Von 13.-15.12.2013 fand unter dem Titel „Ein Europa der Bürger: Herausforderungen von der regionalen bis zur globalen Ebene“ an der Universität Passau der Jean-Monnet- Doktorandenworkshop statt, der gemeinsam von der Universität Passau, der Babes-Bolyai Universität Cluj-Napoca und der Andrássy Universität Budapest veranstaltet wurde. Im Rahmen des Workshops referierten Professoren und Doktoranden über ihre aktuellen Forschungsprojekte und stellten diese zur Diskussion.
Nach der Eröffnung des Kolloquiums durch PD Dr. Mariano Barbato (Babes-Bolyai Universität Cluj-Napoca), Prof. Dr. Daniel Göler (Universität Passau) und Prof. Dr. Ellen Bos (Andrássy Universität Budapest) konzentrierte sich das erste Panel am Freitagabend unter dem Titel
„Verfassungsrecht und Menschenrechtsschutz als interne Herausforderungen der europäischen Integration“ auf aktuelle institutionellen Fragen innerhalb der Europäischen Union. Eröffnet wurde das Panel mit Prof. Dr. Uwe Kranenpohls (Evangelische Hochschule Nürnberg) Vortrag
„EUGH, EGMR und BVerfG: Ein neues Geflecht in Grundrechtsfragen“, der sich mit der institutionellen Balance zwischen nationalen Höchstgerichten und dem EuGH und dem EGMR als Höchstgerichten auf europäischer Ebene beschäftigte. Kranenpohl zeichnete in seinem Vortrag zuerst die Entwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes sowie des Beziehungsgeflechts nationaler und europäischer Höchstgerichte nach. Anschließend ging er auf offene Fragen, Probleme und Kompetenzkonflikte im „Dreieck“ zwischen „Luxemburg, Straßburg und Karlsruhe“ ein, die sich u.a. aufgrund der Grundrechtscharta, die die Position des EuGH stärke, und durch den geplanten Beitritt der EU zur EMRK ergäben. Im zweiten Vortrag des Panels beschäftigte sind Prof. Dr. Ellen Bos anhand des Fallbeispiels Ungarn mit der Frage, inwiefern die verfassungsrechtliche Autonomie der EU Mitgliedstaaten durch die im Vertrag von Lissabon definierte gemeinsame Wertebasis der EU beschränkt ist. In ihrem Vortrag beleuchtete Bos die aktuellen Verfassungsänderungen in Ungarn und die Reaktion der EU-Institutionen auf diese.
Laut Bos zeigt das Beispiel Ungarn, dass die Grenze zwischen der autonomen Ausübung mitgliedsstaatlicher Kompetenzen und dem durch den Vertrag von Lissabon bestimmten öffentlich-rechtlichen Minimum nach wie vor nicht klar ist. Ferner sei schwierig festzustellen, worin eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von EU-Werten bestehe. Abgeschlossen wurde das Panel durch den Vortrag von Lukas Zech, M.A. (Universität Passau), der die europäische Grenzschutzpolitik in Hinblick auf ihre menschenrechtliche Dimension untersuchte. Zech glich in seinem Vortrag den Autonomiezugewinn der EU-Agentur Frontex seit der neuen Frontex-Verordnung von 2011 mit den weiterhin neuinstallierten menschenrechtlichen Kontrollmechanismen ab und kam zu dem Schluss, dass Frontex mit der aktualisierten Verordnung mehr Kompetenzen und einen größeren Spielraum bei Missionen habe, die menschenrechtlichen Kontrollmechanismen dahingegen defizitär seien. Die Diskussion, die sich an das Panel anschloss, setzte sich u.a. mit der Frage auseinander, inwiefern die EU nach innen postulierte Werte auch nach außen vertritt und inwiefern bestimmte Verfahrensweisen, die auf EU-Ebene Standard sind (z.B. sehr hohe Mehrheitserfordernisse) als kritisch angesehen werden können, wenn sie in einzelnen Mitgliedsstaaten wie z.B. Ungarn auf nationalstaatlicher Ebene zur Anwendung kommen.
Das zweite Panel am Samstagvormittag stellte sich unter der Moderation von Prof. Dr. Ellen Bos der Fragestellung der normativen und ethischen Rahmenbedingungen beim Einsatz militärischer Mittel. Nach einer Begrüßung folgte eine inhaltliche Überleitung von den Themenstellungen des Freitags-Panels: Während dieses die Themen Menschenrechtsschutz und interne Verfasstheit der Rechtsinstanzen in der EU diskutierte, ging es im zweiten Panel nun um die Außenbeziehungen der EU, die in drei Vorträgen aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet werden sollten.
