Am 24. Juni 2014 luden die die Fakultät für Mitteleuropäische Studien (MES) an der Andrássy Universität (AUB) sowie das Österreichische Kulturforum Budapest (ÖKF) zum Abendvortrag von Dr. Richard Lein zum Thema „Zwischen Plan und Wirklichkeit. Die militärischen Planungen und Vorbereitungen Österreich-Ungarns für den Kriegsbeginn im Juni 1914“. Dies war der vorletzte Termin der im Rahmen Vortragsreihe „Österreich-Ungarn 1914-2014“ und thematisierte die Kriegsvorbereitungen auf Seiten Österreich-Ungarns sowie deren Realisierung bis zum Ende des Jahres 1914.
Im Vortrag wurden die Bedingungen und die konkreten Vorbereitungen für den Kriegseintritt Österreich-Ungarns im Juli 1914 dargestellt. Neben militärisch-strategischer Planung sowie dem Bündnis mit dem Deutschen Reich kam hierbei vor allem dem Eisenbahnwesen eine Schlüsselrolle zu. Die Bahn war spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein essentielles Element in der Kriegsführung für Aufmarsch und Versorgung der Armeen. Doch hinsichtlich der absehbaren Kriegsschauplätze auf dem Balkan und in Galizien erwies sich die verkehrstechnische Infrastruktur der Habsburgermonarchie als ineffizient, was weitreichende Folgen haben sollte.
Darüber hinaus, so Lein in seinen Ausführungen, war die k.u.k. Armee nicht genügend auf den Kriegsfall vorbereitet. Die letzten Kriege Österreich-Ungarns lagen lange zurück und die Verantwortlichen negierten die strategischen und technischen Entwicklungen in anderen bewaffneten Konflikten in Europa und Übersee. Neue Tendenzen der Kriegsführung (Stellungskampf, Flugzeugaufklärung, u.a.) wurden folglich kaum rezipiert und spielten in der eigenen Strategie daher keine Rolle. Zudem blieb die Truppenstärke der k.u.k. Armee lange hinter den Möglichkeiten zurück, die sich aus der großen Bevölkerungszahl der Habsburgermonarchie ergeben hätten. So betrug der Friedensstand der k.u.k. Armee vor 1914 gerade einmal 400.000 Mann, was im Kriegsfall unweigerlich zu einem Mangel an ausgebildeten Reserven führen musste.
Der Verrat der Aufmarschpläne durch den k.u.k. Generalstabsoffizier Alfred Redl an das Russische Reich sowie veränderte Prioritäten bei der Mobilmachung des Deutschen Reiches führten dazu, dass die bisherigen Kriegsplanungen Österreich-Ungarns zu Beginn des 20. Jahrhunderts obsolet wurden. Trotzdem wurden die Kriegspläne der Habsburgermonarchie bis 1914 nur in wenigen Details abgeändert. Die Entscheidung des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs Franz Conrad von Hötzendorf im Juli 1914, zuerst gegen Serbien aufzumarschieren, schränkte zudem die Handlungsfreiheit der Armee enorm ein, da Veränderungen des bereits laufenden Aufmarsches aufgrund der Komplexität des vom Eisenbahnbüro des Generalstabes erstellen Transportplans nicht möglich waren. Die österreichisch-ungarischen Armeen, die in Galizien operierten, agierten darüber hinaus aufgrund eines Versagens der Aufklärung weitgehend planlos und erlitten in den ersten Schlachten gegen die personell wie materiell überlegenen russischen Truppen schwerste Verluste. Binnen kurzer Zeit konnten die russischen Armeen bis über Lemberg hinaus vorrücken und besetzten in Folge fast ganz Galizien sowie die Bukowina. Die geschwächten k.u.k. Truppen traten t den Rückzug in die Karpaten an und bauten dort bis Ende 1914 eine Front auf, die vorerst gehalten werden konnte. Die Gesamtverluste der österreichisch-ungarischen Armee betrugen bis zu diesem Zeitpunkt fast 700.000 Offiziere und Soldaten, was eine enorme Schwächung ihrer Kampfkraft bedeutete.
Lein betonte in seinen abschließenden Ausführungen vor allem die Verantwortung des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs Franz Conrad von Hötzendorf für die militärische Katastrophe, dieser habe es jedoch geschafft, die Schuld auf seine Untergebenen abzuwälzen. Letztlich habe die Habsburgermonarchie relativ rasch auf die Niederlage reagiert und sowohl die Ausbildung ihrer Truppen als auch die Kriegstaktik angepasst, letztlich habe sich die k.u.k. Armee jedoch nie wieder von dem Kräfteabfluss des Jahres 1914 erholt.
Katharina Haberkorn