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Staatenzerfall als Herausforderung für die Diplomatie. Das Beispiel Libyen
Andrássy Universität Budapest
Vortrag von Christian Much, Botschafter a. D. mit anschließender Podiumsdiskussion

Am 30.10.2017 luden die Andrássy Universität, die Deutsche Botschaft Budapest und die Konrad-Adenauer-Stiftung zu einem Vortrag von Christian Much, Botschafter a. D., zum Thema „Staatenzerfall als Herausforderung für die Diplomatie“ ein. An der abschließenden Podiumsdiskussion, die von Dr. Ulrich Schlie, Leiter des Lehrstuhls für Diplomatie II an der AUB moderiert wurde, beteiligten sich Volkmar Wenzel, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ungarn, Andrea Tarquini, Sonderkorrespondent von „La Repubblica“, sowie Frank Spengler, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Budapest. Die Diskussionsteilnehmer traten mit rund 80 Gästen in einen regen Gedankenaustausch.

Ulrich Schlie erklärte in seiner Eröffnungsrede, dass die Lage in Libyen für den Umgang mit militärischen Interventionen besondere Herausforderungen berge. Im „failed state“ Libyen erfordere die diplomatische Einflussnahme im wirtschaftlichen Wiederaufbau und Demokratisierungsprozess insbesondere angesichts der Vielzahl von zerrütteten ethnischen Gruppen größte Anstrengungen.

Anschließend beschrieb der Referent des Abends Libyen als einen besonders schwierigen Auslandsposten. Dieser stark fragmentierte Staat sei bis heute sozialwissenschaftlich unzureichend erforscht. Christian Much merkte hier an, dass es sich nicht primär um einen intrareligiösen Konflikt handle. Ferner wirke sich die Stammesstruktur, auf der die Stadtbevölkerung weitgehend beruhe, nicht zwangsläufig als trennendes Element aus. Wichtig sei es, einen gesellschaftlichen Dialog über die Verteilung der wertvollen Rohstoffe des Landes zu initiieren und zu führen. Allerdings bestünden weiterhin keine Regularien bzw. faire Verhandlungs- und Verteilungsmechanismen. Gepaart mit einer rudimentären Verwaltung sowie fehlender Institutionalisierung erschwere dieser Umstand die Durchsetzung von nachhaltigen Reformen und bedinge die „Illusion einer nationalen Einheit“ in Libyen.

Die Tatsache, dass Libyen keine nationale Armee besitzt, begründe die Finanzierung von Milizen durch staatliche Interessensgruppen, wodurch sich ein fragiles Gleichgewicht eingependelt habe, argumentierte Much. Durch die seit 2014 zunehmende Festsetzung jihadistischer Gruppen spitzten sich die Konflikte zu, die in Form von Stellvertreterkriegen durch verschiedene Parteien ausgetragen werden. Ebenso sei ein Bedeutungszuwachs des Islamischen Staates zu verzeichnen, der die Komplexität des Konflikts weiter erhöhe. Nicht zuletzt aufgrund einer schwachen Institutionalisierung, eines andauernden Streits zwischen dem Präsidentschaftsrat und der Regierung sowie eines nicht ratifizierten Friedensabkommens sei durch die UN-Friedensverhandlungen lediglich ein labiler Frieden generiert worden. Ein positives Element sei die territoriale Entmachtung des IS und eine damit verbundene starke Einschränkung seiner Einnahmequellen, schloss Much.

Darauffolgend skizzierte Much zentrale Ursachen für den Staatszerfall. Er beschrieb einerseits Tribalismus und Lokalismus (bewaffneter Gruppen) als Grund für die Auflösung rechtsstaatlicher Strukturen. Andererseits hätten (friedliche) Stämme ein einigendes Element aufzubieten und würden eine streitschlichtende Wirkung entfalten. Der Referent legte auch dar, dass die ungerechte Ressourcenverteilung und der Machtkampf lokaler Eliten die Ausbildung von Institutionen blockiere und die Herausbildung einer einheitlichen Staatsideologie behindere. So störe die regionale Einflussnahme Konsolidierungsmaßnahmen, wobei der „politische Islam“ das Absorptionsdefizit verstärke, fuhr Much fort.

Abschließend erläuterte Much Umgangsformen im Bezug auf „theories of change“. Es liege auf der Hand, dass die Stabilisierung der lokalen Herrschaft im fehlenden Zentralstaat ein Ansatz sei, die faktisch einzige überwiegend demokratisch legitimierte Ebene zu stärken. Im theoretischen Umkehrschluss sei es naheliegend, so Much, dass die Herausbildung eines autoritären Zentralstaates ebenfalls Abhilfe leisten könne. Jedoch würde sich diese Annäherung an das Problem schwierig gestalten, da die vorherrschende Fragmentierung des Landes die Beantwortung der Frage nach der legitimen Ausübung des Gewaltmonopols – gelinde gesagt – beeinträchtige, schloss Much seinen Vortrag ab. 

Autor: Bálint Lengyel

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