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Die Geschichte wiederholt sich!? Sensibilitäten im gegenwärtigen ungarischen politischen und akademischen Diskurs
Fakultät für Mitteleuropäische Studien
Am 5. Dezember 2013 lud die Fakultät für Mitteleuropäische Studien (MES) an der Andrássy Universität Budapest (AUB) zum letzten Diskussionsabend in der Reihe „Wessen Problem ist es? Zur Frage des Antisemitismus im gegenwärtigen Ungarn“ ein.

Die Reihe, welche an der AUB in ungarischer Sprache mit Simultandolmetschen ins Deutsche veranstaltet wurde, näherte sich der Thematik aus verschiedenen Perspektiven an. Sie wurde von Ursula Mindler (AUB/MES) sowie Eszter Lányi (HAVER) konzipiert und organisiert und in Kooperation mit MitarbeiterInnen führender Budapester Universitäten abgehalten: Károly Dániel Dobos (PPKE), Michael Miller (CEU), Kata Zsófia Vincze (ELTE), Tamás Lichtmann (ORZSE), Katalin G. Kállay (KRE) und Christopher Walsch (CUB).

Nach einer kurzen Einführung übergab Ursula Mindler (AUB/MES) das Wort an Mária Kovács (Central European University/CEU), welche die Moderation für den Abend übernommen hatte. Für das Podium waren herausragende ungarische Wissenschafter gewonnen worden: László Karsai (Universität Szeged), András Kovács (CEU) und Katalin G. Kállay (Károli Gáspár Reformierte Universtität/KRE).

Einleitend skizzierte M. Kovács neue Fragen und Herausforderungen in Bezug auf die Horthy-Ära und fragte konkret, ob es möglich sei, Horthy zu rehabilitieren, ohne damit auch den Antisemitismus zu rehabilitieren: nach einer langen kommunistischen Periode versuche man nun die Zeit davor umzudeuten bzw. umzuwerten. A. Kovács bestätigte, dass dieser Prozess auch in den Nachbarländern wahrnehmbar sei, verwies aber darauf, dass man die Begriffe „Umwertung“ und „Rehabilitation“ trennen müsse. Im Bezug auf den Zweiten Weltkrieges würden beide Begriffe zunehmend fallen, doch nicht jede Umbewertung müsse automatisch eine Rehabilitation bedeuten. Rehabilitation würde beinhalten, dass für das heutige historische Gedächtnis diese Periode als etwas dargestellt werden würde, was aufbewahrt bzw. weitergeführt werden solle. Nach der Wende suchte jeder nach historischer Legitimation für sich, weil die bisherigen politischen und gesellschaftlichen Positionen nullifiziert worden waren und sich die Gruppen nur durch verschiedene historische Trends, die sie aufzeigten und in deren Narration sie sich stellten, unterscheiden konnten. L. Karsai vertrat die provokante Ansicht, dass eine Rehabilitierung der Horthy-Zeit nicht automatisch einer Rehabilitierung des Antisemitismus gleichkäme. Er betonte, dass Horthy sich selbst als Antisemiten bezeichnet hatte und man es hier mit konkurrierenden Vergangenheitsbildern, mit Kämpfen um die Kreierung einer „reinen“ Vergangenheit, zu tun habe – für die einen sei Horthy ein Retter, für die anderen ein Mörder. Kállay wiederum sprach aus ihrer Position als Literaturwissenschaftlerin und versuchte die Aufmerksamkeit auf die Literatur zu lenken, welche es dem Autor/der Autorin ermögliche, sich auf einer fiktiven Ebene nicht persönlich äußern zu müssen, aber doch grundlegende Dinge anzusprechen.

