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Weniger Idealismus und mehr Realismus – Deutschland im Zeitenwenden Dilemma
Prof. Dr. Herdegen kritisierte in seinem Vortag das Wechselverhältnis von Recht und Politik in Deutschland und forderte mehr Offenheit und Realismus im politischen Diskurs.

Am 03.05.2023 begrüßte Dr. Heinrich Kreft, Leiter des Zentrums für Diplomatie, Prof. Dr. Herdegen an der Andrássy Universität. Herdegen ist Direktor der Institute für Öffentliches Recht sowie Völkerrecht an der Universität Bonn und hat kürzlich das Buch „Heile Welt in der Zeitenwende: Idealismus und Realismus in Recht und Politik“ veröffentlicht, in dem er sich kritisch mit der Sonderrolle deutscher Leitvorstellungen auseinandersetzt.

Kreft hob in seiner Eröffnungsrede des Abends hervor, dass mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ein Kernziel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gescheitert sei, nämlich die Einbindung Russlands in eine kooperative europäische Sicherheitsordnung. Der Frage, ob diese „heile Welt“ in Deutschland bereits vor dem 24.02.2022 zerbrochen war, widmete sich Herdegen in seinem anschließenden Vortrag.

Herdegen attestiert den Deutschen eine Sehnsucht nach einer heilen Welt und ein hohes Harmoniestreben, das auch durch unsere Eltern und Großeltern nach dem zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Obwohl der Rest der Welt oft von den gleichen Sehnsüchten getrieben wird, vertrete Kontinentaleuropa und hier insbesondere Deutschland diese Harmoniesucht in Reinkultur. Der russische Angriffskrieg hat Deutschland nun gezwungen sich stärker mit seiner inneren und äußeren Sicherheit auseinanderzusetzen. Ob die Zeitenwende jedoch zu einem neuen Realismus geführt hat, ließe sich nur mit einem „Jein“ beantworten. Obwohl die Zeitenwende von Berlin ausgerufen wurde und Gelder dafür bereitgestellt wurden, scheuten die Deutschen vor einer Führungsrolle zurück. Dieses ließe sich gut an den diversen Entscheidungen über Waffenlieferungen an die Ukraine beobachten, bei denen sich Berlin nur im Geleitzug mit anderen bewegte. Hier stehe die militärische Zeitenwende ganz offensichtlich im Konflikt mit dem Wunsch nach einer heilen Welt.

Herdegen kritisierte weiterhin explizit, dass richterliche Entscheidungen vermehrt den politischen Spielraum in Deutschland einengen. Richterlicher Aktivismus führe zu Eingriffen in die Politik und damit zu einer Machtverschiebung in Richtung der Judikative und stelle somit ein demokratietheoretisches Problem dar. Den JuristInnen selbst fehle nämlich die demokratische Legitimation. Er beklagte, dass die Politik ihren Gestaltungswillen aufgegeben habe. So kritisierte er beispielsweise die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes zum Urteil über das Klimaschutzgesetz: Die RichterInnen führten die mangelnde Fähigkeit der Politik an auf langfristige Veränderungen zu reagieren aufgrund der kurzen Wahlperioden. Die Aufgabe des Klimaschutzes sei so wichtig, dass man sie nicht der Politik überlassen könne!

Zum Abschluss seines Vortrages forderte Herdegen weniger Idealismus und mehr Realismus sowie strategische Vorausschau. Mehr Spielraum für die Politik und Offenheit im politischen Diskurs seien von Nöten, um den demokratischen Rechtsstaat  auch in einer  künftigen Weltordnung, die weniger vom „Westen“ geprägt sei, wettbewerbsfähig zu halten.

Tanissa CONRADI

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