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"Ent-Österreicherung" als kulturelles Fundament und politisches Programm?
Zentrum für Demokratieforschung, Lehrstuhl für Kulturwissenschaften
Vortrag von Ladislav Cabada zur symbolischen Beseitigung österreichischer Symbole und Österreichs in Tschechien.

Ladislav Cabada, Professor für Politikwissenschaft an der Metropolitan University Prag und International Chair an der Nemzeti Köszolgálati Egyetem in Budapest, gab am 22. November 2016 in der Österreich-Bibliothek György Sebestyén an der AUB Einblicke in die tschechisch-österreichischen Beziehungen, die – insbesondere im Vergleich mit den tschechisch-deutschen Beziehungen – oftmals besonders konfliktbeladen (gewesen) seien.

Die Veranstaltung wurde von Christina Griessler (Zentrum für Demokratieforschung) und Ursula Mindler-Steiner (Lehrstuhl für Kulturwissenschaften) organisierte und von letzterer moderiert.

Einen wesentlichen Grund dafür sah der Referent auch in der gemeinsamen Geschichte Österreichs und Tschechiens. So konzentrierte er sich in seiner Analyse auf die Projektion historischer Rahmen auf das gegenwärtige gesellschaftliche und politische Geschehen. Die „Entösterreicherung“, d. h. die Beseitigung „österreichischer“ Denkmäler bzw. ihre Re-Installierung im öffentlichen Raum, bezeichnete er als ein wichtiges Element der öffentlichen Debatte in der Ersten Tschechoslowakischen Republik sowie als einen „Grundstein der tschechoslowakischen Staatsidee“.

Der Abbau österreichischer Denkmäler und Symbole habe gleich in den ersten Tagen nach der Deklaration der selbständigen Tschechoslowakischen Republik 1918 begonnen. Betroffen seien insbesondere Symbole gewesen, die mit der Habsburger Monarchie verbunden gewesen seien und als Ausdruck der Gegenreformation bzw. Re-Katholisierung angesehen worden seien, wie beispielsweise die Skulpturen von Kaiser Franz Joseph I. in Prag, von Maria Theresia in Bratislava und von Kaiser Josef II. in verschiedenen Grenzstädten. Aber auch die Mariensäule auf dem Prager Altstadtplatz, die als Symbol des „Völkerkerkers“ der Habsburger Monarchie gegolten habe, und das Denkmal des böhmischen Adeligen Feldmarschall Radetzky, eines der bedeutendsten Heerführers Österreichs im 19. Jahrhundert, sei entfernt worden. Letztere beiden standen in Folge besonders im Fokus von Cabadas Vortrag. Der Abbau der Mariensäule, der „vom Volk“ betrieben worden sei, sei ein wichtiger Teil des Aufbaus einer neuen, demokratischen Tschechoslowakischen Republik mit klarem protestantischen Fundament – die neue Staatsidee habe in der Monarchie und der Katholischen Kirche undemokratische, totalitäre Institutionen gesehen. Die neuen Symbole, die nun installiert worden seien, seien Denkmäler von Repräsentanten der Entente (u. a. Wilson) sowie von Bohemophilen (z. B. E. Denis). Die Entfernung des Radetzky-Denkmals wiederum sei nicht aufgrund des Volkswillens erfolgt, sondern auf Druck der italienischen Regierung, deren in der Nähe des Denkmals angesiedelte Botschaft „sich so schnell wie möglich um eine Auslöschung der Erinnerung an die zahlreichen Niederlagen, die Marschall Radetzky ihren Armeen in den Kämpfen um die italienische Einheit beschert hatte“ (Z. Dusek), bemüht habe.

Cabada hielt fest, dass die Beseitigung österreichischer Symbole nicht nur mit der Geschichte vor 1918 verbunden sei, sondern dass sie auch in danach folgenden Jahren dynamisiert worden sei und selbst in der Zeit vor der „Wende“, unter anderem unter Dissidenten, diskutiert worden sei. Wichtige Dissidentengruppen hätten sich an der Habsburger Monarchie im mitteleuropäischen Sinne orientiert, in der sie ein Vorbild für eine demokratische Tschechoslowakei gesehen hätten, wobei sie die gesamte Geschichte des Landes seit 1918 relativiert hätten.

Aus diesem Netzwerk wiederum seien aktivistische Gruppen hervorgegangen, die sich nach 1989 für eine mögliche Re-Installierung der österreichischen Denkmäler einsetzt hätten – dieser aktivistischen habe wiederum eine „nostalgische“ Strömung gegenüber gestanden. So seien beide Denkmäler erneut zum Gegenstand der öffentlichen Debatte in Tschechien geworden, die sich um die Frage gedreht habe, ob sie als Symbole einer möglichen Aussöhnung (so die Befürworter einer Re-Installierung beider Denkmäler, zumeist radikale Katholiken und Monarchisten, aber auch der Tourismus) oder einer „Re-Katholisierung“, Entkräftung der nationalen Identität und Überschreibung der Geschichte (so die Gegner einer Re-Installierung, hauptsächlich die protestantischen Kirchen und die Kriegsveteranen) interpretiert werden sollten. Cabada kam dabei zu dem Schluss, dass die ganzen Diskussionen zeigten, dass sich auch nach Jahrzehnten die Positionen im Grunde nicht geändert hätten und die Animosität besonders bei den radikalen Mitgliedern beider Lager nicht im Abnehmen begriffen sei.

Zum Schluss seines Vortrags ging Cabada noch auf die „Entösterreicherung“ als Thema des Präsidentschaftswahlkampfes 2012/2013 ein, indem er die Vorurteile, die Karel Schwarzenberg entgegengebracht worden seien, analysierte, dem vorgeworfen worden sei, als „Landesfremder“, „als Österreicher“, eine Re-Österreichisierung und auch Re-Katholisierung anzustreben. Letztlich sei Schwarzenberg bei der Wahl dem Gegenkandidaten Milos Zeman unterlegen gewesen. Cabada zog das Fazit, dass diese Wahl gezeigt habe, dass die „Los von Rom“- und „Entösterreicherungs“-Konzepte als ad hoc-Programme politisch immer noch sehr nutzbar sein könne.

Text: Béla Teleky

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