Die Andrássy Universität lud zum 10-jährigen Jubiläum der EU-Osterweiterung – hochkarätige Referenten aus Wissenschaft und Politik sind diesem Ruf gefolgt. Im Spiegelsaal der AUB versammelten sich unter anderem der amtierende ungarische Außenminister Dr. János Martonyi, der ehemalige sächsische Ministerpräsident und nun an der TU Dresden lehrende Prof. Dr. Georg Milbradt sowie der Direktor der Europäischen Akademie Berlin, Prof. Dr. Eckart Stratenschulte.
Zur Einführung begrüßten Prof. Dr. Ellen Bos und Prof. Dr. András Masát die zahlreichen Gäste im Namen der AUB. Frau Prof. Bos wies in ihrer Eröffnungsrede auf die Integrationsleistung der EU im Rahmen der Osterweiterung hin. Trotzdem stehe die EU weiterhin vor sehr ernsthaften Herausforderungen: nämlich der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie EU-kritischen, radikalen Bewegungen.
Nach der Vorstellung des Programms sprach Bálint Ódor (stellvertretender Staatssekretär, ungarisches Außenministerium) grundsätzliche Punkte zur EU-Mitgliedschaft Ungarns an. Bei der Post-Krisenstruktur in der EU müsse es einerseits mehr Effizienz der EU-Politik geben, dies aber unter Berücksichtigung nationaler Interessen. Eine starke EU, basierend auf gemeinsamen Werten, dürfe die Gleichheit der Mitgliedstaaten nicht außer Acht lassen. Herr Ódor verwies auf einige Erfolge Ungarns in der EU, etwa bei der Erweiterungspolitik oder den Verhandlungen zum langjährigen Finanzrahmen. Die EU-Erweiterung solle weitergehen, um die Stabilität in der EU-Nachbarschaft zu erhöhen.
Nach diesen Vorworten konnte auf dem ersten Panel bereits eine Bilanz gezogen werden: 10 Jahre Integration in die Europäische Union. Eckart Stratenschulte eröffnete die gut besuchte Runde mit dem Vortrag „Mehr, weniger, besseres oder kein Europa? Formen der (Des)Integration in der EU“. Die zunehmende differenzierte Integration in der EU werfe organisatorische und legitimatorische Fragen auf. Zur Debatte stünden nicht nur Formen der temporären Differenzierung (Europa der zwei Geschwindigkeiten) sondern sehr viel komplexere Formen der Integration (Pre-Ins, Pre-Outs, Opt-Ins und Opt-Outs in verschiedenen Variationen). Die EU-Institutionen seien dadurch vor neue Herausforderungen gestellt. Man müsse über neue Formen der Legitimation nachdenken, Prof. Stratenschulte nannte hier exemplarisch das „Euro-Parlament“, oder „Schengen-Parlament“. Die Einheitlichkeit des EU-Regelwerks sei bereits an verschiedenen Stellen dauerhaft durchbrochen. Das Konzept der differenzierten Integration könne jedoch divergente Tendenzen aufnehmen und sei letztendlich besser als Stagnation in der EU.
Prof. Dr. Andreas Oplatka (AUB) folgte mit einem Vortrag zur „EU-ropäisierung der neuen Mitgliedstaaten am Beispiel Ungarn“. Ungarns Annäherung an die EU erfolgte vor dem Hintergrund einer bewegten Zeitgeschichte. Ungarn führte schon Anfang der 1980er Jahre geheime Gespräche mit der EG, und trat bereits 1982 zum Unwillen Moskaus dem IWF bei. In den darauffolgenden Jahren gab es einige Fortschritte im wirtschaftlichen und diplomatischen Bereich. Prof. Oplatka verwies auf das PHARE-Programm und die Europa-Abkommen, damals noch unter Verweigerung des ungarischen Beitrittswunsches. Die alleinige Assoziation zeigte sich jedoch nicht ausreichend, um das östliche Europa zu stabilisieren, weshalb die EU-Integration in Aussicht gestellt wurde. Die bereits im Jahr 1990 in Ungarn gesteckten Ziele der euro-atlantischen Integration wurden dann 2004 erreicht.
Zu den „Strategien des ungarischen Verfassungsgerichts zum Umgang mit dem Unionsrecht“ referierte Dr. Attila Vincze (AUB) und bezog sich dabei auf die Zeit nach 1998 – auch mit einer Vielzahl aktueller Beispiele im Spannungsfeld von Politik und (Europa-)Recht. Dr. habil. Helmut Fehr (AUB) rundete mit einem Vortrag zur „EU-ropäisierung der neuen Mitgliedsstaaten am Beispiel Polens“ mit einem Fokus auf innerpolnische (Eilten)Debatten in Phasen der Euroskepsis das erste Panel ab.
