Die Konferenz wurde von AUB-Rektor Prof. Dr. Masát eröffnet, der in seiner Rede betonte, dass die Beziehungen zwischen Staaten insbesondere durch das individuelle Wirken von Menschen geprägt werden, welche als Brückenbauer zwischen den einzelnen Staaten fungieren. Danach folgte ein Grußwort von Jean-François Paroz, dem schweizerischen Botschafter in Budapest, der in seinem Beitrag auf den symbolischen Gehalt des Spiegelsaals der AUB hinwies: Der Saal sei zu einem regelmäßigen Schauplatz schweizerisch-ungarischer Begegnungen geworden und sei daher der ideale Ort für eine solche Konferenz. Weiterhin betonte er die geschichtliche Rolle der Schweiz, die nach dem gescheiterten Volksaufstand im Jahre 1956 vielen ungarischen Flüchtlingen Asyl gewährte hatte, und zeigte auch die wichtige Rolle Ungarns als Partner der Schweiz in der bilateralen und europäischen Politik auf. Die freundschaftlichen Beziehungen würden auf einem soliden historischen Fundament, gemeinsamen Interessen und geteilten politischen Einstellungen beruhen.
Den Abschluss der feierlichen Eröffnung bildete ein Beitrag von Ständerätin Christine Egerszegi-Obrist, die darlegte, dass das Zusammentreffen „schweizerischer Pünktlichkeit und Ordnungsliebe“ und „ungarischer Herzlichkeit und Spontanität“, wie sie es in ihrer Ehe erlebt hatte, eine gute Basis für die interkulturelle Kommunikation darstellen würden. Ausgehend von einem gegenseitigen Verständnis und gegenseitiger Sympathie hätten sich auch die Beziehungen zwischen den beiden Ländern schon während des Kommunismus zu vertiefen begonnen und hätten sich seit der Wende in Ungarn sehr erfreulich weiterentwickelt. Dabei beruhe das Verhältnis zwischen den Staaten nicht nur auf ökonomischen und politischen Grundlagen, sondern stütze sich insbesondere auch auf die Begegnungen von Menschen.
Die historische Perspektive
Der erste Beitrag von PD Dr. Jan-Andrea Bernhard, Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Zürich, behandelte die geistig-kulturellen Beziehungen zwischen Ungarn und der Schweiz im 16. und 17. Jahrhundert. Schwerpunkt des Vortrags waren die kulturellen Einflüsse der Reformation in Ungarn, die insbesondere auch auf dem Dialog von schweizerischen und ungarischen Denkern sowie der Ausbildung von ungarischen Theologen in schweizerischen Wissenszentren und den dort geknüpften Beziehungen beruhen würden.
In der folgenden Präsentation mit dem Thema „Schweizer und Ungarn im Europa des 18. Jahrhunderts: Beginn einer Freundschaft“ referierte Dr. Ferenc Tóth von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften über den Einfluss schweizerischer und ungarischer Militärs in französischen Diensten, welche zu einer Erneuerung der damaligen militärischen Doktrin beigetragen hätte, indem ein Dialog zwischen über die Einsatzdoktrin der jeweiligen Truppen stattgefunden habe. Diese Begegnungen in „fremden Diensten“ habe Anknüpfungspunkte für die Vertiefung der Beziehungen geboten. Eine wichtige Rolle habe dabei auch eine ähnliche geopolitische Lage gespielt: Gerade kleine Staaten wie die Schweiz und Ungarn seien darauf angewiesen gewesen, „raffinierte Strategien“ zu entwickeln, um in einem von Großmächten dominierten Europa zu überleben.
„Helvécia liegt neben Kecskemét“ - so lautete der Titel der Präsentation Dr. Henriett Kovacs, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin der AUB tätig ist. Helvécia ist eine ungarische Stadt, die von schweizerischen Einwanderern gegründet wurde, und deren Entwicklung vor allem durch den Schweizer Unternehmer und Agrarreformer Eduard Weber vorangetrieben wurde. Die kleine Stadt sei bis heute symbolischer Ort für schweizerisch-ungarische Beziehungen geblieben.
Anschließend referierte Dr. Judit Klement von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften über die Rolle schweizerischer Unternehmer in der ungarischen Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts. Sie veranschaulichte ihre Ausführungen anhand des Beispiels von Abraham Ganz sowie Henrik und Karl Haggenmacher. Trotz ihrer beruflichen Erfolge in Ungarn seien diese Unternehmer mit der Schweiz verbunden geblieben und hätten auch schweizerische wohltätige Organisationen unterstützt. Die Tätigkeit dieser Unternehmer sei sinnbildlich für die guten schweizerisch-ungarischen Beziehungen gewesen, die sich nicht nur auf die offizielle Ebene beschränkt habe, sondern auch auf der persönlichen Initiative von nicht-staatlichen Akteuren beruht hätte.
In ihrem abschließenden Beitrag gab Dr. Katalin Siska, Professorin der Rechtswissenschaften an der Universität Debrecen, einen Überblick über die Geschichte der schweizerisch-ungarischen Beziehungen. Dabei ging sie u. a. auf die Rettung zahlreicher ungarischer Juden durch den schweizerischen Diplomaten Carl Lutz während des zweiten Weltkrieges ein und verwies auch auf den Beitrag, den die Schweiz zum Ausbau demokratisch-rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen nach der Wende in Ungarn geleistet habe.
Ungarische Emigration in die Schweiz
Im Mittelpunkt des zweiten Panels stand die ungarische Emigration in die Schweiz nach dem Volksaufstand 1956. Bis Ende 1957 nahm die Schweiz etwa 12.000 Flüchtlinge aus Ungarn auf, die ihr Heimatland nach der Niederschlagung des Volksaufstands durch sowjetische Truppen verlassen mussten.
