Die Sprache, in der wir sozialisiert werden, prägt unser Denken, unsere Wertehaltungen, ganz allgemein Vorstellungen von der Welt. Eine gemeinsame Sprache kann Menschen verbinden, uns aber auch von anderen abgrenzen. Sie kennt Tabus und gesellschaftliche Codes und definiert, was wir wie verstehen. Sie ist grenzüberschreitend und hat eine sozial differenzierende Funktion im jeweiligen Kulturraum. Sprache verändert sich im Lauf der Geschichte und die Geschichte verändert die Sprache. Sprachverbote in Zusammenhang mit historischen Ereignissen haben sogar Eingang in Staatsverfassungen gefunden. Dass der Sprache eine große politische Wirkmacht zugeschrieben wird, zeigen Zensur und Bücherverbrennungen, ebenso die verschiedenen Versionen von Geschichtsbüchern, in denen jeweils unterschiedliche Narrative forciert werden. In der Vergangenheit und auch heutebleibt der sprachliche Umgang mit Geschichte und Politik Zündstoff hitziger Debatten.
Die Frage nach einer „mitteleuropäischen Identität“ macht deutlich, wie schwierig der Begriff zu fassen ist. Welche Parameter zur Bestimmung sollen herangezogen werden? Gibt man sich nicht allein mit einem geografisch festgelegten Gebietsumfang zufrieden, stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Geschichte (Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie), nach gemeinsamen kulturellen Codes und Wirtschaftsbeziehungen, ebenso nach verschiedenen, von Historiker*innen vom späten 19. Jahrhundert bis zur Wende 1989 vorgeschlagenen Konzepten, die eine Region zwischen Ost und West definieren. Aber wo genau beginnt derOsten, wo der Westen und welche historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zuschreibungen verbinden sich mit diesen Konzepten von Mitteleuropa? Der Blickwinkel der Betrachtung spielt bei der Auffassung des Mitteleuropa-Begriffes eine zentrale Rolle. So ist Mitteleuropa aus der Sicht Deutschlands anders gefasst als das Mitteleuropa Österreichs.
Bemühte man sich im Europa seit dem Mauerfall 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre vor allem um den Abbau von Grenzen und den Ausbau einer grenzenlosen Staatengemeinschaft, rückt am Beginn des 21. Jahrhunderts das Wiedererrichten von Grenzen ins Zentrum des politischen Interesses vieler mitteleuropäischen Staaten. Die Abgrenzung von fremden Gruppen und die Besinnung auf (vermeintlich) traditionelle Werte tragen zum Wiedererstarken des Nationalismus bei. Auf der Suche nach kultureller, nationaler und sprachlicher Identität übernehmen Grenzziehungen eine wichtige Funktion für die Orientierung in der Welt. Separierungstendenzen schwächen einen Staatenverbund, was auf die Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso zutraf wie auf das Europa von heute. Erwünscht sind Beiträge von Doktorand*innen in einem Umfang von 20 Minuten Sprechzeit, die sich explizit mit dem genannten Themenfeld und/oder einem bestimmten Aspekt desselben auseinandersetzen. Eingeladen sind alle geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Der Fokus auf Mitteleuropa muss erkennbar sein. Die Konferenzsprache ist Deutsch. Konferenzteilnehmer*innen verpflichten sich dazu, einen Beitrag in schriftlicher Form zum Tagungsband der Veranstaltung beizusteuern.