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Großbritannien, Europa und die Rückkehr der "alten Dame"
Zusammen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) organisierte die Andrássy Universität Budapest (AUB) erneut eine Veranstaltung in der Reihe der "AUB-Flashlights". Dieses Mal standen die Ergebnisse der Unterhauswahl in Großbritannien im Mittelpunkt

Der Leiter des Auslandsbüros der KAS Großbritannien Hans-Hartwig Blomeier gab im Rahmen der Veranstaltung einen Überblick und analysierte zusammen mit Prof. Dr. Ellen Bos (AUB) den Ausgang der Wahlen.

„Ein wichtiges Wahlergebnis, dass wohl die allermeisten so nicht erwartet hatten und das trotz der überraschend klaren Machtverhältnisse einiges an Spannung birgt.“, mit diesem Satz brachte Prof. Dr. Ellen Bos, Leiterin der Professur für Vergleichende Politikwissenschaft an der AUB, das Resultat der britischen Unterhauswahlen 2015 in ihrem Begrüßungsstatement auf den Punkt. Sie betonte dabei auch die gute Kooperation mit der Konrad-Adenauer Stiftung (KAS) im Rahmen der Veranstaltungsreihe „AUB-Flashlight“. Frank Spengler, Leiter des Budapester Büros der KAS, stellte im Anschluss seinen Kollegen Hans-Hartwig Blomeier, den Leiter des Auslandsbüros Großbritannien der KAS, vor.

Blomeier gab zunächst einen aktuellen Überblick über die politische Situation nach den Wahlen vom 7. Mai 2015. Ohne Umschweife gab er zu, auch selbst mit diesem Wahlergebnis, welches er als die Rückkehr der „alten Dame“, also der Conservative Party, zu Wahlergebnissen jenseits von 330 Sitzen beschrieb, nicht gerechnet zu haben. Einen wichtigen Grund dafür sieht Blomeier in einer Art gesellschaftlichen Schweigespirale: während sich in Großbritannien Zeitungen und Firmen regelmäßig politisch äußern und Wahlempfehlungen abgeben, scheine vor allem unter den Wählern der Konservativen, ähnlich wie 1992, eine Art Selbstverleugnung (politikwissenschaftlich als „Shy Tory Factor“ bezeichne) wieder en vogue zu sein. „Tory wählen ist vielleicht vernünftig, aber sicher nicht cool“, so Blomeier. Damit nahm er auch die nach der Wahl arg gescholtenen Umfrageinstitute unter Berücksichtigung eines von allen Instituten ermittelten Anteils von 25 Prozent unentschlossenen Wählern zumindest teilweise in Schutz. Die höheren Beliebtheitswerte David Camerons, die Sehnsucht nach klaren Verhältnissen und die Fixierung auf die klassischen Themen Wirtschaft und Migration hätten in der Wahlkabine letztlich aber den Ausschlag zu Gunsten der Konservativen gegeben und Hand in Hand mit dem relativen Mehrheitswahlrecht dieses Wahlergebnis hervorgebracht, stellte Blomeier mit Blick auf neueste Erhebungen fest. Hinzu käme der verstärkte Wunsch der Schotten nach mehr Autonomie vom Establishment in Westminster. Dieser werde authentisch von der charismatischen schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon verkörpert und wurde zur Triebfeder einer SNP-Welle in Schottland, die hinsichtlich der Strukturen und damit auch den bisher sicheren Mandaten der Labours nördlich des Hadrianswalls keinen Stein mehr auf dem anderen ließe.

Zusammen mit den populistischen Thesen der europafeindlichen UKIP sei es so zu einer drastischen Umwälzung der politischen Landkarte zu Lasten der Arbeiterpartei mit ihrem unglücklich agierenden und zu allem Überfluss noch als „Brudermörder“ verschrienen Vorsitzenden Ed Miliband gekommen, während die Tories auf Kosten der Liberaldemokraten in England und Wales zahlreiche Sitze gewinnen konnten. Entsprechend sah Blomeier als versierter Kenner der britischen Innenpolitik auch Tory-Chef David Cameron, die Schottische Nationalpartei SNP und die auf Stabilität erpichte britische Wirtschaft als Gewinner der Wahl. Auf der Verliererseite verortete er die Liberaldemokraten, Labour und mit Abstrichen auch die aufgrund des Wahlrechts sitzmäßig unter ihren Erwartungen geblieben UKIP. In Bezug auf die Kabinettsbildung und die Themensetzung der neuen Regierung werde es wenig Veränderungen geben, außer dass Kritiker des bisherigen Premierministers mit den zu verteilenden Kabinettsposten der Liberaldemokraten besänftigt und somit eingebunden werden könnten. Hinsichtlich der Schottlandfrage, der Haushaltskonsolidierung und der im Wahlkampf kaum präsenten Europafrage (konkret die Möglichkeit eines Brexits, also eines Austritts Großbritanniens aus der EU), rechnet Blomeier hingegen mit einer auf das gegenwärtige Erfolgsmoment gestützten, schnellen Handlungsstrategie der Regierung um die gerade gewonnen Stabilität nicht zu gefährden.

In ihrem Kommentar zu den Ausführungen des Gastes aus London bestätigte Bos dessen Ansichten weitestgehend und stellte die Frage nach einer Änderung des Wahlrechts in den Raum, welche Blomeier unter Verweis auf die Ablehnung eines „alternative votes“ per Referendum 2011  und die alte Tradition des „first-past-the-post“-Systems aber als kaum realistisch erachtete. In der folgenden Debatte wurden vom Publikum unter anderem auch Fragen nach dem Umgang mit der Zuwanderungsthematik, der Zukunft des Londoner Bankenplatzes im Falle eines Europaaustritts sowie nach einer Prognose für die Einheit Großbritanniens aufgeworfen. Bei einem Empfang im Anschluss hatten die Zuhörer die Gelegenheit, den Gedankenaustausch fortzusetzen.

Text: Stefan Drexler

Fotos: Balázs Szecsődi

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