Die Konferenz „The Implication of the European Commission’s White Paper on the Future of Europe on European Administrative Law“ diente der Erörterung des genannten Weißbuches der europäischen Kommission vom März 2017 primär – jedoch nicht ausschließlich – aus der Perspektive des Verwaltungsrechts.
Nach jeweils kurzen Begrüßungen von Prof. Balthasar (AUB, ELI), Dr. Tamás Sulyok (Präsident des Verfassungsgerichts Ungarns) und Prof. Sonnevend (Vize-Dekan der juridischen Fakultät der ELTE), in denen die Bedeutung gerade des europäischen Verwaltungsrechts und seiner Auslegung in Gerichten wie Universitäten für die weitere europäische Integration, aber auch deren gegenwärtige Gefährdung (etwa durch ein Auseinanderdriften der Grundwerte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit) angesprochen wurden, entfaltete zunächst das erste – politikwissenschaftliche – Panel („The Grand View“), bestehend aus Prof. Rainer Münz (Europäische Kommission/EPSC, Brüssel), Prof. Anton Pelinka (CEU) und Prof. Andrew Massey (Universität Exeter), den gegenwärtigen Hintergrund der Thematik.
Münz fokussierte seine Präsentation auf die Frage, wie sich unterschiedliche innere und äußere Faktoren auf die Umsetzbarkeit der fünf Szenarien für die Weiterentwicklung des Weißbuches auswirken könnten. Beispiele hierfür seien der Brexit, die anhaltende Wirtschaftskrise und die fehlende Unterstützung der politischen Führung der Mitgliedstaaten. Abschließend beschrieb er einen möglichen Lösungsweg, der eine institutionelle Reform, die Gründung einer wirtschaftlichen und währungspolitischen Union, die Verfolgung eines sozialen Europas sowie die Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit mit Fokus auf die Frage der Migration verfolge. Dazu müsste die Europäische Union ihr Budget modernisieren, um eine Union zu schaffen, welche ermächtigt und beschützt. Anton Pelinka warf anschließend in diesem eher politikwissenschaftlichen Block die Frage auf, ob die Union ihren Prozess der Erweiterung stoppen und dafür einen Prozess der Vertiefung starten sollte. Dies machte er vor allem an der Annahme fest, dass die Erweiterung der Gemeinschaft innerhalb der nächsten 20 Jahren keine wirkliche Zukunft hat und die Möglichkeit einer immer tiefgreifenderen Union viele Vorteile bergen würde. Allerdings sprach er auch die Hauptprobleme einer solch vertieften Union an. Diese sah er in der Frage der Stellung der Außenwirkung der Friedenspolitik der EU sowie der bestehenden verschiedenen politischen Ebenen in der Union und ihrer Zusammenarbeit. Andrew Massey fragte sich nach der Effektivität der Europäischen Integration und für wen diese im Falle des Falles effektiv wäre. Dabei sprach er der Union ein strategisches Planen und Denken ab, welches in anderen Teilen der Welt sehr ausgeprägt ist. Aus Sicht der Verwaltungen fordert das Weißbuch der Union mehr zwingenden Isomorphismus in Bezug auf die Reformen - also „wir geben euch die Reform vor und ihr setzt sie eins zu eins um“ und weniger ein mimetischer Isomorphismus, bei dem jeder die Reformen in seinem eigenen Tempo umsetzen kann. Als Brite warf er zuletzt einige Fragen bezüglich des Brexits und der Umsetzung durch die britische Verwaltung auf. Hierbei sah er vor allem Probleme in dem Auseinanderknüpfen des engmaschigen Netzes bestehend aus europäischem und britischem Recht.
Die nachfolgenden Panels („Substantive View I“, „Institutional View“, „Substantive View II“) boten sodann einer Reihe von Experten aus den verschiedensten Bereichen des Verwaltungsrechts die Möglichkeit, einen von ihnen selbst gewählten Aspekt der Thematik vorzustellen.
Den Beginn machte Prof. Anna Simonati (Universität Trient) mit ihrem Vortrag zur Rolle von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Dabei zeigte sie auf, dass vor allem die überregionale Kooperation der beiden autonomen Gebietskörperschaften Trentino-Alto Adige/Südtirol als Vorbild gelten kann und eben diese freiwilligen und meist engen Kooperationen für die Körperschaften von enormem Vorteil sind.
Im Anschluss beschäftigte sich Dr. Joanna Osiejewicz (Universität Zielona Góra) mit der Frage der Gassicherheit in Europa und der Förderung von erneuerbaren Energien. Osiejewicz zeichnete zunächst die Herangehensweise der Europäischen Union nach, welche sich im Zuge des russisch-ukrainischen Gasstreites und der daraus resultierenden Gaskrise 2006 herausgebildet hat. Neben einer dreistufigen Herangehensweise zur Vorbeugung beinhaltete die Strategie der Union auch ein dreistufiges Vorgehen bei dem erneuten Auftreten einer solchen Krise. Anschließend erläuterte Osiejewicz die neue Richtlinie aus dem Jahr 2017 und untermauerte ihr Gesagtes mit einigen Fällen mit Bezug zum Ausbau der erneuerbaren Richtlinien.
Den Abschluss dieses Panels bildete der Vortrag von Prof. Georges Cavalier (Universität Lyon), welcher die Zukunft des Steuerrechts in der Europäischen Union thematisierte. Er wies zunächst darauf hin, dass es sehr wenige Harmonisierungsmaßnahmen in der Union im Bereich der Steuern gebe und dass durch die negative Harmonisierung in den letzten 30 Jahren eher das Gegenteilige – die Stärkung der nationalen Steuersysteme – erreicht worden sei. Er schloss mit dem Gedanken ab, dass die Frage eines einheitlichen und geschlossenen Europas im Bereich des Steuerrechts auch die Frage der Möglichkeit der Besteuerung von großen Unternehmen sei (ein brandaktuelles Thema).
