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25 Jahre NATO-Osterweiterung
Andrássy Universität Budapest, Zentrum für Demokratieforschung
Am 12. März 1999, also vor fast genau 25 Jahren, wurden Polen, Tschechien und Ungarn Mitglied der NATO. Dr. András Hettyey zieht in diesem Blog-Beitrag Bilanz.

Als es endlich geschafft war, hätte die Erleichterung nicht größer sein können. Am 12. März 1999, also vor fast genau 25 Jahren, wurden Polen, Tschechien und Ungarn Mitglied der NATO. Wie jedes Jubiläum, bietet auch diese nun die Gelegenheit, neben der Wiedererzählung der damaligen Ereignisse auch ganz konkret zwei wichtige Schlüsse aus der NATO-Osterweiterung zu ziehen. Dieser kurze Beitrag hat das Ziel, diese beiden Erkenntnisse hervorzuheben und auf ihre bleibende Aktualität hinzuweisen. Eine davon dürfte eher für die Leser aus den „alten“ NATO-Mitgliedsstaaten neu sein, die andere für Ungarische, aber hoffentlich unterstreichen beide die Relevanz der NATO-Osterweiterung, denn sie war (und bleibt) historisch

Die erste Erkenntnis fasste der Außenminister der von der Fidesz-geführten ersten Orbán-Regierung (1998-2002), Martonyi János treffend zusammen. Um seinen deutschen Gesprächspartnern die Bedeutung der NATO-Osterweiterung zu erläutern, betonte Martonyi bei einem Besuch in Bonn im Dezember 1998, dass Ungarn das erste Mal überhaupt in seiner Geschichte die Möglichkeit hat, seine Verbündete selbst auszuwählen (Hettyey 2019: 217). In der Tat: was für die meisten geographisch glücklicher gelegenen westeuropäischen Länder selbstverständlich war, nämlich Selbstbestimmung, war den Völkern Mittelosteuropas (MOE) im 19. und 20. Jahrhundert über weite Strecken nicht vergönnt. Auch und gerade zwischen 1945-1990 nicht: „wer beschützt uns vor unseren Beschützern?“ fragten mit dem römischen Dichter Juvenalis auch viele Politiker der Region. Die Antwort lautete: niemand. Weder vor Nazi-Deutschland noch vor der Sowjetunion. Nicht von ungefähr fasste einer der weitsichtigsten Beobachter die ungarische Geschichte nach 1920 in einem seiner Essaytitel 2017 so zusammen: „Hundert Jahre Angst.“ Ungarn hatte nach 1920 wahlweise Angst vor dem Bolschewismus, seinen Nachbarn (wobei die Nachbarn auch Angst vor Ungarn hatten), dann ab 1939 vor Deutschland (obwohl man Verbündeter war), dann nach 1945 vor der Sowjetunion (obwohl diese als Supermacht nolens volens Ungarns Beschützer war), dann wieder vor den Nachbarn (obwohl die als gleichgesinnte sozialistische Staaten diesmal Verbündete waren). Besonders die Erinnerungen an die sowjetische Dominanz und Fremdbestimmung, zumal in sicherheitspolitischen Fragen, war in den 1990-er Jahren noch allgegenwärtig. Diese hundert Jahre Angst galt es nun 1999 zu durchbrechen, auch für Prag und Warschau. Dass es letztlich gelungen ist, war für die drei Staaten ein historischer Erfolg, genauso wie für die restlichen MOE-Staaten die 2004 (oder später) in die NATO aufgenommen worden sind. Für all diese Länder ist eine NATO-Mitgliedschaft nicht nur eine nüchtern betrachtete sicherheitspolitische Absicherung in der Gegenwart, sondern auch eine Bewältigung der bösen Geister ihrer jüngeren Geschichte.

