Am zweiten Tag des Interdisziplinären Doktorandenkolloquiums stand die EU als internationaler Akteur im Mittelpunkt der Vorträge und Workshops. Am Morgen führten drei Referenten mit Impulsvorträgen in den Themenkomplex ein.
Den Anfang machte Dr. Ladislav Cabada, Prorektor der Metropolitan University Prag und PADME Visiting Fellow der AUB, mit seinem Vortrag „V4 in und gegen EU: populistisch gegründete regionale Zusammenarbeit in Zentraleuropa“. Prägende Fragen für die V4-Staaten nach 2004 waren und sind die künftige EU-Erweiterung auf dem Westbalkan, die Unterstützung für die östliche Dimension der Europäischen Nachbarschaftspolitik sowie die Energiesicherheitspolitik. Nicht alle politischen Entscheidungen der V4-Gruppe seien jedoch, entgegen häufiger Auffassung, von ihrem nationalpopuistischen Image geprägt, das vor allem Orbán und Kaczynsky, aber auch der ehemalige tschechische Ministerpräsident und heutige Staatspräsident Zeman oder auch der ehemalige slowakische Regierungschef Fico prägten. Die letzteren beiden stünden im politischen ideologischen Spektrum zwar eher auf der linken Seite, seien aber in vielen verschiedenen Kultur- und Wertefragen mit den ungarischen und polnischen Nationalpolitikern auf einer Linie. Vor allem in Ungarn und Polen lasse sich aber der Auto-Stereotyp des „Verteidigers von Europa“ häufiger erkennen. Die regionale Kooperation werde als Verteidigung gegen die doppelten Standards und liberalen Eliten der EU verstanden. Einseitig könne die V4-Kooperation jedoch nicht betrachtet werden, sie habe laut Cabada zwei Gesichter. So gebe es liberal-progressive Strömungen, wie zum Beispiel vonseiten der slowakischen Präsidentin Čaputová. Auch die Bürgermeister der Hauptstädte arbeiten eng zusammen und versuchen, politisch Einfluss zu nehmen. Als Fazit zog Cabada den Schluss, dass es sich um einen Kulturkampf der Visegrád-Staaten innerhalb der und gegen die Europäische Union handele, der sich jedoch überwiegend im Bereich der Symbolpolitik bewege. In der V4-Gruppe seien aber auch sehr pragmatische Ansätze zu erkennen. Beispielsweise seien sie sehr erfolgreich, was die Inanspruchnahme von Finanzmitteln aus Brüssel betrifft. Auch die Visegrád Battle Group sei ein wichtiges und auch positives Beispiel für die Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Erfolge würden allerdings oft nicht als Erfolge der Kooperation verkauft werden.
Dr. András Hettyey, Universitätsdozent der NKE Budapest und PADME Fellow der AUB, setzte die Reihe der Impulsvorträge fort mit Überlegungen zu Rollentheorie und ungarischer Außenpolitik seit 1990. Hettyey bediente sich für seine Analyse, deren Ergebnisse bald in Form eines Artikels erscheinen werden, der Rollentheorie aus der Soziologie. Rollen in diesem Sinne bestimmen das Verhalten, das vom Inhaber einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung im Umgang mit anderen im Allgemeinen erwartet wird. Auch außenpolitische Entscheidungsträger besitzen danch Rollenkonzepte, an denen sie ihr Verhalten ausrichten. Dadurch ergeben sich Beschränkungen für das außenpolitische Verhalten einzelner Staaten, während Rollenkonzepte gleichzeitig strukturbildend wirken, indem sie Stabilität und Wandel des internationalen Systems beeinflussen. Im Vortrag stellte der ehemalige Absolvent der AUB Herangehensweise und Ergebnisse seiner Analyse zahlreicher Reden und Interviews des ungarischen Ministerpräsidenten Orbáns und der beiden Außenminister Martonyi und Szijjártó im Hinblick auf das außenpolitische Rollenkonzept Ungarns dar.