Den Anfang machte Alexandra Jonas, M.A. (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) mit der Vorstellung eines Forschungsprojekts zu den strategischen Kulturen in Europa. Dabei erklärte Jonas zunächst die Begrifflichkeit der „strategische Kulturen“ als ‚Charakter‘ der Akteure, der sich aus deren kulturellen, geografischen und historischen Hintergründen ergebe und sich in den Normen und im Handeln widerspiegle. Das Projekt bündelte anhand der Arbeiten von insgesamt 30 Autoren Wesen und Wirkungen dieser unterschiedlichen Kulturen in 28 EU-Ländern. Verglichen wurden dabei vier Kategorien, nämlich das spezifische Ambitionsniveau der Streitkräfte, die Modi der Entscheidungsfindung, die außenpolitische Orientierung und der generelle Wille zum Einsatz. Die Ergebnisse könnten einen Ausblick auf mögliche Kooperationen auf europäischer Ebene liefern, nämlich unter der Annahme, dass gemeinsame Kooperationen von der Höhe der Normenkonvergenz abhängen. Hierfür wurden aus der Auswertung der Antworten auf die vier Kategorien drei Cluster gebildet: Die erste Gruppe besteht aus relativ kleinen Staaten mit limitierten Ressourcen, einem hohem Ambitionsniveau trotz hinreichender Mittel sowie einer Tendenz zu Institutionen wie der NATO. Die zweite Gruppe sieht das Militär als Mittel internationalen Handelns. Ihnen ist ein niedriges und mittleres Ambitionsniveau aber ein hoher Wille zur Krisenintervention zu eigen. Für die dritte Gruppe stellt das Militär einen Schutz vor Macht, aber auch ihre Manifestation dar. Ihr ist ein hohes Ambitionsniveau und hohe Flexibilität zu eigen, wobei dem starken Willen zur Nutzung der Macht vor einer schwachen Legislative eine starken Exekutive gegenübersteht. Strategische Kulturen, so Jonas, böten die Möglichkeit von Inseln der Kooperation: Schließlich würde angesichts der Finanzkrise besonders deutlich, dass nationale Eigenheiten schwerer wögen als die normativen Eigenheiten auf EU-Ebene.
Der zweite Vortrag von Prof. Dr. Daniel Göler stand unter dem Titel „Die Responsibility to Protect (RTP) als Herausforderung für die strategischen Kulturen der EU am Beispiel der Lybienkrise“. Göler stellte hier die Frage nach den Auswirkungen der RTP für die Kooperation der EU Staaten untereinander und für die Kriterien von Militäreinsätzen. Angesicht des nur wenig fortgeschrittenen Projekts einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft habe der durch die Finanzkrise ausgelöste Druck auf die Militärhaushalte das Prinzip pooling and sharing innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten wieder auf die Agenda gebracht. Eine solche Gemeinschaft werfe nun – insbesondere angesichts neuer, höchst komplizierter Sicherheitsbedrohungen durch den internationalen Terrorismus – die Frage nach dem Umgang mit unterschiedlichen Vorstellungen auf. Der RTP-Ansatz führe dabei zu vielen noch zu klärenden Problemlagen. Ersten wäre hier der Konflikt zwischen der Vorstellung, dass die Verletzung von Menschenrechten zum Eingreifen berechtige und dem Prinzip der Nichteinmischung zu nennen. Zweitens öffne die RTP mit der Schutzverantwortung gegenüber Bevölkerungen auch ein neues Set an möglichen Fällen militärischer Intervention (Bsp. Lybien-Resolution des UN-Sicherheitsrats). Außerdem herrschten zwischen den Ländern gravierende Unterschiede, sowohl in den jeweiligen strategischen Kulturen und als auch im Umgang mit regime changes, also dem Absetzen nicht-demokratischer Regierungen. Auf der EU-Ebene sehe er daher, so Göler, eine Multiplikation der Probleme. Die bestehenden Diskrepanzen würden eher vertieft, das Ziel einer gemeinsamen strategischen Kultur mithin unrealistischer.
PD Dr. Mariano Barbato widmete sich in seinem Vortrag „Post-Außenpolitik: Die EU als Pilgergemeinschaft“ der Idee einer neuen Prozess-Auffassung in der europäischen Politik und damit einhergehenden Fragestellungen: Inwieweit können Metaphern aus der Religion genutzt werden, um Transformationsprozesse zu gestalten? Zur Einleitung verwies Barbato auf einen Trend in der Weltgemeinschaft, der sich weg von Vorstellungen rein nationalstaatlicher Prägung hin zur Idee eines von allen Staaten gemeinsam geteilten, normativen aber diskutierbaren Wesenskern bewege, der in der Schutzfunktion, d.h. einer gemeinsamen Verantwortlichkeit der Staatlichkeit gegenüber den Bürgern (Menschen) liege. Gleichzeitig sei ein langsamer Bedeutungsschwund der nationalen Außenpolitik bzw. staatlichen Souveränität im Gefüge der EU und darüber hinaus zu beobachten. Dieser manifestiere sich z.B. in einer Bedeutungszunahme überstaatlicher Organisationen, die in zunehmendem Maße die Geschicke der Welt bestimmten. Genau hierauf ziele der Begriff der Post-Außenpolitik ab. Für die EU wiederum sei das gemeinschaftliche Handeln seit ihrer Gründung wesentlich. Angesicht der Post-Außenpolitik könne die Metapher der „EU als Pilgergemeinschaft“ als ein prozessualer (Schritt-für-Schritt-) Ansatz dienen, der heterogene Ansichten mit einem gemeinsamem Ziel vereint. Das Ziel der
‚Wallfahrt‘ sei dabei immer Triebfeder der inneren Transformation. Mithin führe eine solche Auffassung zu einer stärkeren und handlungsfähigeren Gemeinschaft, besonders hinsichtlich Vertiefungsprozessen der EU.
