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Probleme der Integration der Roma-Minderheit in Ungarn – mit Fokus auf der Migration
Zentrum für Demokratieforschung
Im Rahmen des Projekts „Probleme der Integration der Roma-Minderheit in Ungarn“ fand am 1. Juni 2016 das vierte Arbeitsseminar zum Thema „Migrationsbewegungen der Roma“ an der Andrássy Universität Budapest statt.

Ellen Bos begrüßte in ihrer Funktion als Leiterin des Projekts an der AUB und zugleich im Namen des Rektors, András Masát, zu Beginn der Veranstaltung alle Gäste und dankte insbesondere Renáta Fixl und ihrem Team von der Hanns-Seidel-Stiftung (Büro Budapest) für die Unterstützung der Seminarreihe. Renáta Fixl unterstrich in einem kurzen Begrüßungsstatement die Bedeutung der Integration der Roma für die Zukunft Ungarns und dankte der AUB für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in diesem Projekt.

Im Anschluss an die einführenden Worte befasste sich das erste Panel – moderiert von Melani Barlai (netPOL/AUB) – mit aktuellen Daten und Fakten zur Migration der Roma innerhalb und außerhalb von Europa. István Antal, Rektor des Jesuiten Roma Fachkollegs, gab als erster Referent einen Überblick über die Geschichte der Wanderungsbewegung der Roma. Er unterstrich, dass es heute quasi überall auf der Welt kleine Romagruppen gebe, also auch in China oder in einigen arabischen und afrikanischen Staaten. Selbst nach Amerika und Australien gebe es als Folge der Globalisierung zusehends Migration von Roma.
In eine ähnliche Richtung argumentierte auch Endre Sík, Professor für Soziologie an der ELTE und einer der führenden Experten im Bereich Minderheiten- und Migrationsforschung in Ungarn. Er unterstrich die Heterogenität der Romamigration und erklärte die sich hieraus für die Wissenschaft ergebenden Probleme bezüglich der Faktenlage. Zwar erwähnte er einige berühmtere Fälle von Romamigration aus den Komitaten Baranya oder Borsod, die es in die Medien geschafft hätten, doch sei es unmöglich, von diesen Problemfällen Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Migrationsbewegung der Roma zu ziehen – so Sík.

Ist Romamigration grundsätzlich Armutsmigration? Mit dieser Frage setze sich Max Matter, ehemaliger geschäftsführender Direktor des Instituts für Volkskunde an der Universität Freiburg, in seinem Vortrag auseinander. Für ihn sehe dies nur oberflächlich betrachtet so aus. Diese Sichtweise entstünde vor allem durch das geballte Auftreten von Roma in Ankunftsstädten und dort Ankunftsstadtteilen mit bereits vorher prekärer sozialer Situation. Allerdings gebe es dort zumeist eben verfügbaren Wohnraum zu für Roma leitbaren Preisen sowie Bezugspunkte zu anderen Migrationsgruppen, etwa zwischen türkischsprachigen Roma aus Bulgarien und türkischen Migranten in einigen Ruhrgebietsstädten oder in Berlin. Wichtig sei daher, gerade in diesen Stadtteilen eine erhöhte Sensibilisierung der Behörden für die Romaproblematik, um die Zuwanderer zu integrieren und nicht stärker in Armut abdriften zu lassen und Perspektiven, etwa auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Dann ginge die Gleichung: Romamigration gleich Armutsmigration nicht mehr auf, und Roma würden eher als normale Arbeitskräfte und Zuwanderer wahrgenommen, so Matter.

Mit der Migration von Roma in das „Paradies“ Kanada beschäftigte sich Judit Durst vom University College London. Sie hatte für ihre Forschung in mehreren Romadörfern im nordöstlichen Komitat Borsod Befragungen durchgeführt. So sei es offenbar üblich, über ein zweistufiges Verfahren nach Kanada zu gelangen. Zunächst im Rahmen der Binnenfreizügigkeit nach Großbritannien und mit dem dort erarbeiteten Geld weiter nach Kanada. Dort warte auf die Migranten aber keineswegs das Paradies, sondern oft die Abschiebung nach Ungarn. Allerdings reiche das verdiente Geld meist, um den Lebensunterhalt in Ungarn für einige Zeit zu bestreiten, ehe man sich wieder auf den Weg nach Kanada mache. Volkswirtschaftlich ergebe das für die Roma wenig Sinn, insbesondere bliebe aber die Bildung der Romakinder bei diesen wiederkehrenden Migrationsbewegungen der Eltern zusehends auf der Strecke, da sie in keinem Schulsystem verankert seien. Abhilfe böten hier nur Privatschulen, die auf die spezielle Situation der Kinder besser eingestellt seien als staatliche Schulen und ihnen eine Möglichkeit zum Schulabschluss böten – so Durst.

