Großbritannien, Österreich, die Schweiz, Dänemark oder unlängst Kroatien: in all diesen Ländern konnten konservative oder rechtspopulistische Parteien in den vergangenen Jahren bei Wahlen bemerkenswerte Erfolge erzielen und politisch reüssieren. Gerade auch Deutschlands östlicher Nachbar und gleichzeitig einer von Ungarns wichtigsten Partnern im Rahmen der Visegrád-Kooperation, nämlich Polen, fällt in diese Kategorie. Hier wurde Ende Oktober die liberalkonservative Regierung aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) durch eine noch weiter rechts stehende Alleinregierung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) abgelöst, während sämtliche Parteien links der Mitte aus dem Sejm gewählt wurden. Grund genug, dieses für die Zukunft Europas nicht unerhebliche Wahlergebnis im Rahmen der etablierten Vortragsreihe „AUB-Flashlight“ genauer zu analysieren. Hierzu luden Prof. Ellen Bos, Inhaberin der Professur für Vergleichende Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa in der EU, und Dr. Helmut Fehr, Herderdozent und Leiter der Professur für Europäische Regionalforschung an der AUB, interessierte Teilnehmer am 9. November 2015 in den Andrássy-Saal der Universität.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Prof. Bos erläuterte Dr. Fehr anhand diverser Zahlen zunächst das Wahlergebnis und stellte die wichtigsten Personen und Parteien vor. Auf der einen Seite die seit zwei Wahlperioden amtierende Regierung aus PO und PSL mit Ministerpräsidentin Ewa Kopacz, auf der anderen Seite die auf Revanche für 2007 und 2011 sinnende PiS mit Spitzenkandidatin Beata Szydlo und Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Dazwischen eine Reihe neuer Gruppierungen wie die Protestpartei KUKIZ, gegründet von einem Rockmusiker gleichen Namens, neue linke Bündnisse und Parteien wie Razem, oder die wirtschaftsliberale Partei „Die Moderne“, die vor allem im Wählerrevier der PO wildern wollte.
Im nächsten Schritt widmete sich Dr. Fehr der Kampagnenführung während des Wahlkampfes. Bereits während der ebenfalls von der PiS gewonnenen Präsidentschaftswahl im Frühjahr war eine gezielte Delegitimierung der PO und ihrer Politiker zu beobachten. So rückte die Graue Eminenz der PiS, Jaroslaw Kaczynski, im Verlauf der Debatte über die Rentenreform den ehemaligen Premier Donald Tusk in die Nähe Adolf Hitlers und unterstellte der PO, im Gegensatz zur PiS die Interessen Polens nicht energisch genug zu vertreten. Sämtliche Angriffe der PO auf die PiS wiederum wurden als Angriffe auf die wahren Verteidiger Polens inszeniert und die Vertreter der PO als elitistisch verkommene und per se korrupte Verräter der Nation präsentiert, welche in den mondänen Salons der größeren Städte nur um sich selbst kreisen und jedwede Bodenhaftung verloren hätten. Mit dieser Umkehr des in Deutschland oft als „Nazikeule“ bezeichneten Totschlagarguments von Links in eine Art „Antipolenkeule“ gelang es den Nationalkonservativen die ihnen passenden Themen zu setzen und die Regierung geradezu zu paralysieren und im Wahlkampf mit jeder Attacke ein Stück mehr zu lähmen. Eine inhaltliche Wahlauseinandersetzung über die Bilanz von acht Jahren PO-PSL-Koalitionsregierung fand durch diese Parolen kaum statt. Die Erfolge wie 3 bis 4 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr, die Widerherstellung von Polens Ruf als verlässlichem Partner auf dem diplomatischen Parkett oder größere Infrastrukturprojekte wirkten bei den Wählern nicht. Vielmehr nutzte die PiS diese Zahlen, um das liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der Liberalkonservativen mit Blick auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und die Verarmung bestimmter Landstriche im Gegensatz zum Boom von Warschau oder Breslau als Beweis für die Unfähigkeit der Regierung auszulegen, eine Regierung aller Polen zu sein.
Betrachtet man die Wahlgeographie zeigt sich, dass diese Strategie vollends aufging. So konnten Hochburgen um Krakau und Lublin in Süd- und Ostpolen gehalten und ausgebaut, das Oberschlesische Industrierevier und Masuren gewonnen und gleichzeitig tiefe Einbrüche in PO-Hochburgen wie Großpolen, Niederschlesien und Warschau erzielt werden. Lediglich in den wirtschaftlich erfolgreichen Regionen Pommern mit Stettin, Pomerellen mit Danzig und um die Stadt Breslau herum konnte sich die PO einigermaßen halten. Mit den Auswirkungen des Wahlergebnisses auf die derzeitige Dauerkrise der EU beschäftigte sich Prof. Bos in ihrem anschließenden Kommentar zu den Ausführungen Dr. Fehrs. Die hohe Wählervolatilität und wenig gefestigte Parteiensysteme in den ab 2004 beigetretenen Staaten würden nun zusehends ein Problem hinsichtlich der Verlässlichkeit dieser Staaten auf europäischer Ebene. Sie verglich den Fall Polens mit dem Ungarns und stellte fest, dass aufgrund der katastrophalen Bilanz der linken Regierung in Ungarn der Erdrutschsieg der FIDESZ im Jahr 2010 durchaus nachvollziehbar und auch zu erwarten gewesen sei. Die Regierung Polens hingegen habe trotz einiger Skandale eine Bilanz gehabt, um die sie andere Länder beneiden würden.
Offenbar zog die Wähler aber auch hier wie in Ungarn eine globalisierungsskeptische Position an, getragen von der PiS und diversen Protestparteien, sowie das Flüchtlingsthema und vermischten sich mit einer aus dem Gefühl, klar zu den Verlierern der Systemtransformation seit 1989/90 zu gehören. Die daraus resultierende Zukunftsangst führte anscheinend zu dem Bedürfnis, einen Wechsel an der Regierungsspitze herbeiführen zu wollen. Inwieweit durch diesen Wechsel das deutsch-polnische Verhältnis belastet werden könne, sei gerade in Fragen der Energie- und Flüchtlingspolitik schwer abzusehen. Da der antideutsche Reflex im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hatte, äußerte Dr. Fehr aber die Hoffnung, dass dieser sich womöglich langsam aber sicher im Gegensatz zur Angst vor Russland abnutzen würde.
Auf die Ausführungen der beiden Referenten folgte eine angeregte Debatte mit den Teilnehmern, bei der erneut das Verhältnis Polens zur EU, zu Ungarn mit besonderem Verweis auf Ungarns Hinwendung zu Wladimir Putins Russland, die Möglichkeiten einer Art Selbstkorrektur des Rechtsruckes durch die Zivilgesellschaft, die Zukunft der PO und der Linken in Polen sowie zukünftig bedeutende Persönlichkeiten der polnischen Politik zur Sprache kamen. Einig war man sich, dass mit diesem Wahlergebnis in Polen Europas Spitzenpolitikern noch so manch spannende und wohl auch anstrengende Verhandlungstage bevorstehen werden, um ein Übereinkommen mit der neuen Regierung in zahlreichen Fragen zu erzielen.
Abschließend dankten Prof. Bos und Dr. Fehr den Teilnehmern für ihren Besuch und die Debattenbeiträge und verwiesen auf das nächste AUB-Flashlight, welches auf den 10. Dezember terminiert ist und sich mit den Schweizer Regierungswahlen beschäftigen wird.
Text: Stefan Drexler