Dass Muslime in Deutschland durchaus patriotisch sein können und wollen und dabei nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa Brückenfunktion einnehmen können, das stellte Aiman A. Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), in seinem Vortrag am 30. März 2022 im Spiegelsaal der Andrássy Universität fest.
Zunächst begrüßte Dr. Heinrich Kreft die anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauer, darunter eine Delegation der Evangelischen Kirche im Rheinland unter Präses Dr. Thorsten Latzel, welche als Gäste der Reformierten Kirche Ungarns anwesend waren. Dabei wies Kreft auf die Bedeutung der Religion hin, die von allen Disziplinen jenseits der Theologie lange vernachlässigt worden sei. Dass Religion heute ein wichtiger Faktor in den internationalen Beziehungen ist, sei deutlich geworden. Welche Rolle dabei der Islam spiele und wie sich Muslime in Deutschland und in Europa in die gesellschaftlichen Debatten einbringen, darauf gehe Mazyek in seinem Vortrag näher ein.
Dieser begann seine Rede mit der Feststellung, dass auch er nicht umhinkomme, Bezug zu nehmen auf die gegenwärtige Situation in der Ukraine. Dabei betonte er, dass der Krieg in der Ukraine bei den Menschen, die den Bosnien-Krieg vor dreißig Jahren miterlebt haben, Erinnerungen an die eigene Vergangenheit und die schreckliche Zeit im Krieg wecke. Hilfsarbeit in Kriegs- und Krisengebieten sei unverzichtbar, und so leiste auch die von ihm selbst gemeinsam mit Rupert Neudeck (Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamour) gegründete Hilfsorganisation „Grünhelme e. V.“ wichtige Arbeit. Im Rahmen eines Aufenthalts in der Nähe von Erbil, Irak, entstand so auch die Idee seines Buches „Was machen Muslime in Weihnachten?“, als er dort gemeinsam mit dem Team der Grünhelme einmal Weihnachten feierte. Es sei ein schönes Weihnachtsfest gewesen, erinnerte sich Mazyek, und es habe zudem zu einem regen Austausch über die unterschiedlichen Feste in den Religionen, zu einem praktischen, interreligiösen Dialog geführt. Die Religionsfreiheit, so der ZMD-Vorsitzende, gehöre zu den Freiheiten und Errungenschaften der Aufklärung und zu den wichtigsten Gütern und Grundrechten unserer Demokratie in Europa. Historisch gesehen sei es noch nicht allzu lange her, dass die Völker in Europa Krieg im Namen ihrer Religion führten. Gerade in diesen Tagen müssten wir deutlich machen, dass wir kein Problem mit den Religionen, sondern stets mit faschistischen Ideologien haben, seien sie religiös, nationalistisch, völkisch, von links oder rechts beeinflusst. Man dürfe nicht rütteln am Postulat der Religionsfreiheit, die nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege und im Lichte der Aufklärung entwickelt wurde. Er zitierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der einmal gesagt haben soll, viele hierzulande seien erzogen worden, auf den Islam herabzuschauen. Schmidt habe auch gesagt, dass die Initiative zur Überwindung der Kluft zwischen dem Westen und der islamischen Welt vom Westen selbst ausgehen müsse, da er politisch und ökonomisch immer noch hoch überlegen sei. Mazyek selbst könne sich mit der Interpretation der Überlegenheit des Westens durchaus anfreunden, würde sie doch nur in der Realpolitik endlich umgesetzt. Die aktuelle Krise zwischen Russland und „dem Westen“, der den lange überwunden geglaubten Ost-West-Konflikt wieder aufleben lasse, sollten wir seiner Meinung nach auch nutzen, um zu zeigen, dass die Schnittmenge zwischen Islam und der in Deutschland viel zitierten Wertegemeinschaft viel größer ist, als es im ersten Augenblick erscheinen mag. Hierzu müsste aber auf die Vorurteile und Stereotypen verzichtet werden, damit das gegenseitige Zuhören und Fragenstellen funktionierten. Wenn, wie so oft, hervorgehoben wird, dass das Christentum Europa maßgeblich geprägt habe, dann dürfe nicht vergessen werden, dass dieses Christentum aus dem Morgenland komme und nicht aus Brandenburg oder Budapest. Ebenso der Islam und das Judentum, die auch ihre Spuren in unserer abendländischen Kultur hinterlassen haben. Gleichzeitig betonte Mazyek, dass der Islam, entgegen mancher Auffassung, nie wissenschaftsfeindlich gewesen sei. Ganz im Gegenteil: Im Orient seien die ersten Universitäten gegründet worden, hier gab es Vorreiter in Medizin, Kunst, Architektur und Literatur. Selbstverständlich habe das „europäische Abendland“ maßgeblich christliche Wurzeln. Trotzdem sei die Realität Europas in hohem Maße multikulturell, bunt und weitgehend tolerant. Seinen Vortrag schloss Mazyek mit der Erkenntnis, dass die drei großen, monotheistischen Religionen gleichen Ursprungs sind: Sie alle stammen aus dem Morgenland.
In der anschließenden Diskussion wurden verschiedene Themen angesprochen. Dass künftig auch Imame in der deutschen Bundeswehr eingesetzt werden sollen, wurde ebenso erwähnt wie die verstärkte Integration des Islam in die deutsche Außenpolitik. Der Aussage, ob denn der Islam wirklich ein Teil Deutschlands sei, wollte eine Teilnehmende nachgehen, die auch einen eigenen Erfahrungsbericht über das Leben als Muslima in Deutschland mit anführte. Die Frage, ob denn der Islam auch als Teil Ungarns betrachtet werden könnte, wurde wiederum von anderer Seite gestellt, ebenso, wie die Politik der aktuellen ungarischen Regierung im Hinblick auf die „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 bewertet werden könnte.
Einig waren sich schließlich alle, dass das facettenreiche Thema mithin nur angeschnitten werden konnte und zahlreiche weitere Aspekte diskutiert werden könnten. Herzlich gedankt sei der Hanns-Seidel-Stiftung für ihre großzügige Unterstützung der Veranstaltungsreiche „Religion und Diplomatie“.
Schilan STACH