Nach einer Diskussion der Vorträge fasste Prof. Bos diese zusammen und leitete zu den Präsentationen der Doktorandenprojekte der Babes-Bolyai Universität über. Den Anfang machte hierbei Raul Rognean, der zunächst den aktuellen Stand seines Promotionsprojekts zur Frage „Wieviel institutionalisierte Religion verträgt der Staat im Rahmen der europäischen Union?“ am Beispiel der engen Kooperation zwischen rumänisch-orthodoxer Kirche und rumänischem Staat schilderte. Dabei erläuterte er die rumänische Situation nicht nur am Vergleich mit anderen Staaten, sondern beleuchtete beispielhaft auch viele sich daraus ergebende Problematiken. Roxana Stoenescu berichtete von ihrem Projekt zum Themenkomplex ‚Arbeit und menschliche Existenz‘, d.h. zu den Gestaltungsmöglichkeiten der heutigen Arbeitswelt und ihrer Auswirkung auf die heutige post-industrielle Gesellschaft in Europa. Im Kern ihres Vorhabens stehe dabei die Frage nach den Protektionsmöglichkeiten des sozial-kulturellen Systems gegenüber der Vereinnahmung durch die Ökonomie. Antonella Gyöngy schließlich stellte ihre Forschungsarbeit zur filmischen Aushandlung der nahen Vergangenheit und den daraus resultierenden Gedächtnisformen und -prozessen während der kommunistischen Diktatur in Rumänien und der DDR vor. Hier spielten besonders die Topoi des kommunistische Widerstandskämpfers und des Illegalisten eine große Rolle, die während der kommunistischen Epoche immer wieder in Erscheinung getreten seien und als Identifikationsfiguren dienten.
Im Anschluss stellten die Doktoranden der Universität Passau ihre Dissertationsprojekte vor. Alexandra Schmid promoviert zum Thema „Zwischen Outsourcing und Remote Control – die Migrationsgovernance der EU. Eine Risikoanalyse der EU-Externalisierungspolitik am Beispiel der Türkei und Mexiko.“ In Ihrer Dissertation untersucht sie unter Zuhilfenahme des External- Governance-Ansatzes inwiefern die Auslagerungspraxis der EU im Politikfeld Migration (z.B. im Fall von Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen oder bei von der EU finanzierten Flüchtlingslagern in Drittstaaten) sicherheitspolitische Risiken mit sich bringt. Katharina Burlafinger beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der Frage, wie die EU ihre Normen und Werte in die MENA-Regiontransferiert. Mittels einer Analyse der „weichen“ Formen von External Governance am Beispiel der Anna-Lindt-Stiftung und der Europäischen Demokratiestiftung soll herausgearbeitet werden, welche Mechanismen die EU einsetzt, um ihre Normen zu verbreiten.
Im abschließenden Panel des Tages präsentierten die Doktoranden der Andrássy Universität Budapest ihre Dissertationsprojekte. A. Ebner stellte sein Projekt zu Minderheitenstrategien aus Multilevel Governance Perspektive im Raum Siebenbürgen vor, dessen Ergebnisse Denkanstöße für den Abbau ethnischer Spannungen geben soll. Tim Kraski vergleicht in seiner ideengeschichtlich ausgerichteten Dissertation das Konzept der menschlichen Arbeit im klassischen Liberalismus und Marxismus und will die Ergebnisse dieses Vergleichs für die Politische-Kultur-Forschung in postsozialistischen Ländern fruchtbar machen.
Am Sonntag stellte Katsiaryna Yakouchyk (Universität Passau) im die Tagung abschließenden Panel ihr Dissertationsprojekt unter dem Titel „‘Wider Europe’ or ‘NearAbroad’? Analyzing Limits of European External Governance in Belarus“ vor. In ihrer Arbeit untersucht Yakouchyk einerseits, unter welchen Bedingungen die EU tatsächlichen oder potenziellen Einfluss auf die Innenpolitik Belarus‘ hat. Andererseits setzt sie sich mit der Frage auseinander, wie der Normen- und Wertetransfer der „soft power“ EU in Belarus durch russische Initiativen beeinflusst wird.
Insgesamt fand auf dem Jean-Monet Kolloquium ein sehr anregender interdisziplinärer und interuniversitärer Austausch statt, den die Organisatoren auch in Zukunft fortsetzen wollen. Den Organisatoren der Tagung und der Universität Passau sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
Text: A. Ebner, Tim Kraski
Die Veranstaltung wurde vom Projekt TÁMOP-4.2.2/B-10/1-2010-0015 gefördert.