Knorr beleuchtete in seinem Vortrag am 10. November 2016 – organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der Andrássy Universität Budapest – eine breite Auswahl an Aspekten, die für die Kosten und Nutzen seiner Meinung nach Berücksichtigung finden sollten. Nach einer kurzen Begrüßung durch Dr. Bence Bauer (Konrad-Adenauer-Stiftung Auslandsbüro Budapest) und einleitenden Worten von Prof. Dr. Stefan Okruch (Leiter des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik), wie Knorr darauf hin, dass diese Schätzungen aufgrund der Ungenauigkeit sehr weit auseinander klaffen würden, da auch die sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Komponente sich erst mit der Zeit zeigen würden (Voraussetzungen der Migranten, Dauer der Integration etc.).
Dazu hatte er einige Zahlen aufbereitet, die die Problematik illustrieren sollten: So habe sich die Zahl der Flüchtlinge im Jahr 2013 von 40.000 auf zwei Millionen im Jahr 2015 erhöht, wovon Schätzungen zufolge rund 80 Prozent der Flüchtlinge über keine gültigen Ausweispapiere verfügen würden. Auch ginge aus den Zahlen hervor, dass es kein einheitliches Bearbeitungssystem von Asylanträgen innerhalb Europas gäbe, was dazu führen würde, dass beispielsweise die Schweiz in ca. einer Woche über einen Antrag entscheiden würde, Deutschland oder auch Schweden hingegen bis zu sieben Monate brauchen würden.
Als Hauptflüchtlingsrouten in die Europäische Union seien sowohl der Balkan, als auch das zentrale Mittelmeer zu nennen. Besonders ältere oder schwäche Menschen würden versuchen, den Landweg zu vermeiden, obwohl es viel gefährlicher sei, mit dem Boot nach Europa zu reisen, da fast jeder 23. Mensch auf der Überfahrt sterben würde. Auch hier würden sich systematische Schwächen zeigen: Zum einen wäre es rechtlich für Flüchtlinge durchaus möglich, mit dem Flugzeug sicher einzureisen, was jedoch aufgrund von Unwissenheit oder Unsicherheit von Seiten der Fluggesellschaften abgelehnt würde. Zum anderen gäbe es divergierende bilaterale Rückführungsabkommen mit nordafrikanischen Staaten, die nicht einheitlich für Europa geregelt seien. Es zeige sich auch, dass aufgrund der beiden primären Flüchtlingsrouten die Hauptlast bei Ländern wie beispielsweise Ungarn liegen würde, wenn man die Zahl der Flüchtlinge pro Einwohner heranziehe, auch wenn Deutschland absolut die meisten Flüchtlinge aufgenommen habe. Hier würden auch die unterschiedlichen „push- und pull-Faktoren“ für Migration und Flucht angesprochen.
Gerade die sozio-ökonomische Struktur der bisher angekommenen Flüchtlinge sei sehr heterogen und vor allem aufgrund von Datenproblemen unzureichend erfasst, so Knorr. Besonders die Altersbestimmung gestalte sich schwierig, da man hier in den meisten Fällen auf die Selbstauskunft vertrauen müsse. Bei Zahlen zu der religiösen Verteilung zeige sich, dass ca. drei Viertel Muslime sind. Auch bei der Bildung wäre man größten Teils auf die Selbstauskunft angewiesen, da nur in seltenen Fällen Dokumente vorliegen würden, beziehungsweise es auch keine Tests gäbe. Es zeige sich, dass zum einen mehr Frauen als Männer über eine Tertiär- und Sekundärausbildung verfügen würden, es zum anderen aber Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit gäbe. Bei den Sprachen zeige sich ein heterogenes Bild: Besonders Arabisch, aber auch Albanisch und Englisch würden als Mutter- oder Kommunikationssprachen angegeben.
Dies stelle die Gesellschaft natürlich vor rechtlich-administrative Herausforderungen. Einerseits würden sowohl internationale, wie auch europarechtliche Regelungen (Genfer Konventionen, Dubliner Übereinkommen etc.) gelten. Andererseits würden lediglich ein paar europäische Länder eine arbeitsmarktorientierte Einwanderungspolitik kennen und der EU-interne Informationsaustausch entbehre einer gemeinsamen einheitlichen Datenbank. Auch würden sich Herausforderungen in den Dokumentationsprozessen, den Verwaltungskapazitäten, der Vereinheitlichung der Standards bei der Identitätsprüfung und der unterschiedlichen Perzeption der Sicherheitsfragen in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zeigen.
Gerade der letzte Punkt werfe die Frage nach den aktuellen Sicherheitskonzepten auf, besonders bei Außengrenzkontrollfrage und das zeitweise Aussetzen der Schengenregeln. Es zeigt sich aber auch, dass aufgrund der spezifischen demographischen Situation ein Umdenken in den bisherigen Konzepten nötig sei. So sei beispielsweise das Gefühl der Unsicherheit gestiegen, die allgemeine Verbrechensrate aber gesunken, trotz gleichzeitigem Anstieg der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte (in Deutschland). Diese Aspekte würden sich natürlich auch auf die potentiellen zukünftigen Sicherheitsfragen auswirken. Zum einen müssten Integrationsdefizite und -bestrebungen angepasst werden, damit sich das systemische Integrationsversagen der Vergangenheit nicht wiederholen könne. Zum anderen müsse auch der Demographie und der Sozialisierung Rechnung getragen werden und adäquate Antworten gefunden werden. Gerade in diesem Bereich dürfte der „cultural baggage“ nicht unterschätzt werden.
In der anschließenden Fragerunde wurden einige Themen detaillierter besprochen, aber auch andere Themen angeschnitten. So wurde der Frage nachgegangen, wovon Integration eigentlich abhänge (statistisch gesehen) und es zeigte sich, dass vor allem Aspekte wie Bildung, Lernwille, beruflicher Erfolg und Sprachbarrieren einflussreich seien und weniger die Komponenten Ethnie und Religion die Integration determinieren würden. Auf die Frage, warum Migration momentan nicht mehr so präsent in den Medien sei, wurde mit verschiedenen Erklärungsmustern versucht zu antworten: So verlaufe Migration in verschiedenen Wellen - teilweise auch abhängig von der Jahreszeit -, über verschiedene Wege (momentan führt der Weg nach Europa über die Ukraine) und sei abhängig von den Fluchtursachen. Jedoch trüge die momentane geringe Berichterstattung darüber hinweg, dass das Problem weiterhin bestehen würde. Auch wurden die Themen 'brain drain' und Quotenregelung angesprochen, ebenso die Frage nach der Entwicklungsökonomik und der Fluchtursachenbekämpfung.
Text: Romy Ruppert