Das zweite Nachmittagspanel widmete sich den Zukunftsfragen der EU: Eint oder spaltet der Euro Europa?, fragte Prof. Dr. Georg Milbradt und führte damit direkt in das Thema das Panels ein: Die Krise der Integration. In seiner Analyse der Euro-Krise kritisiert Prof. Milbradt den Euro als falsch konstruierte und schlecht gemanagte Währungsunion, die nicht als Ergebnis einer gelungenen politischen Vollunion hervorging. Auch geschichtlich gäbe es keine Bespiele gelungener Währungsunionen ohne Zentralstaat. Politische Lösungen sollten jedoch jenseits der Schuldner-Gläubiger-Logik gesucht werden. Prof. Dr. Siegfried Franke und Prof. Dr. Hendrik Hansen, beide von der Andrássy Universität Budapest, beschäftigten sich in ihren Vorträgen mit dem Demokratiedefizit und Europa-Skeptizismus/ Antieuropa-Parteien in der EU. Der Begriff Skeptizismus sei mehrdeutig, Rechts- oder Linkspopulismus aber in der EU durchaus auf dem Vormarsch, erläuterte Prof. Hansen eindrücklich am Beispiel der rechtsradikalen Partei Jobbik, deren Programm vor allem von der Abgrenzung zum „Feind“ (etwa etablierte Politiker, „Zigeuner“, Zionisten) lebt. Die Ablehnung der EU und die Kritik des internationalen Finanzkapitals seien aber auch bei linksradikalen Parteien zu finden. Der Beitrag von Dr. Reiner Klingholz (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung) zur „Herausforderung Migration“ erläuterte anhand vieler Schaubilder die demographische Entwicklung und die aktuelle Zuwanderungsdebatte in Deutschland.
Auf Einladung der Andrássy Universität und der Konrad-Adenauer-Stiftung, vertreten durch Frank Spengler, sprach Gastredner Dr. János Martonyi bei der Abendveranstaltung zum Thema „2014 – Jahr der Jahrestage“. Das Jahr 1989 stehe als Bruch mit dem 200 Jahre alten Paradigma, dass Geschichte nur mit Gewalt geändert werden könne; für Ungarn als symbolische Heimkehr zur Familie, von der sie lange ferngehalten wurde, als Traum von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Vor dem Hintergrund der ungarischen Erfahrung mache die Erweiterung die EU stärker. Die EU sei jedoch demokratisch und politisch unvollendet und zerbrechlich. Zentrifugale und zentripetale Kräfte setzten der Union zu, radikale Parteien hetzten gegen den europäischen Gedanken. Die EU solle sich nun auf das Wesentliche konzentrieren, die Grundfreiheiten, die Werte und Ideale, ihre Rolle in der Welt. Das mangelnde außenpolitische Selbstvertrauen wurde auch in der anschließenden Diskussion beklagt, so „boxe die EU im Weltgeschehen unter ihrer Gewichtsklasse“ (Prof. Stratenschulte). Die Ereignisse in der Ukraine zeigten jedoch auch die Kohärenz der EU auf außenpolitischem Gebiet – zumindest in Krisensituationen. Die Konferenzteilnehmer nutzten das anschließende Buffet, um die angeregte Debatte fortzusetzen.
Mit der provokativen Frage „Ist die Östliche Partnerschaft gescheitert?“ eröffnete Prof. Bos die Vormittagssitzung zur Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik am Freitag. Die Ursachen der Ukraine-Krise lägen dabei nicht nur innerhalb des östlichen Partnerlandes – das „soft power“-Konzept der EU kollidiere hier mit Moskaus harter Interessenpolitik. Zwischen den großen Mächten gäbe es keine Verständigung über „Zwischeneuropa“. Dabei wäre die Ukraine als „hybrides Regime“ ein geeigneter Rezipient für EU-Konditionalität, allerdings nur unter klaren Bedingungen und einer glaubhaften Perspektive. Die Beziehung zwischen der EU und Russland war auch Gegenstand des Vortrags von Prof. Dr. Margareta Mommsen (Ludwig-Maximilians-Universität München). Entgegen der einst beschworenen „Strategischen Partnerschaft“ seien die EU-Russland-Beziehungen dieser Tage von einer geostrategischen Gegnerschaft geprägt. Prof. Mommsen plädierte für eine Neutralität der Ukraine nach österreichischem Vorbild, und Dezentralisierung – eine Konföderalisierung wäre jedoch gefährlich. Die östlichen Partnerländer müssten differenziert an die EU herangeführt werden, eine Erweiterung en bloc wie 2004 sei keine Option – so der Tenor der anschließenden Podiumsdiskussion. Dr. Christina Griessler (AUB) schloss das Panel mit einem Beitrag zur Beitrittspolitik gegenüber den Staaten des Westbalkans ab – auch hieraus könnten Lehren für die zukünftige Erweiterungspolitik in Zeiten der Stagnation und der Erweiterungsmüdigkeit gezogen werden.
Das vierte Panel wandte den Blick auf die regionale Zusammenarbeit innerhalb der EU und bot interessante Einblicke in einzelne Politikfelder. Franziska Sielker (Universität Erlangen) referierte über die transnationalen Möglichkeiten der EU-Donauraumstrategie. Dieses Politikmodell gewährleiste die Einbeziehung des Erweiterungsraums sowie die Begegnung auf strategisch-inhaltlicher Ebene zwischen Beitrittsstaaten, neuen und alten Mitgliedsstaaten. Dr. Christopher Walsch (AUB) befasste sich mit der Visegrád-Gruppe als „zentraleuropäisches Kooperationsforum mit Entwicklungspotential“ und Prof. Dr. Daniel Göler (Universität Passau) mit der sektoralen Integration als Modell für die Östliche Partnerschaft am Beispiel der Energiegemeinschaft. Der differenzierten Integration wurde hier in ihrer räumlichen (Visegrád 4) und sektoralen (Energiegemeinschaft) Ausprägung mehr Chancen als Risiken zugesprochen. Vor allem die Kooperation auf dem Energiesektor diene als institutioneller Rahmen, der Länder des ENP-Raumes und Beitrittskandidaten verbinde. Durch „Spill-Over-Effekte“ können darüber hinaus neue wirtschaftliche Trennlinien in Europa verhindert werden.
Text: Dr. Christoph Schnellbach, Junior Visiting Research Fellow, AUB
Bilder: Szecsődi Balázs