Am 8. Mai 2012 hielt Herr Prof. Dr. Jürgen Stark, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) an der Andrássy Universität Budapest (AUB), einen Vortrag zum Thema „Europa in der Krise - Lehren und Perspektiven“. Der angesehene deutsche Ökonom hob in seinem Vortrag mehrmals hervor, dass es bei der Suche nach richtigen Antworten und Lösungen noch viele Fragezeichen gibt.
Er begann seine Ausführungen mit einer Skizzierung des Problems, dass die Unabhängigkeit der EZB seit Ausbruch der Finanzkrise untergraben wurde. Um die Märkte zu beruhigen, hat die EZB Staatsanleihen angeschlagener Mitgliedsstaaten gekauft. Herr Stark wies darauf hin, dass im Maastricht-Vertrag und im Statut der EZB nie vorgesehen war, dass die EZB die Regierungen der Mitgliedstaaten finanziert. Er führt anschließend aus, warum die Unabhängigkeit der EZB wichtig ist. Es gibt zwei Prinzipien, nach welchen eine Zentralbank handeln kann. Entweder es herrscht das Prinzip der Fiskaldominanz, unter welchem die Zentralbank der Haushaltspolitik untergeordnet wird, oder das Prinzip der monetären Dominanz mit dem Primat der Geldpolitk. Seit dem Verfall des Bretton-Woods-System und der daraus resultierenden Einführung des Papiergeldsystems wurde die Wahrung der Preisstabilität das höchste Ziel der Zentralbank, da diese der einzige Anker im gegenwärtigen Geldsystem ist.
Im Weiteren erläuterte Herr Stark das Problem, dass es in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) keine einheitliche Fiskalpolitik gibt. Es gibt lediglich gemeinsame wirtschaftspolitische Leitlinien sowie Haushaltsregeln, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) vereinbart wurden. Diese haben allerdings ihr Ziel, die Mitgliedsstaaten zu mehr Haushaltsdisziplin zu bewegen verfehlt, da sogar die größten Volkswirtschaften der EWWU jahrelang zu hohe Budgetdefizite aufwiesen.
Das Fundament für die Schuldenkrise wurde bereits im Jahr 1998 im Zuge der dritten Stufe der Umsetzung der EWWU gelegt. Die Aufnahme von elf Ländern war ein politischer Kompromiss, denn diese Länder waren für eine Währungsunion zu heterogen in ihren Wirtschaftsstrukturen oder wendeten, euphemistisch formuliert, die Strategie der „kreativen Buchführung“ an, um aufgenommen zu werden.
Die Komplexität der Dreifach-Krise wurde detailliert erörtert. Herr Stark meinte, dass die heutige Krise ein Phänomen sei, von welchem die meisten entwickelten Volkswirtschaften betroffen seien. Es gibt nicht nur die Staatsschuldenkrise, sondern die Finanz- und Wirtschaftskrise seien auch noch nicht überstanden.
Für Europa stellen nach Herrn Starks Meinung strukturelle Defizite das gravierendste Problem dar.
Herr Dr. Stark wies mit einer kreativen Anspielung auf das Motto der AUB „Wir machen Sie fit für Europa” hin und stellte die folgende Frage: „Wozu ist Europa fit?” Er meint, Europa sei nicht fit, weil es nicht wisse, wie man den Integrationsprozess weiterführen kann. Es zeige sich heute, dass eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne eine politische Union nicht funktionsfähig sei. Deshalb betont Stark, dass es notwendig ist neue Institutionen zu schaffen.
Er begrüßt einige der kürzlich verabschiedeten Regelungen, wie die Verschärfungen der Regeln im SWP und die Einführung nationaler Schuldenbremsen. Allerdings hält er andere Maßnahmen wie die Einführung von Eurobonds nicht für zielführend, da die Anreize zu Moral Hazard bieten würden. Er plädiert für eine stärkere makroökonomische Überwachung, um die Ungleichgewicht der Mitgliedsstaaten auszubalancieren.
Als Fazit zog Herr Stark schließlich, dass die Politik bereit sein solle, Lehren aus der Krise zu ziehen und sich statt auf die Erweiterung viel mehr auf eine Vertiefung der Integration zu konzentrieren. Außerdem betonte er, dass dem europäischen Interesse Vorrang gegenüber nationalen Interessen eingeräumt werden müsse.
Nach dem Ende des Vortrages wurden zahlreiche Fragen an Herrn Professor Stark gestellt. Dabei bewiesen die Kommilitonen und Professoren, dass sie für die komplexe Frage der Europakrise fit sind.
Text: Márta Várnagyi & Janina Apostolou