Am Donnerstag, den 8. Mai 2014 fand im Spiegelsaal der Andrássy Universität Budapest (AUB) zum Thema The role of “e“ in creating a European identity in a time of crisis eine Po-diumsdiskussion statt. Die Diskussion war Bestandteil der zweitätigen wissenschaftlichen Konferenz "Central and Eastern European eGov Days 2014", die am 8. und 9. Mai an der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst und der AUB abgehalten wurde.
Auf dem Podium der Diskussion am 8. Mai 2014 saßen Prof. Dr. Erhard Busek (ehemaliger Vizekanzler Österreichs; ehemaliger Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa), Dr. Wolfgang Riedler (Geschäftsführer der Wiener Zeitung), Prof. Dr. Diana Šimić (Universität Zagreb, Vizedekanin der Fakultät für Organisation und Informatik; ehemalige Vizestaatssekretärin in der zentralen staatlichen Verwaltungsstelle für e-Croatia) und Ferenc Suba (Spezialist und Berater im Bereich Cyber-Security; Vizevorsitzender der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit ENISA). Moderiert wurde die Diskussion von Blaž Golob (Gründungsdirektor des Centre for eGovernance Development for South East Europe).
In seiner Begrüßung und Einleitung zu Beginn der Podiumsdiskussion verwies der Prorektor der AUB Prof. Dr. Hendrik Hansen auf die Ähnlichkeit zwischen den positiven Zukunftserwartungen, die mit elektronischen Kommunikationsmitteln oft in Verbindung gebrachten würden, und der positiven Zukunftsvision, die im politischen Denken Immanuel Kants vorzufinden sei. Im Zusammenhang mit dem Internet würde, so Prof. Hansen, oftmals argumentiert, dass dessen Entwicklungen aus sich selbst heraus zu mehr Aufklärung und Demokratie und innerhalb Europas zu einer europäischen Identität führten. Eine ähnliche Sichtweise ließe sich in Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden finden, in der die These vorzufinden sei, die Verbreitung republikanischer Verfassungen führe zu zwischenstaatlichem Frieden. Der bereits bei Kant angelegte Traum einer derart positiven Zukunftsentwicklung tauche in der Geschichte immer wieder auf – bspw. in der Globalisierungsdiskussion der 1990er Jahre, in der erwartet wurde, die Globalisierung führe zu Wohlstand und Frieden für alle. Oder eben in der Diskussion um elektronische Kommunikationsmittel. Im Gegensatz zu diesen rein optimistischen Sichtweisen betonte Prof. Hansen, dass insbesondere die Verbreitung und Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel ambivalent sei. Denn nicht nur pro-demokratische Kräfte, wie z.B. Demonstranten in der Ukraine, könnten sich des Internets bedienen, sondern auch anti-demokratische Kräfte, wie bspw. Jobbik in Ungarn. Diese Ambivalenz zeige, so Prof. Hansen, wie wichtig das Thema der Podiumsdiskussion sei.
