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Symposium zum Eurovsion Song Contest an der AUB
Fakultät für Mitteleuropäische Studien

Anlässlich der Austragung des 60. Eurovisions-Song Contest (ESC) in Wien 2015 richteten die Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy Universität Budapest (AUB) und das Österreichische Kulturforum Budapest am 11. Mai 2015 gemeinsam ein Symposium zur Geschichte sowie der kulturpolitischen Bedeutung des ESC im Kontext des europäischen Einigungsprozesses aus.

Der erste, aus vier Vorträgen bestehende Teil der Veranstaltung wurde von Dr. Orsolya Lénárt, Oberassistentin an der Fakultät für Mitteleuropäische Studien der AUB, moderiert. Dr. Dean Vuletic, Historiker am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, eröffnete das Symposium mit seinem Vortrag zum Thema: „Die Geschichte des Song Contests. Geschichte Europas durch Popmusik“. Er erläuterte, dass der Beginn des Wettbewerbes weder politisch noch kulturell motiviert gewesen war, sondern in erster Linie ein Austesten des damaligen technischen Fortschritts und des neuen Mediums TV. Aus diesem Grund sei die Erfüllung des technischen Standards – neben der bloßen Mitgliedschaft in der Europäischen Rundfunkunion, welche den Wettbewerb ausrichtet – bis heute das einzige Teilnahmekriterium. Nichtsdestotrotz habe sich der ESC schon bald zum Spiegel der politischen Situation Europas entwickelt. Als Belege hierfür nannte Vuletic die Einrichtung des Intervision-Liederwettbewerbes der Fernsehanstalten der sozialistischen Länder Mittel- und Osteuropas als Gegenstück zum ESC, ebenso wie die zahlreichen Beiträge, die in Liedtexten politische Botschaften der Teilnehmerstaaten übermittelten. Dabei habe der Song Contest aber stets nicht nur als Bühne für die politische Selbstdarstellung einzelner Länder, sondern immer wieder auch als Brücke zwischen den europäischen Nationen gedient. Der anhaltende Erfolg des ESC, so Vuletic, sei letztendlich auf seine Fähigkeit zurückzuführen, sich dem Lauf der Zeit anzupassen. Aus diesem Grund sei es auch so interessant, die jüngere Geschichte Europas anhand dieses Wettbewerbes zu erforschen.

Im Anschluss sprach Mario R. Lackner, österreichischer Schriftsteller, Sexualwissenschaftler und Song Contest Consulter, über „Das Phänomen Conchita Wurst und seine gesellschaftspolitischen Dimensionen im Kontext des europäischen Friedensprojektes Eurovision Song Contest.“ Anhand seines Buches ‚Conchita Wurst: Backstage‘ erläuterte er zum einen die Entstehung der Figur ‚Conchita Wurst‘ in der queeren Subkultur Wiens und inwiefern diese eine Weiterentwicklung des Travestiegenres und der Dragqueens darstelle. Er ging außerdem auf die Inszenierung der Figur zum Song Contest selbst ein, wobei er Conchita Wurst nicht in erster Linie als Sängerin betrachtete, sondern in ihr ein Sprachrohr für die veränderte Gesellschaft – nicht nur für einzelne Subkulturen – verstand. Zwar zeigten, so Lackner, die feindlichen Reaktionen auf den Überraschungserfolg Conchitas, dass unsere Kultur noch Entspannung benötige. Da sie uns aber mit unseren eigenen Konflikten und zum Teil auch unserer Abscheu konfrontiere, könne sie einen wichtigen Beitrag zum Frieden in Europa leisten.

Im dritten Beitrag von Andra Octavia Draghiciu, Mitglied des MES-Doktorandenkollegs an der AUB, stand die „Jugendkultur in Osteuropa vor der Wende“ im Mittelpunkt. Anders als man vielleicht vermuten würde wurde die osteuropäische Jugendkultur durch westliche Trends beeinflusst, welche eine wesentliche Rolle in der östlichen Popkultur spielten. Rock ’n’ Roll, die Beatles, die Rolling Stones, Janis Joplin, Jimmy Hendrix oder die Hippiekultur waren auch im Osten weit verbreitet und prägten die nationale musikalische Landschaft/nationalen Bands. Aber nicht nur die Musik, sondern auch die Mode, allen voran die Jeans – Wert wurde vor allem auf eine echte „West-Jeans“ gelegt und nicht auf eine im Osten produzierte Jeans – avancierte zu einem regelrechten Statussymbol dieser Zeit. In den 1970iger und 1980iger Jahren schwappten dann Hard Rock, Punk und Heavy Metal von West nach Ost. Demgegenüber fand auch der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“/ „Eurovision Song Contest“ (ESC)  durch die Schaffung eines „Intervision Song Contest“, der zw. 1977–1980 im polnischen Sopot ausgetragen wurde, Eingang in die östliche Popkultur.

Der vierte und gleichzeitig letzte Vortag vor der abschließenden Podiumsdiskussion von Prof. Dr. Georg Kastner, Dekan der Fakultät für Mitteleuropäische Studien an der AUB, setzte sich mit der „österreichischen Identität und dem Eurovision Song Contest“ auseinander. In einem sehr interessanten Beitrag, der mit skurrilen und teilweise bizarren Ausschnitten der österreichische ECS–Historie gespickt war, wurde zunächst auf die Suche nach der österreichischen Identität nach 1945 im Allgemeinen und anschließend in Verbindung mit dem ESC eingegangen. Danach wurde auf die lange Geschichte Österreichs beim ESC sowie die Erfolge und Misserfolge Bezug genommen. Die Höhenpunkte der österreichischen ESC Geschichte sind sicherlich die beiden Siege von Udo Jürgens (Merci Cherie) 1966 und Conchita Wurst (Rise Like a Phoenix) im letzten Jahr (2014), jedoch kann Österreich auch andere gute Ergebnisse vorweisen, wie bspw. Udo Jürgens 1964 und 1965, Waterloo & Robinson 1976 sowie Thomas Forstner 1989. Im letzten Teil stand schließlich die Bedeutung des ESC für Österreich im Fokus und somit auch das sehr ambivalente Verhältnis Österreichs zum ESC.

