25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stellt sich die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in den Transformationsländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas sehr unterschiedlich dar. Während in einigen dieser Staaten die Demokratie fraglos konsolidiert ist und die wirtschaftliche Entwicklung positiv beurteilt werden kann, leiden andere in politischer Hinsicht unter Parteienkämpfen und Korruption und in wirtschaftlicher Hinsicht unter Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Im Rahmen einer internationalen Konferenz vom 18.–19. Mai 2015, die in Kooperation mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden und dem Auslandsbüro Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltet wurde, wurden die Ursachen für die unterschiedliche Entwicklung in ausgewählten Transformationsstaaten untersucht und Erfolgsfaktoren analysiert und diskutiert.
Da in institutioneller Hinsicht der Transformationsprozess in vielen der behandelten Staaten – nicht zuletzt seit den jeweiligen EU-Beitritten – als abgeschlossen gelten kann, lag der inhaltliche Schwerpunkt der Tagung auf sogenannten „weichen“ Faktoren wie der politischen Kultur, dem Demokratieverständnis, dem Selbstverständnis der politischen Parteien und Amtsträger und der Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen. In den nach Länderschwerpunkten gegliederten Panels der Tagung wurden die Transformationsprozesse Ungarns, Polens, Tschechiens, Rumäniens, Lettlands, Kroatiens, der DDR/jungen Bundesländer und der Slowakei näher beleuchtet. Eine Podiumsdiskussion am Montagabend eröffnete die Vergleichsperspektive. Unter den Expertinnen und Experten der Tagung, die aus den Disziplinen der Politik-, Rechts- und Geschichtswissenschaften kamen, fanden sich sowohl Nachwuchswissenschaftler als auch erfahrene Professoren, was einen an Perspektiven reichen Austausch ermöglichte.
Das erste Panel der Tagung, in dessen Rahmen Prof. Dr. Ellen Bos (AUB), Prof. Dr. Hendrik Hansen (AUB) und Dr. Kálmán Pócza (Institut für Politikwissenschaft, Ungarische Akademie der Wissenschaften) referierten, stand unter der Leitfrage „Institutioneller Wandel und Politische Kultur – wohin steuert Ungarn?“. Während der Schwerpunkt von Bos‘ Vortrag auf dem institutionellen Umbau der ungarischen Demokratie und aktuellen Dekonsolidierungstendenzen lag, thematisierte Hansen Prägungen der ungarischen Mentalität aus der Zeit des Kommunismus, die bis heute fortwirken können. Dazu gehören laut Hansen bspw. ein instrumentelles Rechtsverständnis oder das Verständnis von Politik als Kampf. Hansen betonte, dass ein Verständnis des heutigen Ungarn nur dann möglich sei, wenn der Blick auf die Geschichte des Landes und den Einfluss dieser Geschichte auf die ungarische politische Kultur gerichtet werde. In dem das Panel abschließenden Vortrag ging Kálmán Pócza auf die Frage ein, inwiefern die von Wolfgang Merkel entwickelten Konzepte der „Konsolidierung“ und „Dekonsolidierung“ auf Ungarn angewendet werden können. Pócza plädierte für eine Erweiterung der Konzepte, u.a. um den Aspekt der politischen Rhetorik, damit Anwendbarkeit gewährleistet sei.
Im zweiten Panel legte Prof. Dr. Günther Heydemann (Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden) eine aktuelle Bilanz zu 25 Jahren Transformationsprozess in den jungen Bundesländern vor. Dabei ging er vor allem auf die demografische Entwicklung, auf die innerdeutsche Migration und auf die Arbeitsmarktentwicklung ein. Im Anschluss daran gab Prof. Dr. Klaus Ziemer (Universität Trier / Instytut Politologii UKSW) einen Überblick über politische, wirtschaftliche und politisch-kulturelle Aspekte der Transformation Polens, die er als „gelungene Transformation mit Schönheitsfehlern“ bezeichnete.
Die beiden abschließenden Panels des Tages nahmen die Transformationsprozesse Tschechiens und Rumäniens in den Blick. Während Dr. Karel Vodička (Universität Aussig) die demokratische Konsolidierung Tschechiens im EU-Kontext beleuchtete, zeichnete Dr. Tina Olteanu (Universität Wien) für Rumänien das kritische Bild einer „entzauberten Demokratie“. Die „Entzauberung“ der rumänischen Demokratie machte sie vor allem an der mangelnden Konsolidierung der bürgerlichen Kultur, dem Vorhandensein von Kartellparteien und einer „wachsenden Dichotomie zwischen politischen Eliten und Bürgern bei gleichzeitigem demokratischem Partizipationsanspruch“ fest.
