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Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif – Zur Notwendigkeit einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur
Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat einen Prozess zur Neubewertung der europäischen Sicherheitsarchitektur in Gang gesetzt, dessen Ergebnis noch unklar ist.

Der am 24. Februar 2022 begonnene Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine erschütterte die bisher bestehende europäische Sicherheitsarchitektur und führte gleichzeitig zu einer starken und einheitlichen Reaktion der Europäischen Union sowie der NATO. Es folgten noch nie da gewesene koordinierte Maßnahmen: Inzwischen neun Sanktionspakete gegen Russland sowie neben finanziellen Hilfspaketen die Lieferung von u. a. Groß-Waffensystemen an die Ukraine durch Mitgliedstaaten, u. a. finanziert von der EU. Wie jede Krise beinhaltet auch die Krise der europäischen Sicherheit eine Chance, nämlich das Wachsen des politischen Willens vor allem im westlichen Teil des Kontinents, die gemeinsamen Sicherheitsanstrengungen zu erhöhen und die dafür nötigen Mittel bereitzustellen. Insbesondere die mittel- und osteuropäischen Länder fühlen sich durch Russlands Aggression in ihren langjährigen Warnungen vor einem russischen Revanchismus bestärkt und sehen sich an alte Traumata erinnert. Doch wie kann die Sicherheitsarchitektur verbessert werden? Welche Rolle kommt hierbei den mittel- und osteuropäischen Staaten zu? Wie kann es Europa gelingen, seine gemeinsamen Werte und Grundsätze zu schützen? - Um Antworten auf diese Fragen zu erarbeiten, lud das Zentrum für Diplomatie der Andrássy Universität gemeinsam mit dem Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung Brüssel vom 4. bis 6. Dezember zur Konferenz „Mittel- und Osteuropa in einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur“ ein.

Bereits am Sonntagabend begrüßten Lukas Wick vom Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung und Dr. Heinrich Kreft, Leiter des Lehrstuhls für Diplomatie II, die bereits in Budapest eingetroffenen Referierenden der Konferenz und luden zu einem gemeinsamen Abendessen ein. Diskussionsmaterial lieferte hierfür die Keynote von Prof. Peter R. Neumann vom Kings College in London, der über die historische Ostpolitik Deutschlands und die damit verbundenen Irrtümer und Implikationen für die heutige Zeit sprach.

Erster Konferenztag: Bilanzen und neue Visionen

Offiziell wurde die Veranstaltung am Montagmorgen von Dr. Kreft, in Vertretung von Rektor Pállinger sowie von Lukas Wick eröffnet. Das erste Einführungsreferat hielt Prof. Ludger Kühnhardt, Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI), über die aktuellen Herausforderungen für die europäische Sicherheitsarchitektur. Nach dem Ende des Ukrainekrieges halte er drei verschiedene Rahmenszenarien für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur für möglich: eine erneute Bipolarität, eine kooperative Bipolarität oder einen fragilen Multilateralismus. Wichtig für Europa sei es jedoch, eine klare Strategie zu erarbeiten, die inklusiv gestaltet werden müsse, z. B. durch die Vervollständigung der Eurozone, aber nicht zu Protektionismus führen dürfe. Kreft legte im zweiten Einführungsvortrag dar, dass die bisherige kooperative Friedensordnung mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine konfrontative Sicherheitsordnung - explizit gegen Russland - abgelöst werde.  

In der Folge legten verschiedene Referierende die Sicht ihrer Länder auf „Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur - was ist nötig?“ dar. Aus deutscher Perspektive referierte Vanessa Vohs, Doktorandin der Bundeswehr Universität München, über die vom Bundeskanzler angekündigte Zeitenwende, womit er Deutschland sicherheitspolitisch aufgeweckt habe, die aber aktuell noch nicht aktiv gestaltet werde. Michal Baranowski, Direktor des Warschauer Büros des German Marshall Funds, legte die polnische Perspektive dar und betonte die Bedeutung der politischen Einheit und kritisierte Ungarns Position in Bezug auf Sanktionen und die Aufnahme neuer NATO-Mitglieder. Aus tschechischer Perspektive forderte Martin Svárovský, Berater des stellvertretenden Sprechers des tschechischen Parlaments, die Überprüfung strategischer Dokumente, nicht nur durch ExpertInnen, sondern auch unter Einbeziehung von PolitikerInnen, damit diese ein besseres Verständnis für sicherheitspolitische Erfordernisse entwickelten. Tamás Csiki Varga, vom Center for Strategic and Defense Studies, schilderte die ungarische Reaktion auf den Angriffskrieg und analysierte Ungarns aktuelle Position, die sich beispielsweise signifikant von der Position der baltischen Staaten unterscheide. Margarita Šešelgytė, Direktorin des Instituts für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Vilnius Universität, betonte die Notwendigkeit einer Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld als eine Voraussetzung für eine neue Sicherheitsarchitektur. Als ehemalige österreichische Außenministerin sprach Ursula Plassnik davon, dass die politische Kommunikation mit der Bevölkerung verbessert werden müsse, um so auch der Herausforderung durch populistische Parteien zu begegnen. Die Gesellschaft müsse darauf vorbereitet werden, dass die Sanktionen gegen Russland langfristig durchgehalten werden müssten mit entsprechenden Konsequenzen zu Hause.

