Ziel der Konferenz am 30. Oktober 2015 „Democratic Innovation: New Practices and Potentials of Participatory Procedures“ war der Informationsaustausch über neue partizipative Instrumente zur Förderung demokratischer Innovation. Die Konferenz wurde von Dr. László Komáromi (PPKE) eröffnet. Dr. Zoltán Tibor Pállinger (AUB) verwies in seinem Grußwort auf die erfolgreiche Kooperation beider Universitäten im Vorfeld und stieg in das Thema der Konferenz mit der These ein, dass heute die Demokratie als solche vor Legitimitätsproblemen stünde. Die Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten sowie neue, innovative Instrumente könnten helfen, die „Krise“ der Demokratie zu überwinden.
1. Panel: Input Side
Im ersten Beitrag des Panels diskutierte Dr. Lóránt Csink (PPKE) das Thema „Volksbefragungen in Ungarn“. In seinem Vortrag widmete er sich der Frage, ob Volksbefragungen als ein Instrument der direkten Demokratie betrachtet werden können oder ob sie eher dem „politischem Marketing“ dienen würden. Aufgrund zumeist missverständlicher Fragestellungen, dem nicht-bindenden Charakter der Volksbefragung und der wenig transparenten Evaluierung, die durch die Regierung selbst erfolge, sei die Volksbefragung nicht zu vergleichen mit der Volksabstimmung und somit kein Instrument direkter Demokratie. Nichtsdestotrotz gäbe die Volksbefragung Rückschluss über die Meinung des Volkes zu bestimmten Themen, erhöhe daher die Partizipation und sei somit ein Schritt in Richtung der direkten Demokratie.
Janina Apostolou (AUB) beschäftigte sich anschließend in ihrem Vortrag mit dem Bürger- oder Beteiligungshaushalt in Deutschland. Dieser stellt eine Art von kommunaler Bürgerbeteiligung dar. Am Beispiel von Porto Alegre, wo sich dieses partizipative Verfahren großer Beliebtheit erfreut, zeigte die Vortragende auf, wie ein Bürgerhaushalt funktionieren kann. In ihrem Vortrag kam sie jedoch zu dem Ergebnis, dass im Gegensatz zu Porto Alegre Bürgerhaushalte in Deutschland weniger populär und daher nur sehr vereinzelt vorhanden seien.
Prof. Dr. Siegfried Franke (AUB) untersuchte anschließend funktionale Defizite der repräsentativen Demokratie aus ökonomischer Sicht und kam zu dem Schluss, dass direkte Demokratie durchaus zur Beseitigung der angesprochenen Defizite beitragen könne. Dr. Luca Jaskó (PPKE) fokussierte sich in ihrem Beitrag auf die Rolle internationaler Konsultationen in der globalen Demokratie.
In seinem abschließenden Vortrag gab Dr. Uwe Serdült (Zentrum für Demokratie Aarau) einen Überblick über die verschiedenen Formen des E-Votings in der Schweiz. E-Voting ermöglicht die Stimmabgabe über das Internet und vereinfacht dadurch bürgerliche Partizipation. Der Referent wies darauf hin, dass sich E-Voting in der Schweiz großer Beliebtheit erfreue, es jedoch trotz dieser vereinfachten Form der politischen Teilhabe zu keinem Anstieg der Wahlbeteiligung gekommen sei.
2. Panel: Procedural Innovation
Das zweite Panel begann mit einem Vortrag von Melanie Barlai (AUB). Darin behandelte sie das Thema „Voting Advice Applications“ (z. B. der „Wahl-O-Mat“ in Deutschland) und widmete sich der Frage, welche Effekte Internetanwendungen auf das Wahlverhalten der Benutzer haben. Unter anderem kam sie zu dem Ergebnis, dass die Beliebtheit solcher Internetanwendungen von Land zu Land variiere. So feierte bspw. die niederländische Internetanwendung „Stemwijzer“ im Jahr 2006 mit 4.7 Millionen Konsultationen (entspricht ungefähr 40 Prozent der Wählerschaft) einen beachtlichen Erfolg, wohingegen das ungarische Pendant „Vokskabin“ von nur 0,03 Prozent der Wählerschaft genutzt wurde.
Der anschließende Vortrag „Revitalizing democracy - The possibilities of online tools“ von Csaba Madarász, (freiberuflicher Experten im Bereich eDemocracy) behandelte die Relevanz des Zugriffs auf Informationen und die Potenziale, die das Internet in diesem Zusammenhang entfalten könnte. Verschiedene Internetplattformen wie z. B. „DemocracyOS“, „MySociety“ oder „Yourpriorities“ gäben den Bürgern die Möglichkeit, sich politisch umfassend zu informieren und seien daher essentiell, um die bürgerliche Partizipation zu steigern.
In seinem Vortrag zu Thema „Between adaptation and #neuland: Political actors and the challanges of online public sphere(s)“ behandeltet Jonas Kaiser (Zeppelin Universität Friedrichshafen) die Veränderungen, die das Internet in Bezug auf Partizipation mit sich gebracht hätte. Jeder könne sich im heutigen Zeitalter jederzeit frei ausdrücken und politisch engagieren. Vor allem soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter seien dafür prädestiniert, sich politisch zu beteiligen.