Nach einem von Karel Vodička unter dem Titel „Konsolidiert? Postkommunistischer EU-Raum komparativ“ gehaltenen Impulsreferat fand der erste Tagungstag seinen Abschluss in einer Podiumsdiskussion. Unter der Moderation von Hendrik Hansen diskutierten Ellen Bos, Günther Heydemann, Claudia-Yvette Matthes, Karel Vodička und Klaus Ziemer die Erfolge und Probleme der Transformationspolitiken in Mittel- und Osteuropa. Bos argumentierte in der Diskussion, dass die Vergleichsperspektive zeige, dass die Transformationsforschung in Bezug auf Konsolidierungsmodelle konzeptionelle Nacharbeit zu leisten habe. Denn wo gemäß üblicher Kriterien manche Demokratie als konsolidiert erscheinen möge, lege ein genauerer Blick häufig andere Schlussfolgerungen nahe. Günther Heydemann betonte, dass für eine erfolgreiche Transformation die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit von zentraler Bedeutung sei. Pointiert stellte er fest „Wenn man da nichts macht, fällt die Sache den Leuten irgendwann wieder auf die Füße“. Nach der Öffnung der Diskussion für das Publikum merkte Dr. Tina Olteanu (Universität Wien) an, dass im Vergleich von Transformationsprozessen oft außer Acht gelassen werde, dass auch etablierte westliche Demokratien sich in den letzten Jahren verändert und mit Problemen zu kämpfen hätten. Diese Probleme seien denjenigen in Transformationsstaaten oft nicht unähnlich, liefen für etablierte westliche Demokratien aber unter Labeln wie „Krise der Demokratie“, „Postdemokratie“ oder „Partizipationskrise“. Der von Philipp Ther entwickelte Begriff der Ko-Transformation helfe, diese parallelen bzw. in Wechselwirkung stehenden Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Nach dem Ende der Podiumsdiskussion wurden die Gespräche im Rahmen eines von der Deutschen Botschaft finanzierten Empfangs fortgesetzt. Der Botschaft sei an diese Stelle herzlich für ihre finanzielle Unterstützung gedankt!
Am zweiten Tag der Konferenz wurde das Programm mit Panels zu den Länderschwerpunkten Slowakei, Lettland und Kroatien fortgesetzt. Dr. Nicole Gallina (Université de Fribourg, Schweiz) ging in ihrem Vortrag „Der Chef bin ich. Politische Kultur in der Slowakei“ vor allem auf die Politiker Vladimír Mečiar und Robert Fico und deren Einfluss auf die slowakische Politik ein. Dr. Claudia-Yvette Matthes (HU Berlin) legte in ihrem Vortrag zu Lettland Besonderheiten der lettischen politischen Entwicklung dar, wie bspw. die nationale Frage, die geopolitische Lage Lettlands und Konflikte um die Staatsbürgerschaft und die Staatssprache. Im letzten Panel der Tagung beleuchtete Tomislav Maršić (Universität Oxford, England) die demokratische Kontrolle in Kroatien zwischen 1991-2015. Sein Vortrag, der durch zahlreiche mit kroatischen Experten und Journalisten geführte Interviews empirisch unterfüttert war, zeichnete einerseits die Entwicklung der kroatischen Demokratie seit 1991 nach. Andererseits arbeitete Maršić die Triebfaktoren dieser Entwicklung heraus und analysierte diese. Zu den Faktoren, die die Abkehr Kroatiens vom Autoritarismus bzw. die Entwicklung hin zur Demokratie beförderten, zählte Maršić u.a. eine durch den Parteienwettbewerb verursachte Selbstbescheidung der politischen Akteure sowie die ab 2010 aus innerparteilichen Motiven gestartete Antikorruptionskampagne.
In der abschließenden Zusammenfassung der Tagung betonte Hendrik Hansen, dass es für die Analyse von Transformationsprozessen entscheidend sei, in die jeweiligen Länder zu gehen und zu versuchen, diese von innen her zu verstehen. In Kontrast zur manchmal einseitigen Perspektive externer Medienberichterstatter könne man, ausgehend von solch einem inneren Verständnis, fundiert und in freundschaftlicher Manier auch kritische Bemerkungen machen.
Text: Tim Kraski
Fotos: Szecsődi Balázs