In seinem Vortrag zum Thema „Die österreichische Bundespräsidentenwahl 2016 im Lichte gegenwärtiger politischer Entwicklungen“ sprach Prof. Heinrich Neisser am 14. Februar 2017 an der Andrássy Universität Budapest über das in Österreich bedeutendste politische Ereignis des Jahres 2016. Laut Neisser zeigten diese Bundespräsidentenwahlen die Defizite aber auch das Potenzial des österreichischen politischen Systems auf.
Zuerst ging der Vortragende auf den Ablauf der Wahlen und auf die KandidatenInnen ein. Die Besonderheit dieser Wahl war sicherlich, dass Irmgard Griss als unabhängige Kandidatin im ersten Durchgang als drittstärkste hervorging sowie kein Kandidat der ehemaligen Großparteien, die bis jetzt immer den Bundespräsidenten gestellt hatten, in die Stichwahl gekommen ist. Im zweiten Wahldurchgang traten der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und der offiziell unabhängige Kandidat, der jedoch von den Grünen unterstützt wurde, Alexander Van der Bellen gegeneinander an. Danach folgten die Anfechtung und Aufhebung des zweiten Wahldurchgangs durch den Verfassungsgerichtshof und das Wahlkarten-Debakel, der sogenannten „Klebstoffaffäre“, die zur Verschiebung der Wahlwiederholung des zweiten Durchgangs führte. Schlussendlich wurde jedoch Alexander Van der Bellen in einer gültigen Wahl am 04. Dezember 2016, nach einem Jahr Wahlkampf, mit einem eindeutigen Stimmenvorsprung gewählt.
Den zweiten Teil des Vortrags widmete Neisser der historischen Entwicklung der Rolle des österreichischen Bundespräsidenten, dessen Funktionen erst in der Verfassungsänderung von 1929 festgelegt und zuvor, seit 1918, von einem Kollegium, dem Staatsrat, ausgeübt wurden. Die erste direkte Volkswahl des Bundespräsidenten, obwohl bereits 1929 festgelegt, erfolgte jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1951. Die Bundespräsidenten der Zweiten Republik kamen entweder von der SPÖ oder der ÖVP, dabei wurde meist jene Politiker von der Partei gewählt, die gerade nicht den Bundeskanzler stellte, wobei Rudolf Kirchschläger eine Ausnahme war. Neben der Bundespräsidentenwahl von 2016 erhielt die Wahl von Kurt Waldheim Jahr 1986 große internationale Aufmerksamkeit. Neisser zeigte in seinem Vortrag auf, dass die im Wahlkampf diskutierten Themen eigentlich nicht im Kompetenzbereich des Bundespräsidenten liegen. Vom neuen Bundespräsidenten könne man erwarten, dass dieser die Regierung zu Reformen bewege, Änderungen im politischen System andiskutiere – u. a. auch die eigenen Kompetenzen – und eine notwendige Verfassungsreform initiiere, so Neisser. Er könne außerdem als Vermittler auftreten in einem politischen System, das sich immer mehr von einem Konkordanz- zu einem Konkurrenzsystem entwickle. Neisser beendete seinen Vortrag einerseits mit der Frage, wie das „Psychogram“ eines Bundespräsidenten eigentlich aussehen müsse, damit dieser allen Ansprüchen gerecht werden kann und andererseits mit dem Hinweis, dass der neue österreichische Bundespräsident ein wahrer „Anti-Populist“ sei.
Text: Christina Griessler