Der ESC schafft es dabei die gesamte Gefühlsbandbreite – von himmelhoch jauchzend bis zum Tode betrübt – der österreichischen Seele, wie es sonst nur Fußballspiele oder Skirennen schaffen, abzudecken. Gerne werden die durchaus vorhandenen Achtungserfolge schlecht geredet und die Erklärung in etwaigen Verschwörungstheorien der „Skandinavier“ oder „der Osteuropäer“ gesucht, die „sich gegenseitig die Punkte eh nur hin und her schieben“.  Ein Land wie Österreich hätte daher keine Chance. Obgleich man in Mitteleuropa mit Deutschland und der Schweiz zwei deutschsprachige Verbündete hätte, mit denen man ebenso gut „packln“ könnte, kam es komischerweise nie zu diesen Allianzen. Ganz im Gegenteil: in den seltensten Fällen gab man den deutschsprachigen Nachbarn Punkte und erhielt ebenso wenige aus Deutschland und der Schweiz. Doch der ESC hat in der österreichischen Geschichte auch eine politische Komponente, als man sich bspw. 1968 am Vorabend des Prager-Frühlings bewusst entschied, mit Karel Gott einen tschechischen Sänger zum ESC zu entsenden oder als man im darauffolgenden Jahr (1969) die Teilnahme am ESC in Madrid aus Protest gegen das Franco-Regimes zurückzog. In diesem Beitrag wurde sehr deutlich, dass Österreich eine sehr reiche, emotionale und vielseitige Beziehung zum ESC hat.

Die an die Vorträge anschließende Podiumsdiskussion wurde von Prof. Kastner moderiert. Am Meinungsaustausch nahmen neben Dean Vuletic und Mario R. Lackner auch Universitätsdozent Dr. Ferenc Hammer von der Eötvös Lórand Universität Budapest sowie Nadine Beiler, ESC-Teilnehmerin für Österreich 2011, und András Kállay-Saunders, ESC-Teilnehmer für Ungarn 2014, teil.

Auf die Frage, inwiefern der Song Contest Teil der europäischen oder aber der nationalen Kultur sei, antwortete Ferenc Hammer, dass Popmusik sehr nationalistisch sei. Eine internationale Karriere sei, so Hammer, mit englischen Texten zwar eher möglich, aber eine Hochzeitsfeier verlange etwa nach Liedern in der eigenen Muttersprache. Dean Vuletic meinte, dass Nationalismus und Internationalismus Hand in Hand gingen während Mario R. Lackner den Song Contest als „transzendenten Event” bezeichnete, bei dem viele Menschen im Publikum die eigene Trikolor als Make-up auf dem Gesicht hätten, aber trotzdem gelegentlich auch für Kandidaten aus anderen Ländern mitfieberten. Er betonte das Motto „Brücken bauen”, und auch Sängerin Beiler unterstrich, dass bei dem Wettbewerb alle Künstler gleich aufgenommen würden.

Ein weiterer Gegenstand der Diskussion waren Provokation beim und um den ESC, woraufhin Vuletic meinte, dass Provokation eine Branding-Strategie für Nationen sein könne. Österreich wäre ein offenes, freies Land, hätte aber nicht dieses Image. Lackner wies darauf hin, dass die Methode „fake it until you make it” nicht nur bei Einzelpersonen, sondern auch bei Nationen funktionieren würde. Er meinte, Europa hätte sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sehr weit in Bezug auf das Thema Menschenrechte entwickelt. Eine Frage aus dem Publikum sprach das Thema Euroskeptizismus an. Es wurde betont, dass man die Wirkung von Popliedern nicht unterschätzen sollte.

Über die Wirkung der Lieder auf das Publikum sprach auch Sänger Kállay-Saunders. Er berichtete, dass er nach seinen Konzerten oft von Menschen angesprochen würde, die sich bei ihm mit Tränen in den Augen für sein Lied „Running”, welches von häuslicher Gewalt handelt, bedankten. Vulitic meinte, es sei interessant, welche Nachrichten die Menschen hören wollen. Hammer summierte: Der Song Contest wäre eine Möglichkeit, die Ähnlichkeiten und nicht die Unterschiede zwischen den beteiligten Ländern und ihren Menschen zu betonen.

Das Podiumsgespräch spiegelte die Vielfalt des Song Contests und der europäischen Kultur wider, in dem die Gesprächsteilnehmer in drei Sprachen – deutsch, englisch und ungarisch – ihre Meinungen äußerten. Fast jeder von ihnen wechselte die Sprache, mal mit Absicht, mal unbewusst. Vielleicht gaben sie mit diesem Multilingualismus auch eine Antwort auf die abschließende Frage von Prof. Kastner, nämlich, dass der Song Contest zur Wiederbelebung der Kultur des einstigen Zentral-Europas beitragen könnte.

Text: Anett Hajnal, Réka Szentiványi, Béla Teleky

Fotos: AUB

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