Was ist eine gute Reform? Wie unterscheidet sie sich von der Revolution? Welche Beispiele gibt es dafür in der Geschichte? Wie sieht die Zukunft der Reformen aus? Diesen und vielen anderen Fragen gingen die Vortragende der interdisziplinären Konferenz des Zentrums für Demokratieforschung (ZeDem) am 6. Dezember 2017 nach. Die diesjährige Veranstaltung mit dem Titel Die gute Reform – Annäherungen aus interdisziplinärer Perspektive ist eine Fortsetzung der bisher organisierten drei interdisziplinären Konferenzen des ZeDem.
Ellen Bos und Zoltán Tibor Pállinger von der AUB eröffneten die Konferenz. Sie betonten die Bedeutung der guten Reformen für die Sicherung der liberalen Demokratie, weil in der heutigen Welt der Aufstieg der autoritären Systeme eine Herausforderung für die ersteren darstelle. Gute Politik muss dafür sorgen, dass die Demokratie durch Anpassung an die neuen Umstände (Reform) ihre Zukunftsfähigkeit erhalten kann.
Im ersten Teil der Konferenz standen Grundsatzfragen im Vordergrund. Die Vortragenden näherten sich dem Thema aus interdisziplinärer Perspektive an. Als erster Vortragende stieg Prof. Dr. Siegfried F. Franke (AUB) aus ökonomischer Perspektive mit der Frage ein, was die Bestandteile einer guten Reform sind. Dabei hob er hervor, dass ohne exaktes Kosten-Nutzen-Kalkül Reformen nicht zu verwirklichen seien. Insbesondere sei in diesem Kontext die Kompatibilität von Zielen und Mitteln zu berücksichtigen. Dietmar Meyer behandelte die Frage, inwiefern Reformen als Investitionen anzusehen seien. Wie das ungarische Wort forradalom zeige, seien Reformen oft mit Chaos und dadurch mit Veränderungen verbunden und deswegen nur bedingt als Investition zu bewerten. In seinem Vortrag erörterte Felix. A Dörstelmann (AUB) die praktischen Verwirklichungsperspektiven einer wirtschaftspolitischen Reform. Komplexe Reformen ließen sich – laut Dörstelmann – nur dann verwirklichen, wenn man sie anhand eines mehrdimensionalen ökonomischen Kriterienraster verwirklicht. Jörg Dötsch (AUB) und Tobias Grans (AUB) leiteten den zweiten Teil des ersten Panels mit ihrem Vortrag über den Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Zugang (des more economic approach) und der rechtlichen Perspektive bei der Reform des europäischen Kartellrechts ein. Dabei wiesen sie darauf hin, dass im Zeitalter der Globalisierung dieses Verhältnis durch eine permanente Dynamik gekennzeichnet sei und sich die Ökonomie darum bemühen müsse, von der Politk verstanden zu werden. Effizienz-Erwägungen und Entscheidungspraxis in den Reformplänen von Erzherzog und Thronfolger Franz Ferdinand in der Habsburger Monarchie waren das Thema des Beitrages von Georg Kastner (AUB). Das Beispiel aus der Geschichte hob die gewichtige Rolle der Persönlichkeit als Reformträger hervor. Schließlich wandte sich Zoltán Tibor Pállinger der Frage nach der Krise der repräsentativen Demokratie zu. Dabei hob er hervor, dass der Vertrauensverlust der repräsentativen Institutionen durch den Einsatz partizipativer Verfahren ausgeglichen werden kann.
Der zweite Teil der Konferenz setzte sich spezifisch mit den Reformen in Ungarn auseinander. Dabei wurden sowohl historische als auch aktuelle Fallbeispiele präsentiert und grundlegende Fragen diskutiert. Als erste Referentin in dem Nachmittagspanel erläuterte Henriett Kovács (AUB) die historischen Reformvorgänge in Ungarn zwischen 1830 und 1920. Dabei konnte sie aus historischer Perspektive herausarbeiten, wie Reformen als gut, als schlecht oder als versäumt taxiert werden können. László Komáromi (PPKE) referierte über die Versuche, das System der ungarischen direkten Demokratie zu reformieren. Er betonte, dass die guten und nachhaltigen Reformen nicht durch Revolutionen, sondern durch entsprechende Kenntnisse des Systems sowie durch Geeignetheit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Reformvorschläge zustande kämen. In seinem Vortrag setzte Tamás Sárközy (BME) mit der Frage des Systemwechsels als Reform auseinander. Ungarn hat in den letzten 100 Jahren mehrere Transformationen durchlaufen und Systembrüche erlebt. Ohne die Kenntnisse der historischen Prozesse lasse sich die heutige Situation nicht erklären. Die Frage nach dem optimalen Verhältnis der beiden gesellschaftlichen Subsysteme Politik und Wirtschaft konnte bis heute nicht zufriedenstellend gelöst werden. Deswegen stellt sich die Frage, ob es möglich sei, das gegenwärtige System zu stabilisieren. Ellen Bos (AUB) schilderte die Verfassungsreformen in Ungarn. Sie analysierte dabei zugleich die historisch-politische Notwendigkeit für die Entstehung einer neuen ungarischen Verfassung nach dem Systemwechsel. Und sie hob hervor, dass für die Bewertung von Verfassungsreformen, sowohl inhaltliche als auch prozedurale Kriterien von Bedeutung sind. István Szabó (PPKE) widmete sich der Etablierung des Oberhauses durch das Gesetz der Nationalversammlung aus dem Jahr 1926 sowie der Erweiterung seiner Befugnisse im Jahr 1937. Szabó zeigte auf, dass diese Reformen einen eher nicht durchgedachten Charakter hatten. Die Frage ob sie als Zwischenschritt zu mehr Demokratisierung oder zur Festigung des autoritären Systems dienten liess sich nicht endgültig entscheiden. Als letzte Referentin des Tages hatte Melani Barlai (AUB) das Wort. Sie präsentierte das Projekt Vokskabin. Vokskabin ist ein elektronischer Online-Wahlhelfer, dessen Ziel es ist, den Bürgerinnen und Bürgern parteipolitische Orientierung zu bieten – analog zum deutschen Wahl-O-Mat.
In ihrem Schlusswort fassten die Organisatoren die Ergebnisse der Tagung zusammen. Dabei hoben sie hervor, dass sich aus der Gesamtheit der Beiträge durchaus Kriterien für die gute Reform identifizieren lassen. Sie hoben die Bedeutung des politischen Willens, der Rationalität sowie der Information hervor, wobei aber kluge Reformer immer auch bestrebt sein müssen, das Risiko von Reformen zu begrenzen. Weiters betonten sie, dass Reformen sowohl an inhaltlichen als auch prozeduralen Kriterien zu messen seien und betonten, dass es notwendig sei, Reformen richtig zu timen und mit einem konkreten Abschlusstermin zu versehen. Schliesslich hielten sie auch fest, dass für den Erfolg von Reformen, ihre gesellschaftliche Unterstützung (Legimität) unabdingbar sei.
Bericht von Dmitry Androsov und Mátyás Ökrös