Die Bedeutung der transatlantischen Kooperation und der NATO

Dov Zakheim, ehemaliger stellv. Verteidigungsminister der USA, betonte, dass sowohl Russland als auch China langfristige Bedrohungen für den Westen darstellten, aber aus unterschiedlichen Gründen. Die USA habe jedoch nicht die Ressourcen, beiden Gefahren gleichzeitig entgegenzutreten, daher werde auch Europa stärker gefordert werden. Die NATO werde hierbei in Kooperation mit der EU auch in Zukunft die wichtigste Rolle spielen. Auch Oana Lungescu, Hauptsprecherin der NATO, hob hervor, dass die Unterstützung der Ukraine eine transatlantische Anstrengung darstelle. Putin habe weniger NATO in Europa gewollt, werde jedoch nun ein größeres NATO-Engagement sehen. In der aktuellen Debatte dürfe auch nicht vergessen werden, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine bereits 2014 und nicht erst 2022 begonnen habe. In der abschließenden Paneldiskussion bekräftigte auch Géza Jeszenszky, ehemaliger Außenminister Ungarns, das Recht auf Selbstbestimmung, für das auch die NATO einstehe.

Der stellvertretende Staatssekretär für Verteidigungspolitik, László Hajnik, der kurzfristig Verteidigungsminister Szalay-Bobrovniczky vertrat, hob in seiner Keynote-Rede die Bedeutung einer verteidigungspolitisch starken EU hervor, welche ihren Beitrag zu einer starken NATO leisten könne. Mit der Revitalisierung der ungarischen Streitkräfte in enger Zusammenarbeit mit Deutschland ziele Ungarn darauf ab, aktiv daran mitzuwirken. Mittel- und Osteuropa werde allgemein auch durch seine geografische Lage eine zentrale Rolle in einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur spielen, betonte ebenfalls Michael Winzer, Leiter des KAS Büros Budapest.

Paneldiskussion am zweiten Konferenztag

Am Dienstagmorgen eröffnete Thomas Bareiß, Abgeordneter im Deutschen Bundestag, den Konferenztag mit einer Rede zur Energiepolitik, die in jedem neuen Sicherheitskonzept eine wichtige Rolle spielen müsse. Für die zu große Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland zahle insbesondere Deutschland einen hohen Preis. Im abschließenden Panel, geleitet von Botschafter a. D. Thomas Mayr-Harting, wurden die sicherheitspolitischen Herausforderungen für Südosteuropa sowie den Westbalkan beleuchtet. Julianna Ármás vom Institut für Außenwirtschaft und Handel (Budapest) stellte fest, dass die Gefahr eines Übergreifens des Krieges auf Bosnien und Herzegowina sowie auf den Kosovo im Frühjahr durchaus real gewesen sei. Aufgrund seiner Schwächung sei Russland aber auch weniger in der Lage, eine stabilisierende Rolle auf dem Westbalkan zu spielen, sodass das Risiko für mehr Instabilität wachse. Das sah auch Péter Siklósi, leitender Berater im ungarischen Verteidigungsministerium, ähnlich. Daher wäre für die Region ein EU-Beitritt noch wichtiger. Die EU müsse in der Lage sein, Stabilität zu exportieren, sonst würde sie Instabilität importieren. Allerdings waren sich alle Panelisten darin einig, dass eine schnelle Aufnahme unrealistisch sei.

Aus den verschiedenen (Länder-) Perspektiven, die auf der Konferenz dargelegt wurden, wurde immer wieder deutlich, dass der Krieg in der Ukraine uns zwar alle betrifft, jedoch auf unterschiedliche Weise, was unweigerlich zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führt. Einig waren sich die Beteiligten jedoch, dass das Ende des Krieges in den Händen Russlands liege und parallel dazu der Aufbau einer verbesserten, an die neuen Rahmenbedingungen angepassten Sicherheitsarchitektur vorangetrieben werden müsse. Mehrfach wurde die Bedeutung einer zügigen Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO betont und dass wir uns in Europa bewusst sein müssen, dass es Sicherheit nicht zum Nulltarif gibt.

Tanissa CONRADI

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