Mit ihrem gesellschaftsrechtlichen Aktionsplan vom 12. Dezember 2012 hat die Europäische Kommission die Harmonisierungsbemühungen auf dem Gebiet des Konzernrechts nach jahrelangem Stillstand neu angestoßen. Intensiv diskutiert wird seitdem u.a. die Schaffung von rechtlichen Regelungen für eine Anerkennung und Durchsetzung von Gruppeninteressen in grenzüberschreitenden Unternehmensgruppen. Vor diesem Hintergrund veranstaltete Prof. Dr. Christian Schubel (Andrássy Universität Budapest, Professur für Zivil- und Wirtschaftsrecht) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Martin Winner (Wirtschaftsuniversität Wien) am 12. und 13. Juni 2015 an der Andrassy Universität Budapest (AUB) einen Workshop zur rechtlichen Organisation grenzüberschreitender Unternehmensgruppen in Ostmittel- und Südosteuropa.
Die von der Baden-Württemberg Stiftung geförderte Tagung, an der Referenten aus neun EU-Mitgliedstaaten teilnahmen, zielte zum einen darauf ab, die sich aus der spezifischen Situation der ostmittel- und südosteuropäischen Staaten ergebenden Interessen in den aktuellen Diskussionsprozess einfließen zu lassen. Zum anderen sollten die Erfahrungen, die in diesen Staaten mit konzernrechtlichen Regelungen gesammelt worden sind, für die europäischen Reformarbeiten fruchtbar gemacht werden.
Die erste Abteilung richtete zunächst den Blick auf den vom Europarecht gesetzten primärrechtlichen Rahmen: Prof. Dr. Christoph Teichmann (Universität Würzburg) arbeitete heraus, dass die Niederlassungsfreiheit auch die Bildung und Leitung von grenzüberschreitenden Unternehmensgruppen schützt, und Prof. Dr. Christian Kersting (Universität Düsseldorf) stellte die großen Risiken dar, die den Unternehmen aus der Konzernhaftung im europäischen Kartellrecht drohen. Hierauf abstellend wurde in der späteren Diskussion die Frage aufgeworfen, ob die europäische Rechtsordnung, die die Muttergesellschaften von Unternehmensgruppen mit erheblichen Haftungsrisiken belastet, diesen nicht auch Mittel bereitstellen müsse, auf eine Verringerung der Risiken hinzuwirken. Abrundet wurde die Abteilung durch den Bericht von Prof. Dr. Martin Winner (WU Wien) über den Stand der aktuellen sekundärrechtlichen Regelungsbemühungen der Europäischen Kommission auf dem Gebiet des Gruppenrechts.
In der zweiten Abteilung referierte Prof. Dr. Pierre-Henri Conac (Universität Luxemburg) über die Argumente für eine Anerkennung des Gruppeninteresses in Unternehmensgruppen, über mögliche Wege, auf denen sich eine solche Anerkennung vollziehen könnte, und über die dabei zu überwindenden Hindernisse. Prof. Dr. Georg Eckert (Universität Innsbruck) zeigte dann auf, wie das Internationale Privatrecht die Regelungszuständigkeit für die verschiedenen Sachbereiche auf die jeweils berührten Mitgliedstaaten aufteilt.
Damit war die Grundlage für die Länderberichte der dritten Abteilung bereitet, die über den Ist-Zustand in verschiedenen ostmittel- und südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten informieren sollten. Prof. Dr. Susanne Kalss (WU Wien) berichtete über das österreichische Recht, von dem u.a. das Verbot der Einlagenrückgewähr sehr streng gehandhabt wird: Bei Vermögensverschiebungen von einer Gesellschaft auf den (Mehrheits-)Gesellschafter ist ein sofortiger Ausgleich erforderlich, ansonsten drohen nicht nur eine zivilrechtliche Haftung, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen. Die konzernrechtlichen Regelungen im neuen ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuch wurden von Prof. Dr. Zoltán Csehi (Pázmány Universität) vorgestellt, der dabei auch auf die Möglichkeit verwies, die Beziehungen in der Unternehmensgruppe in einem Konzernvertrag zu regeln. Im Anschluss analysierte Prof. Dr. Krzysztof Oplustil (Jagiellonen-Universität Krakau) aktuelle Entscheidungen polnischer Instanzgerichte, in denen die Frage nach einer Berücksichtigung von Gruppeninteressen Relevanz gewonnen hatte, und Doz. Dr. Waltschin Daskalov (Wirtschaftsuniversität Sofia) gab einen Überblick über die sehr zersplitterten Gruppen-Regelungen im bulgarischen Recht. Am zweiten Tagungstag folgten zunächst noch zwei weitere Berichte: Prof. Dr. Mária Patakyová (Comenius Universität Bratislava) informierte über die wachsende Zahl Gruppen-relevanter Vorschriften des slowakischen Rechts sowie über aktuelle Reformen und Assoc. Prof. Dr. Emőd Veress (Universität Cluj-Napoca) stellte den Tagungsteilnehmern neue Urteile rumänischer Gerichte vor, welche die Leitung von Unternehmensgruppen erheblich erschweren können.
In der abschließenden vierten Abteilung wurden dann mögliche Lösungsansätze erörtert. Zunächst berichtete Dr. Petr Čech (Karls-Universität Prag) über das am 1. Januar 2014 in Kraft getretene tschechische Konzernrecht. Dieses Recht ist durch einen neuen Ansatz gekennzeichnet, der versucht, Elemente des deutschen Aktienkonzernrechts mit dem sog. „Rozenblum-Modell“ zu verbinden, das von französischen Strafgerichten entwickelt worden ist. Im Schlussreferat von Prof. Dr. Christian Schubel (AUB) wurde dann mit Blick auf Regelungen des ungarischen, tschechischen und polnischen Rechts untersucht, welche Fragen bei einer Kodifizierung von „Rozenblum“ beantwortet werden müssen, um aus der rückblickenden Betrachtung von Strafrichtern ein praktikables zukunftsgerichtetes Konzept zu formen.
Insgesamt machten die Referate und Diskussionen des Workshops deutlich, dass der Bereich des Konzernrechts für die Rechtsordnungen der ostmittel- und südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten keinesfalls ein Terra incognita darstellt. Allerdings sind hier sehr unterschiedliche gesetzliche Vorschriften und Regulierungskonzepte anzutreffen, was die Notwendigkeit europäischer Harmonisierungsmaßnahmen unterstreicht. Für deren Ausgestaltung sollte auch auf die Erfahrungen und Lösungen der ostmittel- und südosteuropäischen Staaten zurückgegriffen werden.
Fotos: Ancsin Gábor