Am 28. April 2014 luden die Fakultät für Mitteleuropäische Studien (MES) an der Andrássy Universität sowie das Österreichische Kulturforum Budapest (ÖKF) zum Abendvortrag von Dr. Philipp Greilinger zum Thema „Österreich-Ungarn. Eine ‚Wiedervereinigung‘ durch die EU?“. Die Veranstaltung bildete den dritten Themenabend der von der Fakultät MES gemeinsam mit dem ÖKF organisierten Vortragsreihe „Österreich-Ungarn 1914-2014“, im Zuge derer bedeutende Querschnittsthemen in der Geschichte der beiden Nachbarstaaten in den zurückliegenden 100 Jahren angesprochen und analysiert werden.
Greilinger verwies in seinen einleitenden Ausführungen auf das gute bilaterale Verhältnis Österreichs und Ungarns sowie die fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Staaten in den Gremien der Europäischen Union, ein Umstand der nicht alleine auf die gemeinsame Vergangenheit und Staatlichkeit zurückzuführen ist. Viel mehr hätten sich ab den 1950ern, ungeachtet der Trennung durch den Eisernen Vorhang, die Beziehungen der beiden Staaten zusehends verbessert, wobei die Unterzeichnung des österreichisch-ungarischen Vermögensabkommens im Jahr 1964 sowie die Grenzabkommen, die zur Einsetzung einer gemischten Kommission zur Untersuchung von Grenzzwischenfällen führten, Meilensteine dargestellt haben. Vor allem in Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten habe sich jedoch das im Vergleich mit anderen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas gemäßigte politische System Ungarns immer weiter destabilisiert, was Ende der 1980er Jahre Reformen unabdingbar gemacht habe. Vor allem die Reformen auf politischer Ebene, so Greilinger, wären dabei in Österreich fühlbar geworden, wurden doch das Burgenland und Wien nach der Einführung des sogenannten „Weltpasses“ in Ungarn von Einkaufstouristen aus dem Nachbarland geradezu überrannt. Spätestens mit dem Abbau des Eisernen Vorhangs an der österreichisch-ungarischen Grenze, der im Mai 1989 begann und die beiden Länder in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte, sowie der Umwandlung Ungarns in eine Demokratische Republik im Oktober selben Jahres wäre dann endgültig das Tor für eine Neudefinition der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der beiden Staaten offen gestanden. Während auf wirtschaftlichem Gebiet die Neuausrichtung Ungarns auf Österreich und andere westliche Staaten rasch von Statten ging, waren die angestrebten Ziele insbesondere auf außenpolitischer Ebene – Stichwort europäische Integration und EG/EU-Beitritt – mit deutlich größeren Hürden verbunden. Nachdem Österreich bereits 1995 der EU beitreten konnte, wurde Ungarn erst im Rahmen der so genannten „Osterweiterungsrunde“ in das europäische Bündnis aufgenommen, wobei es in seinen Beitrittsbestrebungen von Österreich zum Teil unter-stützt wurde. Beide Staaten bemühten sich, so Greilinger, darüber hinaus auch um eine ver-stärkte Zusammenarbeit der Staaten Mittel- und Südosteuropas, was sich in der Gründung bzw. dem Ausbau zahlreicher bi- und multilateraler Programme und Partnerschaften (CEFTA, Zentraleuropäisches Präsidententreffen, Visegrád Gruppe) niederschlug. Von weniger Erfolg gekrönt waren die noch vor der „Wende“ von 1989 begonnenen Planungen zur Abhaltung einer länderübergreifenden Weltausstellung (EXPO) in Wien und Budapest. Nachdem das Projekt nach dem Jahr 1989 seine politische Bedeutung eines „Brückenschlags“ nach Osteuropa verloren hatte, verlor insbesondere Wien bald das Interesse an dem Projekt und kippte es im Jahr nach einem negativen Volksentscheid. Erfreulicher gestalteten sich, so der Vortragende, demgegenüber die bilateralen Kooperationen auf ökologischem Gebiet, die unter anderem zur Einrichtung des Nationalparks Neusiedler Seewinkel führten sowie zur Beilegung von Streitigkeiten um Gewässerverschmutzungen entlang der Raab beitrugen. In seinem Resümee betonte Greilinger nochmals die Bedeutung der EU-Mitgliedschaft Ungarns sowohl für die bilateralen Beziehungen zu Österreich als auch für die innenpolitische Entwicklung des Landes, da sich die europäischen Institutionen einer großen Wertschätzung erfreuen und dem Land über alle politischen Krisen hinweg Stabilität verleihen würden. Der Vortragende schloss mit der Hoffnung, dass die beiden Staaten zu-künftig die sich durch die EU-Mitgliedschaft bietenden Kooperationsmöglichkeiten noch stärker nützen und sich einer gemeinsamen, aktiven Europapolitik widmen würden.
Dem Vortrag schloss sich eine rege Diskussion zwischen Greilinger und dem zahlreich anwesenden Publikum zu Fragen der österreichischen-ungarischen Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert an.