Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Religion und Diplomatie“, die seit dem WS 2021/22 von der Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt wird, hat Dr. Heinrich Kreft am 13. Dezember 2022 Dr. Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien zum Thema „Die Ostkirchen vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegen die Ukraine" eingeladen. Wegen einer kurzfristigen Corona Erkrankung der Referentin fand die Veranstaltung ausschließlich im Online-Format statt.
Kreft führte in das Thema ein und erläuterte die historisch enge Verbundenheit des orthodoxen Christentums mit der Russischen Föderation, aber auch der Ukraine. So bekennen sich aktuell in Russland 70 % und in der Ukraine 60 % der Bevölkerung zur Orthodoxie, jedoch ist die Art der Identifikation sehr unterschiedlich. So erläuterte Elsner, dass die Identifikation in Russland stärker eine kulturelle als eine religiöse sei, was zu einer tieferen gesellschaftlichen Verankerung geführt habe, während in der Ukraine die Identifikation mit der Orthodoxie stärker religiöser Natur sei. Die Orthodoxie im postsowjetischen Raum bezieht sich auf dieselben Wurzeln, nämlich auf das „Kyjiwer Taufbecken“. Die gemeinsame Vergangenheit mit ihrer politischen Instrumentalisierung und der gewaltsamen Homogenisierung prägt bis heute die Orthodoxie im postsowjetischen Raum, wenn es auch deutliche Unterschiede gibt bei der Entwicklung der Rechtsordnungen, der Zivilgesellschaft und der Aufarbeitung der Vergangenheit in den Nachfolgestaaten der UdSSR.
Die Politisierung der Kirche in Russland und der Ukraine
Die Politisierung der Kirche in Russland seit der Stalin-Ära ist auch heute noch prägend. So nutzte auch Putin die Kirche als Begründung für seinen Angriff auf die Ukraine, in dem er (fälschlicherweise) die Verfolgung der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) in der Ukraine anführte. Auch das Oberhaupt der ROK, Patriarch Kyrill, nutzt seine Predigten, von denen er seit Februar etwa 70-80 gehalten hat, um den russischen Angriffskrieg auch theologisch zu rechtfertigen. Die Kampfhandlungen werden beispielsweise als „metaphysischer Kampf“ gegen das Böse dargestellt, wobei die russische Armee zu den Verteidigern des Guten gehört. So kommt in der russischen Armee der Kirche die Aufgabe „patriotischer moralischer“ Erziehung zu.
In der Ukraine stellt sich die „Kirchenfrage“ bereits seit mehr als 30 Jahren. 1990 kam es zur „weitreichenden Autonomie“ der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK). Zwei Jahre später – nach der Unabhängigkeit der Ukraine - folgte die Abspaltung und Begründung der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kyjiwer Patriarchats. Beide blieben jedoch zunächst „konservativ-traditionellen Werte“ verpflichtet. Dies änderte sich jedoch mit der „Revolution der Würde“ (2013/14). 2018 folgte schließlich die Gründung der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) als „Wahlkampfprodukt“ Petro Poroschenkos. Dieses Erbe, eine politische Schöpfung zu sein, belastet die OKU bis heute.
Auswirkungen des aktuellen Krieges auf die Kirchen
Eine direkte Auswirkung des russischen Angriffs vom 24. Februar ist die Erklärung der „völligen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“ der UOK von Moskau. Beide orthodoxe Kirchen in der Ukraine beklagen eine Vielzahl - ca. 200 - zerstörte beziehungsweise schwerbeschädigte Kirchen und Klöstern (Stand: 01.12.2022). Auch gibt es vereinzelt Berichte über getötete bzw. verschleppte Priester. Nicht überraschend führt der Krieg vor allem zu einem Zulauf zur OKU, wobei sich ein sehr großer Anteil der ukrainischen Bevölkerung vielmehr als „schlichtweg“ orthodox bezeichnet.
Elsner ist sich sicher, dass eine Fusion der orthodoxen Kirchen in der Ukraine unrealistisch ist. Die allgemeine Zukunft der Orthodoxie, vor allem auch aufgrund des russischen Angriffskrieges, sei jedoch in vielerlei Weise ungewiss. So stelle sich die Frage, wie es für die ROK nach ihrem moralischen Tiefpunkt weitergehen kann und wie sich die Orthodoxie auch außerhalb Russlands theologisch positioniert. Vor allem die Jugend kehre der Kirche zunehmend den Rücken zu.
Tanissa CONRADI