Die institutionelle Sichtweise leitete Prof. Nora Chronowoski (ELTE) mit ihrem Vortrag zu „Regionalized Enhanced Cooperation“ und der Fragestellung, ob dies ein Werkzeug zur Stärkung der Subsidiarität in der EU sei, ein. Solche internen Kooperationen sind Teil des dritten Szenarios des Weißbuches, in dem diejenigen, die mehr wollen, auch mehr tun. Dies birgt laut Chronowoski allerdings auch einige Nachteile für die Bürger, beispielsweise leide die Transparenz. Nach einer kurzen Diskussion der einzelnen Aspekte der Subsidiarität nach Art. 5 EUV wies Chronowoski abschließend auf die Vorteile hin, die regionale Kooperationen für die Mitgliedstaaten bieten, wie zum Beispiel die Viségrad-Kooperation.
Daran schloss Prof. Wolfgang Weiß mit einem Vortrag zum Thema „The Future of EU Executive Rulemaking“ an. Zunächst erklärte Weiß, dass der Präsident der Kommission dem Weißbuch noch ein sechstes Szenario hinzugefügt habe, welches noch ambitionierter sei als die vorangegangenen. Nach anschließender Erläuterung der formalen Kriterien und Definitionen der untergesetzlichen (tertiären) Rechtssetzung (nach Art. 290, 291 AEUV, aber auch durch Agenturen) schloss Weiß, dass in Zukunft dieses exekutive Rulemaking in allen Szenarien des Weißbuches eine noch größere Bedeutung als gegenwärtig ohnedies schon haben werde.
Das Panel wurde von Victor Vaugoin (Pantharei Unternehmensberatung, Brüssel) abgeschlossen, welcher sich mit der Thematik der „The Hidden power: Implementing and Delegated Acts in Light of the White Paper on the Future of Europe” befasste. Zunächst einmal hob er die Komitologie innerhalb der Europäischen Union hervor, welche in diesem Bereich eine große Rolle spielt und sowohl Vorteile als auch Nachteile birgt. Weiterhin legte er dar, dass das Weißbuch eigentlich nur drei Szenarien besitzt: entweder die Fokussierung auf nur den Binnenmarkt ohne eine politische Union und ohne eine gemeinsame Währung, Reformen durch Erweiterung und Verbesserung oder die Vereinigten Staaten von Europa. Vaugoin schloss, dass die Union, wenn sie so weitermacht wie bisher, sich zwischen dem ersten und dem dritten Szenario entscheiden werden muss.
Das letzte Panel wurde von Priv.-Doz. Attila Vincze eingeleitet. Er setzte sich eingehend mit dem Reflexionspapier zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion im Gefolge des Weißbuches auseinander. Die grundsätzliche Aussage der EU sei dabei eine komplette Umstrukturierung der europäischen Finanzen. Diese sah Vincze vor allem mit Blick auf die Finanzdisziplin und die dazu von der EU vorgesehenen Mechanismen kritisch. Auch die Frage ob der Europäische Währungsfonds durch Art. 352 AEUV in die EU Rahmengesetzgebung eingebunden werde sollte, diskutierte Vincze in seinem Vortrag und sprach sich dafür aus. An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion mit Rainer Münz an, welcher die Arbeit der Kommission bereits weiter und mit einem anderen Schwerpunkt sah. Als nächstes trug Dr. Mariia Muravska (Wissenschaftlicher Dienst des ukrainischen Parlaments, Kiew) ihre Gedanken zum Thema „Legal Obligations to Adress Climate Change under EU-legislation“ vor. Hierbei betonte sie vor allem die verschiedenen Vor- und Nachteile, die das Pariser Abkommen für die EU bietet. Hierzu stellte sie anschaulich den Fall Uganda vs. Niederlande vor um ihre Punkte zu verdeutlichen. Sie stellte zum Schluss fest, dass die momentane EU-Policy im Bereich des Klimaschutzes die Mitgliedstaaten der EU nicht befähigt, die im Pariser Abkommen festgehaltenen Ziele zu erreichen.
Den Abschluss der Konferenz bildete Frau Rechtsanwältin Mariella Fiorentino mit ihrem Vortrag zum Thema „Ex Post Reasoning as a Possible Instrument of Fighting Public Corruption“. Hierzu zog sie Italien als Beispiel heran und legte dar, dass ein Land, welches im Bereich der Korruption auf einem Level mit Kuba ist und in der EU das Schlusslicht bildet, durch die Anwendung des dritten Szenarios des Weißbuches erreichen könnte, dass der vor allem betroffene Süden verstärkt tätig werden könnte. Weiterhin führte sie an, dass der Art. 41 der europäischen Grundrechtecharta auch eine mögliche Grundlage für das verstärkte Vorgehen gegen Korruption in Süditalien sein kann. Kurzfristig verhindert war Dr. Bruno Reynaud de Sousa (Universität Porto), der jedoch die schriftliche Fassung seines Vortrages zum Thema „Mission Failure? An Assessment of EUNAVFOR Med“ – im Kern eine Auseinandersetzung mit den durch die aktuelle Migrationskrise an die EU gestellten Herausforderungen – vorab übermittelt hatte, sodass diese den Tagungsunterlagen beigelegt werden konnte.
Bericht von Johanna STENDAL