Die zweite Erkenntnis geht in der triumphalen Nachbetrachtung der Ereignisse immer wieder unter. Wie auch bei der Schilderung der EU-Osterweiterung 2004 wird bei der NATO-Osterweiterung im Nachhinein ausgeklammert, dass es mannigfaltige Gegeninteressen, oder zumindest eine Reihe von Skeptikern während des Prozesses gab. Wenn man nun ex post die Erweiterungen als einzige, alternativlose Möglichkeit, als etwas Unvermeidliches präsentiert, dann geht dabei unter, dass eine Reihe von Politikern ordentlich politisches Kapital, Zeit und Geld in die NATO-Osterweiterung investierten, oft im innenpolitischen und internationalen Gegenwind. Gerade in Ungarn, Tschechien und Polen sollte man wissen, dass Persönlichkeiten wie NATO-Generalsekretär Manfred Wörner (1988-2004) oder Präsident Bill Clinton (1992-2000) sich mächtig aus dem Fenster lehnten, als sie die anfänglich durchaus wilde Idee der NATO-Osterweiterung lediglich drei Jahren nach der Wende 1990 lancierten. Die Idee blieb lange Zeit umkämpft. Russland unter Jelzin, zum Beispiel, gehörte konstant zu den Gegnern. Moskau hoffte weiterhin ein Vetorecht über die Entscheidungen seiner ehemaligen Verbündeten zu haben. Nicht wenige in Washington sprangen den Russen zur Hilfe: das Pentagon, die mit Russland befassten Diplomaten im State Department, aber auch Realisten wie John Mearsheimer gaben zu bedenken, dass für die USA der wichtigste Partner in der Region Russland sei und dass die MOE-Staaten nur an zweiter Stelle kommen (Asmus 2002). Wann immer die Interessen Russlands und etwa Polens aufeinanderprallten, wie in der Frage der NATO-Osterweiterung, müsste Washington Moskau bevorzugen. „Der Westen sollte der MOE-Region nicht gegen den Wünschen Russlands helfen“, betonte ein hochrangiger deutscher Diplomat noch 1993 (Hettyey 2019: 89). Was aus der gemütlichen Perspektive Bonns oder Washingtons, weit weg von der Atommacht Russland einleuchtend erschien, hätte für die neuen demokratischen MOE-Staaten bedeutet, dass sich in strategischen Fragen nichts geändert hat: die Großmächte disponieren über die Geschicke der kleinen Staaten und ihrer etwa 100 Millionen Einwohner, deren Zukunft in fremden Hauptstädten hinter verschlossenen Türen entschieden wird. Ein zweites Jalta drohte.

Zum Glück entschieden sich die damaligen NATO-Mitgliedsstaaten, den demokratisch artikulierten Wünschen der MOE-Gesellschaften nachzukommen, und die Osterweiterung voranzutreiben. Dass auch die NATO davon profitierte, war nach 1999 lange Zeit nicht unbedingt eindeutig erkennbar. Die MOE-Staaten brachten zunächst bescheidene militärische Kapazitäten mit. Einzig die geographisch wichtige Lage der Region (vor allem Ungarns) im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt 1999 war ein uneingeschränkter Vorteil für das Bündnis. Aber schon in den 2000-er Jahren wendete sich das Blatt: Polen, Tschechien und Ungarn leisteten wichtige Beiträge in NATO-Auslandseinsätzen in Afghanistan und dem Kosovo. In den letzten Jahren, vor allem seit 2022, ist die Region Vorreiter was die Höhe der Verteidigungsausgaben betrifft. Vor allem Polen entwickelt sich von einem Sicherheitskonsumenten zu einem bedeutenden Spieler mit modernen militärischen Kapazitäten. Auch Ungarn, trotz der Odyssee um den schwedischen NATO-Beitritt, modernisiert seine Armee kräftig, nach Jahrzenten der Vernachlässigung. Tschechien seinerseits ist aktuell federführend in der Beschaffung für Artilleriemunition für die Ukraine (Neue Zürcher Zeitung 2024). Sicherheitspolitisch abgesichert werden diese drei Staaten dabei von der Sicherheitsgarantie der NATO. Gerade in Zeiten eindeutiger Bedrohungen zeigt sich, dass die Entscheidung von 1999 die Richtige war. Und zwar für beide Seiten.               

Dr. András Hettyey

 

Asmus, Ronald L. (2002). Opening NATO’s Door. Columbia University Press.

Hettyey, András. (2019). Hegemónia helyett: Magyar-német kapcsolatok 1990-2002. L’Harmattan.    

Neue Zürcher Zeitung. (2024). Tschechiens Präsident hält Wort: Die Ukraine erhält im Juni Hunderttausende von Artilleriegranaten. 15. März 2024. https://www.nzz.ch/international/ukraine-krieg-wie-tschechien-800000-schuss-munition-liefern-will-ld.1817303       

Orbán, Krisztián (2017). Száz év szorongás. index.hu. 27. März 2017. https://index.hu/velemeny/2017/03/27/szaz_ev_szorongas_magyar_rezsimek_felzarkozas_orban_krisztian/

 

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