Das internationale Panel fand unter der Moderation von Ellen Bos statt. Als erstes referierte Judit Tóth, Dozentin an der Universität von Szeged, die in ihrem Vortrag die „monoethnischen“ Charakterzüge der ungarischen Verfassung darstellte. Demnach wird gegenüber Roma und im Allgemeinen gegenüber Fremden wenig Toleranz entgegengebracht, und die Minderheiten als politische Gemeinschaft erst gar nicht wahrgenommen. Diese Strukturen würden schließlich ihre Integration verhindern – fasste Tóth ihre Ausführungen zusammen. Stephan Müller, Koordinator für Minderheiten des westlichen Balkans bei der Gesellschaft für Bedrohte Völker, präsentierte in seinem Vortrag seine Beobachtungen, die er während seinen Feldstudien unter anderem im Kosovo, in Serbien und Deutschland zu Migrationsbewegungen der Roma durchgeführt hat. Friedrich Altenburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department für Migration und Globalisierung, zeichnete in seinem Vortrag die Migrationstrends in Österreich unter der Berücksichtigung der Migrationszahlen aus den EU- sowie den Drittstaaten auf. Altenburg ging dabei auf die derzeitige Anzahl der Asylbewerber und die politischen wie gesellschaftlichen Reaktionen auf die Migrationsbewegungen in Österreich ein.

Den interaktiven Teil des Workshops bildete die Projektbörse, die mit der Vorstellung der Arbeit des ungarischen Landespolizeipräsidiums (ORFK) durch Oberstleutnant Ágnés Németh eingeleitet wurde. Németh schilderte aus Sicht des ORFK die Problematiken um die Zwangsprostitution. Sie unterstrich die Perspektivlosigkeit der Betroffenen, die auch die grenzüberschreitende Kooperation und das Engagement der Polizei im Kampf gegen den Menschenhandel und die Zwangsprostitution vor neue Herausforderungen stelle. Nicht alle, aber viele der Opfer dieser Verbrechen seien Roma, Roma-Frauen, resümierte Németh.

Die Frauenrechtsaktivistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der MTA, Lídia Balogh, stellte verschieden Projekte zur Bekämpfung der Zwangsprostitution vor, die in den Augen ihrer Organisation vom Menschenhandel nicht zu trennen sei. Balogh argumentierte, dass durch die Legalität der Prostitution als „sexwork“ die soziale Akzeptanz und damit auch die Nachfrage nach billigeren Prostituierten, gedeckt durch Menschenhandel, steigen würden.

Erzsébet Szalayné Sándor, stellv. Nationalitäten Ombudsfrau, stellte die Untersuchungsergebnisse ihres Amtes vor, das die Zwangsaussiedlungen in der nordöstlichen Stadt Miskolc tiefgreifend und systematisch untersuchte. In ihren Ausführungen zeichnete sie den Ablauf der rechtswidrigen Zwangsaussiedlungen auf und gab zugleich ihrer Enttäuschung über die Reaktion auf die Ereignisse der zuständigen Behörden kund.

Optimistischer stimmte der Beitrag von Anna Hermann vom Stadtmütter-Projekt aus Berlin- Neukölln. Das Aufklärungsprojekt wurde von dem Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky initiiert. Seit 2004 sei es den Stadtteilmüttern gelungen, beinahe zehntausend Familien zu erreichen und sie auf dem Weg ihrer gesellschaftlichen Integration zu begleiten. Damit gilt die Initiative als Vorzeigeprojekt in Sachen sozialer Integration, die zudem in der Ausweitung des Projekts auf das Bundesland Berlin-Brandenburg ebenfalls ihre Bestätigung finde.

Manuela Horvath von der Diakonie Eisenstadt und als Mitglied des Referats für Roma im Burgenland stellte in ihrem Kurzvortrag die Tätigkeit der Diakonie vor, deren besonderes Anliegen es sei, die Sprache, das Gedächtnis und das Gedenken an die Geschichte der Roma in Österreich zu pflegen und somit ihre Integration voranzutreiben.

Die Börse endete mit der Präsentation von Andrea Strohmajer, die die Musikergruppe „Somnakaj“, welche sich die Förderung von Romakindern und der Romakultur zur Aufgabe gemacht hat vorstellte. Das Highlight des Projekts bilde das gleichnamige Musical „Somnakaj“, welches mit dem Zusammenwirken und gemeinsamen Auftreten von Roma und Nicht-Roma im bunten, musikalischen Bühnenstück für die kulturelle Vielfalt der Roma wirbt, unterstrich Strohmajer.

Im Anschluss folgte eine lebendige und die Vorträge des Tages reflektierende, von Lídia Balogh moderierte Podiumsdiskussion mit der aktiven Teilnahme des Publikums statt. Im Spiegelsaal der AUB diskutierten István Antal, Erzsébet Szalayné Sándor, Ágnés Németh, Judit Durst und Lídia Balogh. In den Mittelpunkt der Diskussion rückten vorrangig jene Themen, die auch den Konferenztag begleiteten: Kriminalisierung, Prostitution, die fehlende Infrastruktur in den benachteiligten Regionen, die Bedeutung von Perspektiven und Bildung, aber auch die Rolle der Romafrauen in dem Integrationsprozess sowie die beachtlichen Erfolge der ungarischen Roma.

An dieser Stelle sollte es in Erinnerung gerufen werden, dass alle Erfolgstories der Roma wie auch jene der Nicht-Roma, zahlreiche, fachlich tiefgründige Auseinandersetzungen mit den Problemen wie auch Erfolgen der Integration der Roma und mit den Ergebnissen von Grundlagenforschungen voraussetzen, die vor der Implementierung und der Operationalisierung von zur Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation gerichteten Projekte durchgeführt wurden, was vorrangig die Aufgabe der Wissenschaft ist.

Text: Stefan Drexler, Lukas Knopp, Melani Barlai

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