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"Bewegtes Mitteleuropa"
Doktorschule
2. Internationale DoktorandInnentagung

Die zweite internationale Doktorandentagung des Doktoratskollegs der Andrassy Universität Budapest (AUB) stand vom 15.-16. November 2012 unter dem Motto „Bewegtes Mitteleuropa“. Ziel war es jungen Wissenschaftlern aus verschiedensten geisteswissenschaftlichen Disziplinen ein Forum zu bieten ihre Dissertations- und Forschungsvorhaben mit einem Bezug zum mitteleuropäischen Raum zu präsentieren und zu diskutieren.

Im ersten Panel der Tagung lag der Schwerpunkt auf den Themen Emigration und Remigration. Geleitet wurde das Panel von Georg Hoffmann (AUB, KFU). Andreas Pöschek (Universität Wien) sprach in dem Auftaktvortrag sodann über die ungarische Emigration in Wien in den 1920er Jahren. In dem Beitrag legte Pöschek einen Schwerpunkt auf die Medien der Ausgewanderten. Die politische Situation in Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg und die mehrfachen Machtwechsel in den Jahren 1919 bis 1921 bewogen viele Intellektuelle und Kulturschaffende Ungarn zu einer Emigration in das politisch stabilere Österreich. Wien, wo  in den 1920er Jahre rund 200 000 Ungarn lebten, war ein Hauptanlaufpunkt dieser Emigration. Pöschek betonte, dass den Ausgewanderten im österreichischen Exil zwar eine weitgehende Pressefreiheit eingeräumt wurde, dennoch standen ihre Medien unter einer fortlaufenden Beobachtung österreichischer und ungarischer Behörden.

Kristóf Erdős (ELTE Budapest) berichtete im Anschluss daran über die Tätigkeitsbereiche der Außenstellen des Ungarischen Roten Kreuzes in den Folgejahren des zweiten Weltkriegs. Der Schwerpunkt seines Beitrags lag dabei auf den, im Zeitraum zwischen 1945 bis 1947, in Österreich arbeitenden Hilfsstellen der Organisation. Nach dem zweiten Weltkrieg hielten sich in Österreich rund 500 000 ungarische Flüchtlinge auf. Die Außenstellen des Hilfswerks stellten medizinische und caritative Unterstützung bereit und kümmerten sich insbesondere auch um die Repatriierung der Flüchtlinge. Durch die Arbeit der Hilfsstellen konnten bis 1947 rund 455 000 Ungarn in ihre Heimat zurückkehren.

Sebastian Sparwasser (AUB/Uni Freiburg) knüpfte in seinem Beitrag an die Frage der Rückkehr an und sprach über die Rücksiedlung ungarndeutscher Vertriebener. Rund 10 000 aus Ungarn vertriebene Deutsche waren nach ihrer Enteignung und Aussiedlung in das besetzte Deutschland wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Anhand der Bezugnahme auf lebensgeschichtliche Zeugnisse zeigte Sparwasser, dass eine Rückwanderung der aus Ungarn vertriebenen Deutschen bis in die 1950er Jahre hinein eng mit dem Gefühl des Heimwehs verbunden war.

Das zweite Panel der Tagung stand unter dem Titel „Biographie und Geschichte“. Den Chair hatte Ursula Mindler (AUB) inne. Den Auftakt machte Orsolya Lénárt (AUB,ELTE) mit einem Vortrag über das Bild des Fürsten Imre Thökölys und Ungarns in der deutschsprachigen Literatur Ende des 17. Jahrhunderts. Der mit Textzitaten angereicherte Vortrag zeigte, dass sich die auswärtige Rezeption Ungarns insbesondere im Zuge der Magnatenverschwörung und des Thököly-Aufstandes umgekehrt hatte. Ausgehend von einem positiven Bild als Bollwerks des Christentums wurde Ungarn zunehmend als Feind des Westens rezipiert.

