Wie verändern sich manche Annäherungen an gewisse geschichtliche Ereignisse, Gedächtnisorte oder Personen? Die am 10. September an der Andrássy Universität Budapest stattgefundene Konferenz mit dem Titel „Kriegserinnerung zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsgestaltung“ bot Antworten auf diese Fragen. Die internationale Konferenz war Teil der Veranstaltungsreihe „Zum Gedenken des 100. Jahrestags des Beginns des I. Weltkrieges“ und wurde von András Masát, Dieter A. Binder, Richard Lein und Krisztina Hittner organisiert.
Das Programm begann mit der Begrüßung durch András Masát, Rektor der Andrássy Universität Budapest, der die Besonderheit des Zentenariums, die Rolle der Nationen und die Zukunftsgestaltung hervorhob und sich herzlich für die Unterstützung des Deutschen Auswärtigen Amtes sowie die Vorbereitungsarbeit der Fakultät für Mitteleuropäische Studien und des Organisationsteams bedankte. Die Eröffnung wurde mit der Begrüßung durch den Prodekan der Fakultät für Mitteleuropäische Studien, Dieter A. Binder fortgesetzt, der die Besonderheiten der Generationen und Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit betonte.
Den Keynote-Vortrag hielt Heidemarie Uhl, Mitarbeiterin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie stellte die starke Resonanz auf das Zentenarium in den Medien fest und betonte, dass in diesem Jahr zum ersten Mal ein vereintes Europa des Beginns des Weltenbrands gedenkt. In ihrem Vortrag wurden die verschiedenen Aspekte und Spannungen im Gedenken an den Ersten Weltkrieg zwischen den verschiedenen Generationen, sowie die unterschiedlichen Standpunkte (u.a. österreichische, westeuropäische und zentraleuropäische) zu diesem Teil der Geschichte und der Erinnerung deutlich. Die Vortragende erwähnte mehrere wissenschaftliche Sichtweisen zum Ersten Weltkrieg und hob die zentraleuropäischen Erinnerungen hervor, wobei die Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs den Weltkrieg ganz unterschiedlich interpretieren. Sie betonte, dass die Beleuchtung der unterschiedlichen nationalen Perspektiven mit den jeweiligen Narrativen der Staaten in Beziehung gesetzt werden könne und es nicht das Ziel sei, eine gemeinsame Geschichtserzählung zu entwickeln.
Nach der Begrüßung und dem Keynote-Vortrag folgten zwei Vorträge unter der Moderation von Dieter A. Binder. Rolf Wernstedt (Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge) hielt einen Vortrag mit dem Titel „Der Erste Weltkrieg in der deutschen Erinnerungskultur“, worin er sechs Kapitel der deutschen Erinnerungskultur – entsprechend den sechs deutschen politischen Systemen nach dem Ersten Weltkrieg – darstellte. In seinem Fazit fokussierte Prodekan Binder auf die derzeitigen Tendenzen in der deutschen Erinnerungskultur, wie die Konzentration auf die Prozesse, die vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg führten, die Erfahrungen der Friedenverträge oder die politischen und institutionellen Instrumente, welche die Erinnerung ermöglichen. Silvia Nadjivan und Eva Tamara Asboth (Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, Wien) führten einen Vergleich von österreichischen und serbischen Mythen 1914-2014 durch. In ihrem Vortrag stellten sie den Forschungsstand zum Habsburgermythos und zum Kosovomythos auf Grundlage verschiedener zeitgenössischer Anzeigen vor, um diese relevanten Konzeptionen herauszukristallisieren und zu erklären.
Nach dem ersten Panel wurde von András Masát die von Krisztina Hittner organisierte Ausstellung „Der Alltag an der österreichisch-ungarischen Ostfront in den Augen von László Moholy-Nagy“ eröffnet.
Das zweite Panel begann unter der Moderation von Richard Lein mit einem Vortrag von Gerald Lamprecht (Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz) zum Thema „War das vergossene jüdische Blut weniger wert, als das Blut der Nichtjuden? Jüdische Kriegserinnerung in Österreich“. Aufgrund zahlreicher Fotos von Denkmälern stellte der Vortragende die Gestaltung österreichischer Erinnerungsformen an die Gefallenen dar. Danach stellte Krisztina Hittner, Absolventin der Andrássy Universität Budapest, ihre Forschung vor. In ihrem Vortrag analysierte sie die Erscheinungsformen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in den Medien von ausgewählten Staaten. Sie resümierte unter anderem, dass die Erinnerung im Fall der Siegerstaaten stärker ist und einige internationale Kooperationen („gemeinsame Botschaft“, Unterstützung des EU-Beitritts der Balkanstaaten) in Bezug auf das Zentenarium zustande kamen. Das zweite Panel wurde von Georg Kastner, Dekan der Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy Universität Budapest abgeschlossen. Er fasste in seinem Vortrag „Schwieriges Gedenken – Die Rezeption Thronfolger Franz Ferdinands nach 1914“ die verschiedenen Beurteilungen von Franz Ferdinand, dem ersten Opfer des Weltkrieges ausführlich zusammen.
Das letzte Panel wurde von Georg Kastner moderiert. Richard Lein (Andrássy Universität Budapest) eröffnete mit dem Thema „Verdun und die Transformation eines Gedächtnisortes“. Nach der Darstellung der Schlacht mit Hilfe von mehreren Landkarten beschrieb er die mit dem Ort verknüpfte Erinnerungskultur und ihre Veränderung in den letzten hundert Jahren. Er präsentierte die Erinnerungsweisen beider Seiten und ihre Transformation durch die Besprechung mehrerer Denkmäler. Darauf folgte ein Vortrag von Dieter A. Binder, der unter dem Titel „Österreichs Kriegstote in der Zwischenkriegszeit“ nach der chronologischen Darstellung der Ereignisse unter anderem die politische Rolle der menschlichen Verluste im Ersten Weltkrieg besprach. Das Panel wurde mit einer ausführlichen Präsentation von Viktória Blahó, Studentin der Andrássy Universität Budapest abgeschlossen. Sie stellte die Arbeit und die Ergebnisse der Trinationalen Jugendbegegnung des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. in Budaörs vor. Sie betonte die Ziele, die Hauptelemente und das Programm der Jugendbegegnung und dankte zwei weiteren OrganisatorInnen der Veranstaltung, Krisztina Hittner und Alexander Adams.
Mit der Beantwortung der Fragen der TeilnehmerInnen endete die Konferenz an der Andrássy Universität Budapest, die sich durch zahlreiche internationale ReferentInnen, aufschlussreiche Vorträge und lebhafte Diskussionen auszeichnete.
Text: Varga, Imola Virág
Bilder: Szecsődi Balázs