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"Denn dies ist das Interesse des Landes"
Ehemaliger ungarischer Ministerpräsident Miklós Németh an der Andrássy Universität Budapest.

Der Spiegelsaal der Andrássy Universität Budapest (AUB) war am 26. Februar Schauplatz eines zeithistorischen Rundtischgesprächs. Bei der Vorstellung des biographischen Interviewbuchs "Denn dies ist das Interesse des Landes" von Andreas Oplatka über Miklós Németh, Ministerpräsident der Wendejahre 1988 bis 1990, diskutierten der Historiker Ignác Romsics, János M. Rainer (Leiter des 56-er-Instituts) sowie der bekannte Journalist und Pressehistoriker József Martin mit den beiden Autoren. Moderiert wurde die Runde von Henriett Kovács, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der AUB.

Das Buch wurde Ende Oktober 2014 veröffentlicht und stand während zweieinhalb Monaten unverändert weit vorne auf den ungarischen Bestsellerlisten. Entsprechend groß war das Interesse des Publikums.

Die Eröffnungsfrage ging an die Autoren. Sie wurden gebeten zu erläutern, weshalb das Buch jetzt und in dieser Form erschienen sei. Németh räumte ein, dass er sich in den letzten 25 Jahren wenig zur ungarischen Politik geäußert habe, was sich zum Teil auch damit erkläre, dass es ihm als Vizepräsidenten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London (EBRD) in den Jahren von 1991 bis 2000 gemäß den Statuten der Institution politische Stellungnahmen nicht möglich war. Oplatka erklärte die etwas seltsame Struktur des Buches mit der kurzen Entstehungszeit: Es handele sich um eine Mischung aus Autobiographie und Biographie; in der letztgenannten kommen unter anderem György Jenei, Berater von Németh während seiner Präsidentschaft, sowie mehrere Zeitzeugen zu Wort. Zu ihnen gehörten auch die drei weiteren Diskussionsteilnehmer.

Auf die Frage der Moderatorin, inwiefern diese drei Gäste teilweise andere Meinungen über die Gründe und den Verlauf der Wende 1989 vertreten würden als der damalige Ministerpräsident, erläuterten diese in groben Zügen, was sie im Buch gerne stärker betont gesehen hätten. So hätte Romsics den internationalen Rahmen des Systemwechsels mehr in den Fokus gestellt: Der Niedergang der Sowjetunion bilde die Rahmenbedingungen, in der die Wende möglich geworden sei, so Romcis. Rainer vermisste einen tiefergehenden Einblick in die Zerrissenheit und Zweifel der führenden Persönlichkeiten der spätkommunistischen Zeit, während Martin – selbst etwas älter als Németh –auf seine anders gearteten Studienerinnerungen von der Karl-Marx-Universität für Wirtschaftswissenschaften (heute Corvinus Universität Budapest) in den 60er-Jahren hinwies.

Németh antwortete überaus ausführlich, was das zahlreich erschienene Publikum sichtlich genoss: Hier sprach jemand, der Einblicke in für Außenstehenden kaum bekannten Details in die inneren Zirkeln der damaligen Macht gab. Er berichtete über die äußerst schwierigen Bedingungen, unter denen im hochverschuldeten Ungarn der 80er-Jahre die Wirtschaftspolitik gestaltet und gegen ideologischen Widerstand verteidigt werden musste. Der sowjetische Parteichef Gorbatschow, wie Németh ausführte, zeigte sich zwar 1989 den ungarischen Reformwünschen gegenüber aufgeschlossen, aber niemand vermochte damals zu sagen, wie fest die Position des Generalsekretärs wirklich gewesen war. Das Verständnis für das Unabhängigkeitsstreben der ostmitteleuropäischen Länder kannte auch in den westlichen Hauptstädten Grenzen, und die Perspektive der deutschen Wiedervereinigung löste nicht überall Freude aus (z.B. Frankreich und England), so Németh.

Rainer, ein guter Kenner der Quellenlage, bezeichnete die vorhandene Dokumentation der Wende in den ungarischen Archiven als verhältnismäßig gut, wies aber auf die vernichteten Unterlagen der Staatssicherheit als ein ethisch-politisches Problem hin. Auf Martins beharrliche Frage erzählte der frühere Ministerpräsident ein bisher unbekanntes Detail der Wendezeit: Es trifft zu, dass Németh, der die Kompetenz der Opposition damals für ungenügend hielt und sich deshalb im Interesse des Landes eine längere Zeit der Ablösung gewünscht hätte, dem Vorsitzenden des Ungarischen Demokratischen Forums (MDF), József Antall, im Dezember 1989 die Möglichkeit einer frühzeitigen Koalition, das heißt den Eintritt in seine eigene Regierung angeboten hatte. Németh zeigte jetzt ein gewisses Verständnis dafür, dass die Opposition das Angebot damals zurückgewiesen hat, da sie nicht bereit war, die Verantwortung für die damalige bedrückende Wirtschaftslage mitzutragen.

Fotos: Zoltán Tuba

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