In der anschließenden Diskussion wurden Fragen zum Zusammenhang von europäischer Identität, europäischen Krisenerscheinungen und der Rolle des „E“s aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Ein Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Frage, worin eine bzw. die europäische Identität überhaupt bestehe bzw. bestehen könne und inwiefern Europa einer (neuen) Narration seiner Identität bedürfe oder nicht. Bezogen auf den Gehalt der europäischen Identität betonte Prof. Dr. Erhard Busek in Anlehnung an Jacques Delors, dass diese Identität sich nicht allein in ökonomischen Fragen erschöpfen könne. „You cannot love a common market“, zitierte er Delors. Vielmehr sei es notwendig, Europa eine Seele und damit auch eine Identität zu geben. Aus Prof. Dr. Buseks Sicht sind die Philosophie der griechischen Antike, das Römische Recht, das Erbe der jüdisch-christlichen Religionen sowie die Aufklärung zentrale Anknüpfungspunkte für solch eine genuin europäische Identität, da sich deren Auswirkungen bis heute in vielerlei Lebensbereichen in Europa finden ließen. In der ersten offenen Runde für Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum merkte Prof. Dr. Johannes Pichler (Österreichisches Institut für Europäische Rechtspolitik) an, dass eine europäische Identität über einen Bezug zur Vergangenheit hinaus auch einer Zukunftsvision für Europa bedürfe, die nicht – wie momentan überwiegend der Fall sei – aus Ärger über und Angst um die EU bestehen dürfe, sondern vielmehr aus „Hoffnung und Stolz“. Ähnlich argumentierte Dr. Wolfgang Riedler, der betonte, dass es wichtig sei, die Art und Weise, wie wir über Europa denken und sprechen, zu verändern. Würde heute über Europa gesprochen, so erschöpfe sich dies häufig in einseitig negativen Themen wie Überregulierung (Stichwort „Bananen“ oder „Staubsauger“), Korruption oder die militärische Schwäche der EU. Laut Dr. Riedler wäre es notwendig, diese Form der Kommunikation hin zu einem positiveren Bild der EU zu verändern. Weiterhin wäre es notwendig, nach wie vor in den Köpfen der Menschen existierende Grenzen abzubauen und Andersartigkeit und Vielfalt zwischen den europäischen Gesellschaften (z.B. Andersartigkeit im Denken oder bezogen auf Sprachen) zu akzeptieren. Dr. Busek und Dr. Riedler stimmten darin überein, dass hierfür nicht zuletzt die Universitäten in der Pflicht stünden und eine zentrale Rolle spielten, ein angemessenes Narrativ für eine europäische Identität zu entwickeln. In diesem Zusammenhang merkte Prof. Dr. Diana Šimić an, dass Identität zwar einerseits aus einem Gefühl der Zugehörigkeit entstehe, andererseits aber auch aus dem Gefühl der Unterschiedlichkeit. Letzteres stelle insbesondere im Falle der südosteuropäischen Länder bzw. der Länder des Westbalkans eine besondere Herausforderung dar.
Was die Rolle des „E“s für die Erschaffung einer europäischen Identität betrifft, wurde im Verlauf der Podiumsdiskussion insbesondere dessen Potenzial betont: Das „E“ stelle Instrumente zur Verfügung, grenzüberschreitende politische, kulturelle und philosophische Debatten zu führen. Weiterhin ermögliche es, den politischen Prozess transparenter zu gestalten, die „Black-Box“ der politischen Prozesse auf EU-Ebene aufzubrechen, die Kommunikation zwischen Bürgern und Politikern zu verbessern, Politik näher beim Bürger anzusiedeln und somit der einseitig negativen Wahrnehmung der EU entgegenzuwirken. Ferenc Suba betonte, dass die ständige Kommunikation auf europäischer Ebene dabei helfe, ein gemeinsames Verständnis von Europa zu entwickeln, und dass bei dieser Frage nicht zuletzt eine gute Nachbarschaftspolitik der europäischen Länder untereinander eine wichtige Rolle spiele. Aus Sicht von Dr. Busek besteht die zentrale Voraussetzung dafür, die europäische Identität und das Zugehörigkeitsgefühl zu Europa zu stärken, darin, eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen, die über die nationalen Einzel-Öffentlichkeiten hinausgeht. In diesem Prozess könne das „E“ unterstützend wirken.
Die eGovernment-Days, in deren Rahmen die Podiumsdiskussion stattfand, wurden als Kooperationsveranstaltung des Bundeskanzleramts Österreich, der Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst, der Österreichischen Computergesellschaft, des Österreichischen Instituts für Europäische Rechtspolitik und der Andrássy Universität Budapest organisiert. Den Partnern und Förderern der Konferenz – namentlich die Fluggesellschaft Austrian, die Baden-Württemberg-Stiftung, das Büro der Konrad Adenauer Stiftung in Budapest und das Österreichische Kulturforum Budapest – sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
Text: Tim Kraski