Die Mehrheit der Konzepte stellten Ungarn als autonomes und selbstbestimmtes Land dar, vor allem in den Reden Orbáns. Auffallend sei, dass gemeinsame historische Wegmarken von „West-Europa“ und Ungarn sehr unterschiedlich interpretiert würden, was Konflikte vorprogrammiere. Im Jahr 2014 fand mit dem Wechsel der Außenminister von Martonyi zu Szijjártó in der ungarischen Außenpolitik eine Zäsur statt, mit der die Rollenkonzepte der ungarischen Außenpolitik wesentlich kombativer wurden. Hettyeys Ergebnisse zeigten, dass die letzten Jahrzehnte in der ungarischen Außenpolitik keinesfalls als Einheit zu betrachten sind.
Über das Verhältnis der EU zu den USA referierte abschließend Dr. Heinrich Kreft, Leiter des Lehrstuhls für Dipolmatie II an der AUB in seinem Impulsvortrag mit dem Titel „EU und USA – auf dem Weg zu „Partners in Leadership“? Die Beziehungen zwischen der EU und den USA seien immer komplex gewesen. So seien die USA zum Beispiel seit Entstehung der EU niemals nur Beobachter, sondern immer auch aktiv in Europa und an der europäischen Integration beteiligt gewesen. Die transatlantischen Beziehungen seien daher ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Debatte über die EU in der Welt.
In den USA werde die EU immer geprägt von der Tatsache wahrgenommen, ob die USA Europa nun brauchen oder nicht. Derzeit herrsche ein Bild von der EU als „ökonomischem Riesen und militärischem Zwerg“ vor, was die Dynamik in den jeweiligen Politikfeldern bestimme. Was die Klimakrise betreffe, so gelang es der EU bisher nicht, global eine führende Rolle einzunehmen. Hier habe nun Präsident Biden die Initiative ergriffen und versucht, die USA mit einzubringen, indem er einen „Vorgipfel“ der größten CO²-Emittenten ins Leben rief. Auch weiterhin fordern die Vereinigten Staaten von den europäischen Staaten, mehr zur internationalen Sicherheit beizutragen. Auch im Bereich Inneres, Justiz und Terrorbekämpfung sei die EU aufgrund des gemeinsamen Schengen-Raums und der Beziehungen zu Drittstaaten ein wichtiger Player, obwohl diese Thematik derzeit in den Hintergrund gerückt sei. In seinem Fazit stellte Kreft fest, dass aufgrund der engen transatlantischen Beziehungen die Rolle der EU als internationaler Akteur stark von den Beziehungen zu den USA geprägt werde, in der Selbst- wie auch in der Fremdwahrnehmung. Derzeit befänden sich EU und USA auf dem Weg, „Partners in Leadership“ zu werden. Dies sei aber vor allem in den USA konjunkturabhängig und noch ein weiter Weg.
Die anschließende Diskussionsrunde, an der neben den Referente Dr. Kristina Kurze, DAAD-Langzeitdozentin für Internationale und Europäische Politik an der AUB, und Dr. Christina Griessler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der AUB, griff die Themen aller Impulsvorträge noch einmal auf. Es ging um Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU und ihrer verschiedenen Positionen, um Rollenkonzepte der EU und Ungarns und auch den ungarischen Vorsitz im Europarat und damit einhergehende politische Fragestellungen.
Die EU weise als internationaler Akteur eine große Spannbreite an Themen auf, wie Kurze abschließend zusammenfasste, mit einer Dimension innerhalb der EU und auch einer externen, wobei die transatlantische Beziehungen aufgrund der gemeinsamen Punkte zu den wichtigsten gehörten. Theoriedebatten müssten auch immer wieder neu aufgeworfen und diskutiert und neue Ansätze in der Außenpolitikforschung berücksichtigt werden.
Schilan Stach