Prof. Dr. Andreas Oplatka, Vorsitzender des Kuratoriums der AUB, widmete seinen Vortrag den historischen Ereignissen von 1956-1957 sowie den Folgen ungarischer Einwanderung in die Schweiz. Seinen Ausführungen zufolge hätten die ungarischen Flüchtlinge starke Sympathien bei der schweizerischen Bevölkerung geweckt, weil auch die Schweizerinnen und Schweizer die Ziele der Revolution, Rechtsstaatlichkeit, pluralistische Demokratie und die Achtung der Menschenrechte geteilt hätten.
Der anschließende von Vortrag Dr. Tamás Kanyós von der Europäischen Janusz Korczak Akademie in München, behandelte die Identitätsfindung ungarischer Emigranten in der Schweiz. Er verwies auf den Dokumentarfilm von 1976 „Sobotich, Szöllösy, Antos: geboren in Ungarn...“, der verschiedene Schicksale ungarischer Flüchtlingen, die sich in der Schweiz niedergelassen haben, zeigte. Das im Film vermittelte Bild der Ungarn sei laut Kanyó jedoch kritisch zu hinterfragen, da er keinen repräsentativen Überblick über die ungarischen Immigranten gebe, sondern sich überwiegend auf negative Beispiele beschränke.
Der dritte Referent, Dr. David Zimmer aus Bern, fokussierte sich auf die sogenannten „Secondos“ - die zweite und dritte Generation ungarischer Emigranten in der Schweiz. Die im Zuge seiner Doktorarbeit „Ungarn vererben?“ durchgeführten Interviews würden zeigen, dass keine einheitliche Identität von „Secondos“ existiere. Vielmehr sei diese von unterschiedlichen Faktoren wie Sprache, Name, Familie und Verwandtschaft abhängig. Abschließend hielt Zimmer fest, dass die „Secondos“ ihre Zugehörigkeit bis zu einem gewissen Grad frei aus verschiedenen Kristallisationskernen zusammensetzen können. Dabei sei ihre Zugehörigkeit Ausdruck einer Wahl; sie sei gewählte – und somit nicht „ererbte“, auferlegte, zugeschriebene – Zugehörigkeit.
Der letzte Vortrag wurde von Dr. Barbara Villiger Heilig, Redakteurin beim Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung, gehalten und war der ungarisch-schweizerischen Schriftstellerin Ágota Kristóf gewidmet. Diese war nach dem ungarischen Aufstand von 1956 mit Ehemann und Kind in die Schweiz geflohen. Barbara Villiger Heilig machte die Gäste mit dem autobiografischen Antikriegsroman „Das große Heft“ von Ágota Kristóf vertraut, der 1986 erschienen war und die Autorin berühmt gemacht hatte. In diesem Roman ergründet Kristóf am Beispiel eines Zwillingspaares, die einen Krieg miterleben, grundlegende Fragen von Fremdheit und Identität.
Brücken zwischen Länder
Das dritte Panel stand unter dem Motto „Brücken“. Dabei wurde untersucht, wie einzelne Menschen durch ihre Tätigkeit die Beziehungen zwischen zwei Staaten beeinflussen können.
Tiphaine Robert, Doktorandin an der Universität Fribourg zeigte dazu zu Beginn ihres Vortrags „Die Rückkehr ungarischer Flüchtlinge aus der Schweiz nach Ungarn, diplomatische und ideologische Streitfragen (1956-1961)“ einen Auszug aus dem Film „A berni követ“ (The Ambassador to Bern), welcher die Geschichte eines aus Ungarn in die Schweiz ausgewanderten Ehepaars behandelt, das sich aufgrund seiner Erfahrungen im Exil zur Rückkehr nach Ungarn entschloss. Der Filmausschnitt führte zu der Frage, warum ungarische Flüchtlinge sich damals für eine Rückkehr entschieden haben, obwohl sie mit Strafe zu rechnen hatten. Erstaunlicherweise kehrten etwa 10 Prozent aller ungarischen Flüchtlinge bis 1960 nach Ungarn zurück. Gründe hierfür waren zum Beispiel eine schwierige Integration in die neue Gesellschaft, die Sorge um Familienangehörige und das Heimweh nach Ungarn.
Die zweite Referentin Frau Gabriela Dömötör, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation an der Pädagogischen Hochschule Bern, hielt einen Vortrag über die Gesellschaft Helvetia-Hungaria und deren wichtige Rolle beim Aufbau freundschaftlicher Beziehungen zwischen der Schweiz und Ungarn. Dabei verwies sie insbesondere auf die Tätigkeit von Pfarrer Carl Irlet, der nach dem ersten Weltkrieg „die schweizerische Hilfsaktion für ungarische Kinder“ ins Leben gerufen hatte, in Rahmen derer mehr als 16.000 ungarische Kinder Urlaub und Pflege in der Schweiz fanden.
Dr. Gábor Ugron, seit 2003 Präsident des „Vereins Ungarischer Architekten und Ingenieure in der Schweiz“, stellte die Arbeit des Vereins vor. Der Verein hilft bei der Integration von Ungarn in der Schweiz, indem er neben der Pflege der ungarischen Sprache auch auch die Verbreitung kultureller Werte und technischen Wissens fördert.
Im abschließenden Vortrag des dritten Panels ging Prof. Dr. Stephan Gas von der Fachhochschule der Nordostschweiz auf ein konkretes Kooperationsprojekt ein, in dessen Rahmen die Schweiz während der 90er Jahre einen Dialog mit Ungarn über Fragen der Rechtstaatlichkeit geführt und auch Unterstützung bei der Verwirklichung konkreter Folgeprojekte geleistet hatte.