Die Fakultät für Mitteleuropäische Studien an der Andrássy Universität (AUB) und das Österreichische Kulturforum Budapest (ÖKF) luden am 20. Mai 2014 zum Abendvortrag von Dr. Maximilian Graf (INZ/ÖAW, Wien) zum Thema „Mock, Horn und der Fall des Eisernen Vorhangs. Geschichte der Epochenbilder in Langzeitperspektive“ im Rahmen der Vortragsreihe „Österreich und Ungarn 1914-2014“ ein. In seinem Vortrag behandelte Dr. Graf die Entstehungsgeschichte, Rezeption und Wirkungsgeschichte des Bildes, welches die damaligen Außenminister Österreich und Ungarns, Alois Mock und Gyula Horn, beim Durchschneiden des Eisernen Vorhanges zeigt.
Eingangs erläuterte der Vortragende die Entwicklung der nachbarschaftlichen Beziehung zwischen Österreich und Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg und die diesbezüglichen Reaktionen aus Moskau und der DDR. Die Hauptkonfliktlinien zwischen Österreich und Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg waren vermögensrechtliche Fragen und die Lage an der Grenze. Vor allem angeschwemmte Landminen sorgten immer wieder auf der österreichischen Seite der Grenze für Probleme. Während die österreichische Seite eine Entspannung der Lage an der Grenze forderte, zielte die ungarische Seite auf eine Einschränkung der Tätigkeiten von Exil- und Emigrantenorganisationen wie dem Kameradschaftsbund „St. Ladislaus“ ab. Nach der Unterzeichnung des Vermögensvertrags, einiger Grenzabkommen sowie der Selbstauflösung des Kameradschaftsbundes kam es zu einer Entspannung. Ungarn begann sukzessive mit der Beseitigung der Minen. Die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ sorgte für einen neuerlichen kurzfristigen Rückschlag in den Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn. Mit einer Ungarnreise des österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas im Jahr 1970 kam es wieder zu einer Intensivierung der Beziehungen der beiden Staaten. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Kontakte wurde unter anderem die „Mogersdorfer Symposien“, ein wissenschaftlicher Austausch zwischen ungarischen, kroatischen, slowenischen und österreichischen Kollegen, ins Leben gerufen. Weitere bilaterale Projekte folgten. Zusätzliche Grenzübergänge wurden eröffnet und der Visavergabe erleichtert. Der vom österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky vermittelte 300 Millionen Dollar Kredit für Ungarn sorgte für eine weitere Entspannung und die Etablierung gutnachbarschaftlicher Verhältnisse. Bruno Kreisky und der ungarische Ministerpräsident János Kádár besuchten sich regelmäßig gegenseitig, was das Bild des „Gulaschkommunismus“ weiter verstärkte und Misstrauen in der DDR hervorrief. Kreiskys Nachfolger Fred Sinowatz absolvierte seinen ersten offiziellen Staatsbesuch als Bundeskanzler in Ungarn. Im Jahr 1988 bekamen ungarische Staatsbürger den Weltpass ausgestellt, welcher ihnen eine Reise nach Westen ermöglichte. Viele Ungarn nutzten diesen Pass für Einkaufstouren nach Wien. Das Verkehrschaos, welches sich auf österreichischer Seite entwickelte, führte bald in grenznahen Gebieten kurzzeitig zu neuen Antipathien seitens der Bevölkerung. Im Februar 1989 informierte der ungarische Ministerpräsident Miklós Nemeth schließlich Bundeskanzler Franz Vranitzky über den bevorstehenden Abbruch des Eisernen Vorhanges an der österreichisch-ungarischen Grenze. Im Rahmen eines Besuchs des ungarischen Außenministers Gyula Horn wurde schließlich am 27. Juni 1989 in der Nähe von Klingenbach das bekannte Bild aufgenommen, das Horn und Mock bei der symbolischen Beseitigung einer Grenzsperre zeigt. Das Bild entstand keineswegs zufällig, sondern wurde bewusst aufgenommen, um die Abbruchsarbeiten medienwirksam zu unterstreichen. Am Abend wurden die Bilder im ARD-Fernsehen gezeigt, die eine offene Grenze zwischen Österreich und Ungarn zeigten. Es kam zu vielen Fluchtversuchen und illegalen Grenzübertritten von angereisten DDR-Bürger. Ungarische Oppositionelle organisierten in einem weiteren Schritt am 19. August 1989 das Paneuropapicknick und konnten Otto von Habsburg und Imre Pozsgay als Schirmherrn für das Unternehmen gewinnen. Da die Grenzsoldaten keinen Befehl zum Eingreifen erhielten, nutzten etwa 700 DDR-Bürger die Veranstaltung als Möglichkeit zur Flucht. Die Bilder der Massenflucht lockten zahlreiche weitere Ausreisewillige nach Ungarn. In den Tagen nach dem Picknick ereigneten sich zwei Unfälle mit tödlichem Ausgang. Das burgenländische Rote Kreuz und Freiwillige versorgten die Ankommenden und bereiteten ihre Weiterreise vor. Die Hilfsbereitschaft der burgenländischen Bevölkerung sorgte für internationale Anerkennung. Die Sowjetführung in Moskau schwieg weiterhin zu den Ereignissen und schließlich wurden am 23. August 1989 jene Flüchtlinge, die sich in die BRD-Botschaft in Budapest geflüchtet hatten, in die Bundesrepublik ausgeflogen. Die Situation in Ungarn mit den tausenden Fluchtwilligen wurde unterdessen zunehmend schwierig. Ungarn entschied sich das Zusatzprotokoll zum Abkommen über Reiseverkehr mit der DDR von 1969 auszusetzen und alle auf die Weiterreise wartenden Personen ausreisen zu lassen. Insgesamt reisten etwa 50.000 Personen, vornehmlich DDR-Bürger, in die BRD.
In seiner Schlussbemerkung warnte der Vortragende jedoch davor, die Bedeutung der Grenzöffnung zwischen Österreich und Ungern als wichtigste Vorbedingung für den Mauerfall zu überschätzen, betonte aber dennoch nochmals die Sonderstellung Ungarns in der Reihe der politischen Umbrüche des Jahres 1989 und strich die Rolle Österreichs und Ungarns als Musterbeispiel der Entspannung im Kalten Krieg heraus.