In der zweiten Runde stellte M. Kovács die Frage, ob es stimme, dass die Rehabilitierung der Horthy-Zeit ein rechtsextremes Projekt sei oder ob ein derartiges Ansinnen nicht eher auch in breiteren Kreisen der Gesellschaft zu beobachten wäre. Sie räumte ein, das Panel und das Publikum provozieren zu wollen, präsentierte acht Thesen und forderte dazu auf, sich zu überlegen, ob diese der Jobbik zugeordnet werden könnten oder nicht. Die Thesen befassten sich u.a. mit der Geschichtsauffassung in der neuen Präambel, der Geschichte zu den neuen Straßennamen, Antisemitismus (zb. antisemitische Autoren) als Thema des Grundlehrstoffes, den Horthy-Statuen oder der Gründung des Historischen Institutes. Abschließend hielt sie fest, dass im Gesetz bzw. in der Verfassung Ansätze einer Rehabilitation des Horthy-Systems sichtbar wären. A. Kovács verwies auf seine zahlreichen Studien, die u.a. auch belegt hätten, dass revisionistische Meinungen wesentlich breitere Akzeptanz finden würden als Antisemitismus. Auf Karsais Aussage bezogen hielt er fest, dass seiner Meinung nach die Rehabilitierung der Horthy-Zeit sehr wohl auch eine Rehabilitierung des Antisemitismus bedeuten würde. Die Frage der „Säuberung der Geschichte“ sei keine Funktion, die mit Antisemitismus zusammen hängen würde, aber verklärende und positive Bilder (wie schön doch die Horthy-Zeit gewesen sei) ließen sich leichter ausmachen und aufrecht erhalten. Seine Studien hätten gezeigt, dass sich unter den Wählern der Jobbik mehr Antisemiten befänden als unter jenen anderer Parteien (ca. 50 Prozent), dass aber nur 4 Prozent der Wähler angegeben hätten, die Jobbik aus antisemitischen Gründen zu wählen. Parteiwahl und Antisemitismus überlappen sich seiner Meinung nach somit nicht zwangsläufig; jedoch würden die Gesten der Jobbik ein größeres Publikum ansprechen. Karsai hakte ein und warnte davor, die Verantwortung einfach nur auf Extremisten zu schieben. Früher wäre die Rolle der Rechtsextremisten ähnlich der Rolle der heutigen Jobbik gewesen; 1990 hätte es in Ungarn aber keinen Rechtsextremismus wie heute gegeben. Im Jobbik-Wahlkampf würde aber Antisemitismus sehr wohl sichtbar werden. M. Kovács fasste zusammen, dass es laut A. Kovács keinen engen Zusammenhang zwischen historischer Nostalgie und Antisemitismus geben würde, auch wenn über eine Periode gesprochen werden würde, die von Antisemitismus geprägt war. Antisemitische Parteien würden Symbole verwenden, um den Geschmack der Wähler zu treffen.

Daran schloss sie ihre nächsten Fragen an: Wie weit darf eine politische Partei gehen, um dem Geschmack der Wähler zu bedienen? Gibt es so etwas wie eine falsche Rehabilitation? Kann man eine „sterile Rehabilitation“ durchführen und den Antisemitismus nicht mit hinein nehmen? Kann man den staatlichen Antisemitismus der Horthy-Periode ausklammern? – Karsai  verwies auf die lange Tradition des Antisemitismus in Ungarn (zB. Ritualmordanschuldigung in der Tiszaeszlár-Affäre 1882) und skizzierte kurz die Geschichte der Jobbik, immerhin die drittstärkste Partei im ungarischen Parlament, welche in Anknüpfung an frühere Zeiten wieder die „Judenfrage“ mit der „Zigeunerfrage“ verbunden hätte (der Jobbik zufolge würden sich die „Zigeuner“ vermehren, weil die Juden das so haben wollten. A. Kovács fügte dem hinzu, dass die ungarische rechtsextreme Partei eine ausgesprochene Angebotspolitik betreiben würde (Anti-EU, Bruch mit kommunistischer Elite etc.). Die Jobbik wäre eindeutig eine antisemitische Partei, aber bei der Motivation der Wähler würde Antisemitismus keine besondere Rolle spielen. Die Strategie wäre eher, eine Grenzlinie zu schaffen: Jobbik versus „alle anderen“. Diese Strategie würden auch andere rechtsextreme Parteien in Europa anwenden, da man damit jene Stimmen erreiche, die mit dem System unzufrieden seien. Man müsse sich aber einer eigenen Sprache bedienen, die auch die Sprache des Antisemitismus sei, um dort Karriere machen zu können.

 Abschließend wurde die derzeitige, teilweise widersprüchliche Situation in Ungarn diskutiert, „eine Politik mit zwei Äußerungen“ (M. Kovács). M. Kovács fragte das Podium, wie es zu verstehen sei, dass einerseits aus der Präambel im Grundgesetz folge, dass Ungarn keine Verantwortung für die Deportierung der Juden und Jüdinnen tragen würde, der stellvertretende Ministerpräsident aber andererseits etwas Entgegengesetztes behaupten würde. Wie könne es ferner sein, dass an einem Tag eine Statue der rechtsextremen und antisemitischen Schriftstellerin Cécile Tormay enthüllt werde, am anderen Tag ein Denkmal für die Shoa-Opfer. In diesem Kontext wurde auch das Terror Háza erwähnt, in das sehr viel staatliches Geld investiert werden würde, dessen Geschichtsbild aber eigentlich eine Geschichtsverfälschung darstellen würde.

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