Unter dem Titel „The Day After: What do the results of the U.S. Elections mean for Europe“ analysierte Dr. Heinrich Kreft am 5. November 2020 im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung des Zentrums für Diplomatie und des Zentrums für Demokratieforschung in der Reihe IB-Dialog im Spiegelsaal der Andrássy Universität die amerikanischen Wahlen und ihre voraussichtlichen Auswirkungen auf Europa und die Welt.
Auf acht Jahre Vizepräsidentschaft und viel Erfahrung in der Außen- und Sicherheitspolitik könne Joe Biden zurückblicken, der in Europa als Befürworter der NATO gilt und für Freihandel und die traditionelle Rolle der USA auf der Welt eintritt. Problematisch sei für ihn jedoch, dass er sich aller Voraussicht nach auf keine Mehrheit der Demokraten im Senat stützen könne, also mit einem gespaltenen Kongress arbeiten müsse. Biden werde daher einiges an Zeit in die Zusammenarbeit mit dem Kongress, insbesondere mit dem Senat, investieren müssen wie auch in die Überwindung der Pandemie, dem Wiederaufbau der Wirtschaft und der Überwindung der gesellschaftlichen Polarisierung. Die Allianzen der USA auf der ganzen Welt seien Biden wichtig. Unklar sei aber noch, ob er eine Stärkung der NATO in der eigenen Partei durchsetzen könne. Der Druck auf die Europäer, mehr für die eigene Sicherheit zu tun, werde aber auf jeden Fall bleiben. Für die Europäer sei der Handel mit den USA wichtig, insbesondere für Deutschland. Auch würde in Europa die Ankündigung Bidens begrüßt zum Pariser Klimarahmenabkommen zurückzukehren.
Die größte außenpolitische Herausforderung der USA sei allerdings die wachsende Rivalität mit China, wobei sich Demokraten und Republikaner einig seien. Biden werde aber wahrscheinlich auch hier den Schulterschluss mit den europäischen und asiatischen Partnern suchen. Das müssten auch die mittel- und osteuropäischen Staaten bedenken, die in dem 2012 in Budapest gegründeten 16 (17)+1-Gipfelformat mit China verbunden sind. Biden werde voraussichtlich die Menschenrechtslage in China anprangern und dabei auch die Unterstützung der Europäer einfordern.
Des Weiteren hat Biden während des Wahlkampfs deutlich die Einmischung Russlands in die US-Innenpolitik, insbesondere in Wahlangelegenheiten, kritisiert. Auch deshalb würden die US-russischen Beziehungen schwierig bleiben. Biden müsse sich umgehend um das New Strategic Arms Reduction Treaty kümmern, das Ende Februar 2021 auslaufe. Insgesamt werde Biden aber eine stabilere Beziehung zu Russland anstreben.
Zusammenfassend könne man davon ausgehen, dass Präsident Biden eine traditionellere US-Außenpolitik verfolgen werde. Eine zentrale Rolle werde dabei die Wiederherstellung vertrauensvoller Beziehungen mit europäischen Partnern und anderen Demokratien spielen.
Wie jede Partnerschaft habe auch die Partnerschaft Europas mit den USA zwei Seiten. Europa sollte bei den Themen Klima, Handel sowie den Beziehungen zu Russland und China mit eigenen Vorschlägen auf die zukünftige Biden-Administration zugehen.
Eine zweite Amtszeit Trumps wäre laut Kreft eine höchst unberechenbare Zeit geworden, denn er hätte noch aggressiver agieren können wobei die Europäer insbesondere die Deutschen sicherlich eine beliebte Zielscheibe seiner Attacken geblieben wären. Aber auch eine zweite Amtszeit Trumps hätten die Europäer natürlich akzeptieren müssen – schließlich obliege es dem amerikanischen Volk, seinen Präsidenten, sowie Senatoren und Abgeordnete zu wählen.
Auf den Vortrag folgten die Kommentierungen von Dr. Miklos Lojko. Dieser forderte Krefts Argumente mit verschiedenen Gedankenspielen, Ansichten und Erfahrungen heraus. Beide beantworteten anschließend Fragen der Anwesenden und aus dem Internet, da die Veranstaltung auch über YouTube übertragen wurde, wo sie auch jetzt noch angeschaut werden kann.
Schilan STACH