Im Anschluss daran sprach Maria Fanta (AUB) zum Thema „Journalisten in kommunistischen Parteimedien in Österreich und der SBZ/DDR (1945–1956).“ In ihrem Dissertationsvorhaben untersucht Fanta die ideologische und berufliche Identität von Journalisten in kommunistischen Parteiorganen. Eine zentrale Fragestellung ist, wie die politischen Umstände die persönlichen Lebenswege und die berufliche Laufbahn dieser Journalisten beeinflusst haben.

Martin Munke (TUC) befasste sich mit dem Diplomaten Georg Leibbrandt (1899–1982), der im nationalsozialistischen Deutschland als Experte für Ostpolitik galt und in zahlreichen Gremien die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in Mittel- und Osteuropas mitverantwortete. Da Leibbrandts Biographie bislang weitgehend unerforscht blieb, gilt es die Rolle Leibbrandts ein der NS-Politik genauer nachzuzeichnen. 

Fabienne Gouverneurs (AUB) Vortrag stand unter dem Motto „Privat, Politisch, Professionell“. Sie untersuchte die Motivation der Korrespondenz zwischen dem in Berlin lebenden ungarischen Journalisten Mike Fodor und dem amerikanischen Senator James Fulbright. Die Korrespondenz, die zwischen 1943 und 1968 aufrechterhalten worden war, war von Seiten Fodors eine Möglichkeit seine antikommunistische Haltung zu präsentieren. Von Seiten Fulbrights wiederum war der Kontakts zu Fodor eher pragmatischer Natur – nämlich schlicht um über politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Mitteleuropa auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Max Graf (ÖAdW) leitete das dritte Panel der Tagung „Sozialismus in Mittel- und Osteuropa“. Graf vermerkte in seiner Einführung, dass die Öffnung der Archive in Mittel- und Osteuropa seit der Wende nicht nur in den Geschichtswissenschaften, sondern auch in alltagsgeschichtlicher Forschung neue Annäherungsmöglichkeiten und Fragestellungen hervorgebracht haben.

Erika Regner (AUB) eröffnete das Panel mit einem Vortrag über „Die Macht des Kanons“. Sie zeigte darin zunächst theoretisch, welche politische und institutionelle Macht von kanonisierter Literatur ausgeht. Der Kanon hatte auch in der mitteleuropäischen Geschichte stets eine machtpolitische Funktion inne und spielt eine entscheidende Rolle bei der „Top-Down“-Etablierung eines kollektiven Gedächtnisses. Gerade für das sozialistische Ungarn ist dies gut zu beobachten. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Werk des Schriftstellers Géza Otlik, der im Sozialismus in einer Art innere Emigration gezwungen wurde, seine Schriften waren verboten. Im Rahmen der europäischen Integration Ungarns seit der Wende wurde das literarische Schaffen Otliks´s gänzlich neu bewertet und ist heute zentraler Bestandteil des literarischen Kanons in Ungarn.

Im Anschluss daran veranschaulichte Andra Drăghiciu (AUB) in ihrem Beitrag „Underground-Kultur im Kommunismus. Ein Regionalfall“ die Situation der deutschen Jugend im kommunistischen Rumänien Ceausescus der 1980er Jahre. Innerhalb der rumänischen Gesellschaft hatte die deutschstämmige Jugend einen privilegierten Status inne und profitierte dabei insbesondere von den im Ausland lebenden Verwandten, die ihnen Geld und etwa auch westliche Markenprodukte zu Verfügung stellten. Hierdurch hatte die deutsche Jugend Rumäniens eine Art Vermittlerrolle inne und öffnete rumänischen Jugendlichen den Blick in den Westen.

In ihrem Vortrag ,Das ungarische Jeansprogramm: Die Lebensstandardpolitik der Kádár-Ära als Antwort auf die Wirtschafts- und Legitimationskrise der siebziger Jahre“ machte Fruzsina Müller (Uni Leipzig) darauf aufmerksam, dass die ungarische Politik der 1970er und 1980er Jahre insbesondere in Krisenzeiten eine Annäherung an westliche Modestandarts suchte. Anhand zweier Beispiele, der ungarischen Turnschuhmarke Tisza und der Jeansmarke Trapper, zeigte Müller, dass westliche Markenprodukte starken Einfluss auf die ungarische Bekleidungsproduktion hatten. Dies ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass vielerlei wirtschaftliche Kooperationen und Vernetzungen zwischen ungarischen Produzenten und westlichen Vertrieben bestanden hatten.

