung in der gesamten Welt der letzten zwei Jahrzehnte durch „Ungleichzeitigkeit“ gekennzeichnet, welche besonders 2011 – im „Jahr der Demokratie“ zu Tage trat. In vielen arabischen Ländern durchlaufen die Gesellschaften Entwicklungen, welche mit den revolutionären Entwicklungen in Europa um 1848 zu vergleichen sind und starke demokratische Bewegungen hervorbringen, die das Ideal der Demokratie hoch halten. Gleichzeitig haben Bürgerinnen und Bürger in den „alten“ Demokratien zunehmend den Eindruck, dass ihre demokratischen Institutionen „verfallen“: Sie hätten nicht mehr das Gefühl, sich frei entfalten zu können und an politischen Entwicklung mitwirken zu können, wie es jetzt die arabischen revolutionären Gesellschaften können, die sich mitten im Prozess eines enthusiastischen Umschwungs befinden. Durch dieses verloren gegangene „Gefühl“ lässt sich auch nach Ansicht von Herrn Gross Phänomene wie Politikverdrossenheit, Mitgliederschwund in Parteien oder erstarkender der Verlust von Vertrauen in Regierungen erklären, was sich zu einer allumfassenden und präsenten Systemkrise ausweitet. Demokratische System würden durch diesen Vertrauensverlust in Gefahr laufen, immer weniger ihren Basisaufgaben nachkommen zu können, wie z.B. die ökonomischen Krisen gezeigt hätten. Dazu müssten sich demokratische Systeme von dem starken Einfluss des internationalen Marktes und Unternehmen befreien und ihre Entscheidungen durch stärkere direktdemokratische Verfahren legitimieren, welche aber unbedingt das nötige und richtige institutionelle „Design“ bräuchte, um richtig zu funktionieren und nicht ihrerseits zu Verdruss und Krise führen. Viele Bürger hätten heute ein großes „Cityoen“-Potenzial, welches unbedingt ausgeschöpft werden müsse. Ihnen müsse klar gemacht werden, dass „ihr“ System – wie in den arabischen Ländern – erneuert werden müsse und sie dafür „kämpfen“ müssen, dass Europa demokratischer wird.

3. Panel: „Case Studies“

Rolf Büchi lieferte einen Überblick über die Privatisierung der Wasserversorgung in Südamerika und wies dabei auf die komplexe Problematik der Globalisierung sowie die Entwicklungsphasen der lateinamerikanischen Wirtschaft hin. Anhand der Theorien von Bernard Lietaert erklärte er, wie die modernen Marktwirtschaft statt der Stabilität die Instabilität bzw. Ungleichgewicht als Fundamentalprinzipien gelten. Aus diesen Eigenschaften resultiere auch in den lateinamerikanischen Staaten eine Spannung zwischen den demokratischen Werten bzw. der Marktallokation, was die Einsatzmöglichkeiten des direktdemokratischen Instrumentarium stark beschränke. Das Projekt „Stuttgart 21“ bzw. die Volksabstimmung dazu kann dagegen laut einer Studie von Uwe Wagschal als ein kleiner Sieg für die Einsatzmöglichkeiten direkter Demokratie betrachtet werden: Die Bürger würden kontinuierlich nach einem höheren Beteiligungsgrad streben, wodurch die Legitimation des bestehenden politischen Systems auch gestärkt werden würde. Die in diesem Prozess erhaltenen Rückkopplungen seien aber zugleich durch bestimmte inhärente Risikofaktoren (status quo bias, NIMBY-Phänomen usw.) beeinflusst, was bei der zukünftigen Anwendung der demokratischen Instrumente unbedingt berücksichtigen sollte. Die Anwendung von direktdemokratischen Mitteln sei laut Wilfried Marxer erst dann geeignet, wenn das gesamte  potentiellen Ergebnis (Output) gerechtfertigt werden können. Marxer stellte in seinem Vortrag detailliert dar, wie liechtensteinische Banken ihre Geschäftspolitik aufgrund internationalen Drucks aufgegeben haben und damit das Wirtschaftssystem Liechtenstein veränderten und dazu kein Referendum initiiert wurde, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, was auf ein breites Einverständnis mit dieser Maßnahme schließen ließe. Ebenso stellte Salvör Nordal in ihrer Präsentation dar, wie die isländischen Bürger im Rahmen einer Volksabstimmung die Entschädigung ausländischer Bankeinleger durch die sog. ICEsave-Gesetze zweimal (in 2009 bzw. in 2011) abgelehnt haben.

Kálmán Pócza und Christoph Frei präsentierten abschließend die Entwicklung der direktdemokratischen Errungenschaften in den Vereinigten Königreich bzw. in Frankreich. In ihren Präsentationen versuchten sie die Problematik zu erläutern, wie das repräsentative System und die ungeteilte Souveränität (-sausübung) koexistieren können.

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