Dr. Björg Thorarensen (Universität Island) referierte zu „Lessons from the Icelandic experiment of ‚crowd sourced‘ constitution-making“. Sie präsentierte dabei eine Initiative des isländischen Verfassungsrates, welche Bürger über das Internet an der Ausarbeitung einer neuen Verfassung mitwirken ließ. Obwohl die „Crowdsourcing-Verfassung“ im Parlament vorerst gescheitert sei, sei doch erkennbar gewesen, dass sich Bürger auch an essentiellen politischen Prozessen wie der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beteiligen könnten.
In ihrem Vortrag „Deliberative and participatory democracy: a global comparative analysis“. erläuterte Martina Trettel (EURAC-Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung) die Modelle der deliberativen und partizipatorischen Demokratie. Veranschaulicht wurde der Beitrag durch bekannte Beispiele wie z. B. dem „Australian Citizens’ Parliament“, der „British Columbia Citizens’ Assembly“ oder dem „Porto Alegre’s Participatory Budgeting“. Diese Beispiele stellen neue Formen der bürgerlichen Beteiligung bei politische Prozesse dar.
3. Panel: Case Studies
Das dritte Panel präsentierte anhand von Fallbeispielen, wie demokratische Innovationen und Verfahren der direkten Demokratie in verschiedenen Ländern konkret gefördert werden können. Dr. Ulrich Schlie (AUB) formulierte in seinem Vortrag „Transparency, democracy and the armed forces reform: The example of the German Bundeswehr“ Thesen zu der nationalen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Deutschlands und zeige die derzeitigen Herausforderungen der Bundeswehr auf. In erster Linie müsse Deutschland eine Führungsrolle in Europa einnehmen und einen starken Partner für andere Länder darstellen, so Schlie. Dabei sei eine transparente innenpolitische Kommunikation eine grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Außenpolitik.
Nachfolgend referierte Dr. Pállinger (AUB) über das Verhältnis von direkter Demokratie und Außenpolitik in der Schweiz. Er zeigte am Beispiel des schweizerischen „Bottom-Up Systems“, wie das schweizerische Volk zwischen 1992 und 2014 durch Initiativen und Referenden zahlreiche außenpolitische Entscheidungen beeinflusste. Dies sei bei neorealistischem Politikverständnis durchaus nicht selbstverständlich und könne als substantielle demokratische Innovationen betrachtet werden.
Dr. Christina Griessler (AUB) legte mit ihrem anschließenden Vortrag „Social reform through referendum: The Equality Marriage Campaign in Ireland“ dar, warum Irland ein Vorreiter demokratischer Innovation sei. Die größte Errungenschaft in diesem Bereich sei das erfolgreiche Referendum für gleichgeschlechtliche Ehe im Mai 2015.
Dr. Lászlo Komáromi (PPKE) führte das Thema Referendum im Rahmen seines Vortrags „Flood of referendum initiatives: The case of Hungary“ weiter aus. Mit einem historischen Überblick stellte er die Entwicklung von Initiativen in Ungarn dar, deren Anzahl seit 2007 deutlich angestiegen sei. Viele Anträge hätten allerdings nicht ernst genommen werden können, weswegen Ungarn daraufhin mit Restriktionen reagiert habe, wodurch eine starke Abnahme der Initiativen entstanden sei. Um dieses ungarische „Referendum-Problem“ zu lösen und vernünftige Initiativen zu akquirieren, könne man bspw. die materiellen Voraussetzungen für solche Initiativen senken oder professionelle externe Beratung bei der Formulierung der Initiativen hinzunehmen.
Dr. Sándor Fülop (Präsident der Environmental Management and Law Association) referierte in seiner Präsentation zu den „Hungarian environmental NGOs as actors in multi-level governance“. NGOs hätten in den letzten beiden Legislaturperioden der ungarischen Regierung starke Einschränkungen erlitten. Seiner Meinung nach müsse man die Informationskanäle verbessern, um den Wissensstand des Volkes zu erhöhen. Weiterhin sei es essentiell, die Strukturen der NGOs zu stärken und Diskriminierungen staatlicherseits zu reduzieren. NGOs seien die Zukunft staatlicher Innovation.
Den abschließenden Beitrag „The Open Working Group of the UN (2012-2014) as an experiment in policy development“ lieferte Dr. János Zlinszky (PPKE). Diese „Offene Arbeitsgruppe“ wurde für die Ausarbeitung der sogenannten „nachhaltigen Entwicklungsziele“ (SDGs) der UN einberufen. Das Problem dieser zukunftsweisenden SDGs läge in der nationalen Implementierung. Es sei vor allem Aufgabe der Zivilgesellschaft die Politik transparenter zu gestalten und dadurch Implementierungsprozesse effektiver und effizienter zu gestalten. Nichtsdestotrotz sei die Zusammenarbeit dieser „Offenen Arbeitsgruppe“ sehr erfolgreich gewesen, weswegen man diese Art der Politikformulierung und -gestaltung als eine Innovation betrachten könne.