In dem Panel „Kollektives und kulturelles Gedächtnis“, geleitet von Nicole-Melanie Goll (AUB, Uni Graz), befasste sich Kristina Chmelar (Uni Erlangen/ Nürnberg) mit dem Thema „Erinnerung macht Europa. Zu Kohärenz und Konkurrenz ostmitteleuropäischer Vergangenheitsdeutungen nach 1989“. Sie machte deutlich, dass die geschichtspolitische Auseinandersetzung mit der jüngeren europäischen Geschichte nach wie vor von nationalen Akteuren getragen wird und von einem gemeinsamen europäischen Gedächtnis zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb nicht gesprochen werden könne. Die Diskussion um die "Plattform für das Gedächtnis und das Gewissen Europas" zeige, dass verschiedene Bruchlinien und hierbei insbesondere der nach wie vor bestehende Gegensatz zwischen Ost und West eine kollektive Identität Europas bislang unmöglich machen.

Timea Djerdj (AUB) beschäftigte sich in ihrem Beitrag "It is beautiful in hell, because there are festivals of the Avantgarde" mit der musikalischen Avantgarde im Sozialismus. Sie zeigte, dass die im mitteleuropäischen Raum entstandenen Musikfestivals einerseits zur politischen Propaganda, andererseits aber als Plattformen moderner und anti-sozialistischer Kunst verstanden werden können.

Patrick Jajko´s (AUB) Vortrag zum Thema „Toponyme als Medien des kollektiven Gedächtnisses“ zeigte, dass Straßennamen gerade in Situationen des Umbruchs entscheidende Bedeutung für die ideologische und politische Repräsentation von Regimen haben. Er veranschaulichte dies am Beispiel des Budapester Kossuth tér, der im Laufe des 20. Jahrhunderts nach politischen Brüchen gleich mehrfach umbenannt wurde. 

Das letzte Panel der Tagung stand schließlich unter dem Motto „Sozialgeschichte“ und wurde von Richard Lein (AUB) geleitet. Den Auftakt machte Andrei Pogăciaș (Uni Cluj‐Napoca). In seinem Vortrag sprach Pogăciaș von der „Rumänischen Kriegsführung im österreichisch türkischen Krieg 1715–1718“ und veranschaulichte, dass rumänischen Truppenverbände in ihrer Kriegsführung gegen das moderne habsburgische Heer mit großem Erfolg auch auf alte Kriegstechniken zurückgriffen.

Im Anschluss daran erarbeitete Friederike Gollmann (AUB, KFU) in ihrem Vortrag über die „Österreichische Ordnung in Triest“ wie Konflikte zwischen lokalen Kräften und der gesamtstaatlicher Ordnungsmacht in Triest Ende des 19. Jahrhunderts ausgetragen wurden. Besonders deutlich wurde ein repressives Vorgehen der österreichischen Staatsmacht nach dem versuchten Attentat Wilhelm Oberdanks auf Kaiser Franz Josef bei dessen Besuch in Triest im September 1882.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Beitrag von Daniela Javorics (AUB). Sie zeichnete darin die Auswirkungen der Räterepublik auf Westungarn nach. Am Beispiel einiger westungarischer Gemeinden und Städte zeigte Javorics, dass die im Frühjahr 1919 installierte kommunistische Zentralregierung auch auf lokaler Ebene zentral formulierte Verordnungen durchsetzen wollte. Die lokalen Verwaltungsorgane widersetzten sich oder umgingen einige dieser Anordnungen. Budapest reagierte hierauf mit scharfer Repression.

Text: Sebastian Sparwasser

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